© slavonstok / stock.adobe.com

Ernährung

WERTVOLL ODER NICHT?

Der Denkansatz ist löblich, doch die Umsetzung stößt auf Kritik: Der Vorstoß von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), mit einem Nutriscore die Nahrung bereits auf der Verpackung zu kennzeichnen, finden manche ungeeignet.

Seite 1/1 4 Minuten

Seite 1/1 4 Minuten

Klöckner will, dass sich die Lebensmittelhersteller freiwillig verpflichten, künftig weniger Salz, Zucker und Fett in unser Fertigessen zu packen. Denn in Deutschland gelten immerhin 47 Prozent der Frauen, 62 Prozent der Männer und 15 Prozent der Kinder als übergewichtig. Zuviel Zucker, Fett und Salz erhöhen zudem das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes.

Score bildet Mittelwert Eine freiwillige Verpflichtung der Branche – das klingt nach Zündstoff. Also hat die Ministerin ein Expertengremium einberufen, das mit darüber bestimmen soll, welcher Nutriscore – eine Kennzeichnung, die ursprünglich aus Frankreich stammt – auf welches Produkt kommt. Anders als die Ampel, die bereits jetzt auf Lebensmitteln zu finden ist, wird hier aus dem Gehalt von Salz, Fett, Zucker und Fettsäuren ein Mittelwert gebildet, der dann als Kombination von Buchstabe und Farbe auf der Packung erscheint und dem Verbraucher die Möglichkeit gibt, mit einem Blick die Wertigkeit eines Lebensmittels zu erkennen. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft hält die Maßnahme für ungeeignet und sagte deshalb die Teilnahme am Ernährungsgremium ab. Sie begründete ihren Entschluss damit, dass die Wissenschaft in seiner jetzigen Form in dem Gremium praktisch keinen Einfluss auf die Formulierung konkreter Reduktionsziele habe. So formulierte es der Präsident der Gesellschaft, Dirk Müller-Wieland. Bisher blieben diese Ziele weit hinter dem zurück, was aus wissenschaftlicher Sicht notwendig wäre, um den Anstieg von Übergewicht und Diabetes in Deutschland zu stoppen.

Manipulationen möglich In eine ähnliche Kerbe haut auch der Tiefkühlkostanbieter Frosta. Er verweigert den neuen Nutriscore auf seinen Verpackungen – einige große Nahrungsmittelhersteller drucken ihn bereits auf – da er die in dem Lebensmittel enthaltenen Zusatzstoffe nicht deklariere und in die Bewertung aufnehme. Zu undifferenziert sei die neue Ampel und sie biete zudem keinen Anreiz für den Handel, hochwertigere Produkte herzustellen. Vorstandschef Felix Ahlers, der gelernter Koch ist, sagt klipp und klar: „Die Hersteller können mit Inhaltsstoffen manipulieren und über die Ampel ein Produkt gesünder darstellen, als es tatsächlich ist.“ Und das funktioniert so: Da der neue Nutriscore die Vor- und Nachteile eines Lebensmittels gegeneinander abwägt und einen Mittelwert bildet, kann es sein, dass die enthaltenen Ballaststoffe oder Vitamine einen höheren Zucker- oder Fettgehalt ausgleichen und die Bewertung daher positiver ausfällt als sie eigentlich sein sollte. Ahlers forderte in einem Zeitungsbericht die Bundeslandwirtschaftsministerin auf, die Deklarationsverordnungen dahingehend zu ändern, dass Zusatzstoffe auf den Packungen aufgeführt werden müssten.

Ministerin beauftragt Institut Julia Klöckner bleibt weiterhin auf ihrem eingeschlagenen Weg. Sie hat sich außer- dem noch um das Verbot der unbetäubten Ferkelkastration, einer Reduktionsstrategie für Glyphosat, den Insektenschutz und die Digitalisierung der Landwirtschaft zu kümmern. Sie bedauerte das Ausscheiden der Diabetes-Gesellschaft: „Wer nicht mitmacht, nimmt sich die Möglichkeit, sich konstruktiv einzubringen. Aus ihrem Ministerium ließ sie verlauten, der Prozess werde auch weiterhin mit einem engen wissenschaftlich fundierten Monitoring begleitet und sei transparent und überprüfbar; externe Beteiligung sei ausdrücklich erwünscht. Die Ministerin hat außerdem das renommierte Max-Rubner-Institut (Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel) darauf angesetzt, auf welche Weise sich Lebensmittel mit weniger Zucker, Fett und Salz herstellen lassen. „Gerade das vermeintlich Einfache bedarf mitunter anspruchsvoller Forschung, die, wenn sie angewandt wird, im Idealfall das Leben der Menschen wieder einfacher macht. Um etwa Salz zu reduzieren, kann man es in vielen Fällen nicht einfach weglassen, denn Kochsalz sorgt nicht nur für Geschmack, sondern hindert auch Bakterien an der Vermehrung“, erklärt Professor Pablo Steinberg, Präsident des Instituts. Seine Forschung solle Produkte entstehen lassen, die am Ende Geschmack, Gesundheit und Haltbarkeit vereinen.

Keine Einbuße im Geschmack Das Ergebnis ließ man öffentlichkeitswirksam von der Ministerin persönlich verkosten – etwa mit Fleisch-​Gemüse-Wurst oder Brot mit weniger Salz. Klöckner probierte – und merkte nicht mal den Unterschied zwischen den Brotsorten. Das veranlasste Soyoung Park vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung zu einem kleinen Exkurs über das individuelle Geschmacksempfinden – es sei „sehr persönlich und anpassungsfähig“. Wir lernen Geschmackspräferenzen bereits als Kinder – das was es häufig gibt, schmeckt uns auch, zum Beispiel Mutters Nudeln mit Tomatensoße, selbst wenn sie aus der Packung stammen. Im Umkehrschluss heißt das wiederum: Eltern können ihren Kindern auf diese Weise auch Gemüse schmackhaft machen. Und wenn auf dem Tisch immer nur Wasser und ungesüßter Tee steht, wird der später Erwachsene diese Getränke instinktiv bevorzugen. Das klappt natürlich umgekehrt auch mit Limo oder Saft. Doch es passiert bereits etwas in den Supermärkten und Branchen: Verschiedene Nahrungsmittelhersteller kündigten an, künftig den Salz-, Zucker- und Fettgehalt in ihren Produkten zu reduzieren. Das Deutsche Tiefkühlinstitut legte einen neuen Grenzwert von 1,25 Gramm (g) Salz pro 100 g Pizza fest. Auch das Bäckerhandwerk wird den Salzgehalt in seinen Broten reduzieren. Der Verband der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft will den Zuckergehalt in Frühstückscerealien für Kinder um mindestens 20 Prozent minimieren und die Branche der nicht-alkoholischen Erfrischungsgetränke stellt 15 Prozent weniger Zucker in ihren Getränken in Aussicht.

Hersteller reagieren Dass es den Herstellern ernst ist, bewies ein Blick in die deutschen Getränkemärkte: Wer in den letzten Wochen Cola kaufen wollte, stand oftmals vor leeren Regalen. „Die stellen ihre Abfüllanlagen um. Künftig soll weniger Zucker enthalten sein“, berichtete das Personal unisono. Durch eine Reduktion von 15 Prozent wird die schwarze Brause zwar nicht zum gesunden Getränk, aber sie wird zumindest weniger ungesund. Überhaupt, Zucker: Die Verbraucherschutzorganisation food watch erklärt rigoros, die kristalline Glucose sei überhaupt kein Lebensmittel: „Anders als häufig vermutet und vom Bundesgesundheitsministerium unterstellt wird, gibt es keine Notwendigkeit, Zucker als Lebensmittel aufzunehmen. Richtig ist: Das menschliche Gehirn benötigt etwa 130 Gramm vom Einfachzucker Glucose am Tag. Der Körper ist jedoch in der Lage, diese Glucose aus Polysacchariden (Stärke) aufzuspalten, die beispielsweise in Brot oder Nudeln enthalten sind“, heißt es auf ihrer Website.

Umerziehung braucht Zeit Dazu sagen Wissenschaftler, wir könnten auch weniger süße Schokolade, weniger salzige Fische und fettärmere Würste lecker finden – es brauche nur Zeit. „Es ist wie beim Sport: Man muss sich zunächst zwingen gesünder zu essen“, führt die Psychologin Kathrin Ohla vom Forschungszentrum Jülich aus. Doch wenn man ein Produkt immer wieder esse, mag man es – irgendwann. 

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 04/19 ab Seite 86.

Alexandra Regner, PTA und Journalistin

×