Sowohl positive, als auch negative Gedanken können Körperprozesse beeinflussen. © stockfour / iStock / Getty Images Plus

Psychologie | Gesundheit

POSITIV DENKEN: IST GESUNDHEIT WIRKLICH KOPFSACHE?

Mut schöpfen, nicht unterkriegen lassen, positiv denken. Und bald ist der Krebs besiegt. Solche Heilsversprechen gibt es rund um die Gesundheit oft. Doch Experten zweifeln daran - und warnen davor.

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Ich muss nur positiv denken, und schon lässt meine Arthritis oder meine Grippe nach? Bei der Frage muss der Neurowissenschaftler Prof. Manfred Schedlowski von der Uniklinik Essen lachen: «So einfach ist das nicht! Das können wir aus wissenschaftlicher Sicht nicht beantworten.» Und was ist mit dem Gegenteil? Können negative Gedanken oder Einstellungen Körperprozesse und damit eben auch Krankheitsverläufe beeinflussen? Das beantwortet die Wissenschaft inzwischen mit einem «Ja».

Der Kopf beeinflusst die Gesundheit auf vielfältige Weise. «Wir haben in den vergangenen 20 Jahren gelernt, wie Gedanken, Gefühle und unser Verhalten Körperprozesse wie das Hormonsystem, das Herz-Kreislaufsystem und das Immunsystem beeinflussen können», sagt Schedlowski.

Auch deswegen, weil man jetzt durch bildgebende Verfahren wie Computertomographie die Abläufe im Gehirn besser darstellen kann. Außerdem lassen sich Hormone, die eine Verbindung zwischen dem Gehirn und den Körperprozessen darstellen, im Blut messen. So ergibt sich eine detailliertere Sichtweise darauf, wie das körpereigene Abwehrsystem arbeitet.

Positive Gefühle sind individuell
Trotzdem gibt es noch zu wenig wissenschaftliche Evidenz, ob positives Denken Krankheitsverläufe direkt beeinflussen kann. Warum aber gilt das Gegenteil als erwiesen? Schedlowski erklärt: «Wir können den Stress der Menschen messen, also die psychosoziale Belastung im weitesten Sinne: Wie viel Angst hat eine Person? Wie groß ist die Depressivität, an der eine Person leidet?»

Das Ausmaß positiver Emotionen ist dagegen ein individueller Aspekt. «Denn was für den einen positiv ist, mag für den anderen negativ sein. Es kommt auf die Bewertung dieser Reize an.»

An dem Tipp «Nur positiv denken» stört sich auch Imad Maatouk, Leiter der psychoonkologischen Ambulanz am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg. Bücher mit dieser Aussage findet man oft in den Heile-Dich-Selbst-Ecken von Buchläden und Büchereien. Doch der vermeintlich harmlose Ratschlag sei mit Risiken behaftet: «Damit schürt man bei Patienten, die an einer schweren Erkrankung wie Krebs leiden, falsche Hoffnungen, die man nicht erfüllen kann.»

Die Kehrseite des positiven Denkens
Tatsächlich gebe es keine Beweise, dass positives Denken bei Krebs helfe. Außerdem setze man die Patienten so unter Druck. «Sie haben dann das Gefühl, nicht alles richtig zu machen, wenn sie sich schlecht fühlen», sagt Maatouk. «Sie verbieten sich sogar oft, schwierige Gedanken und Gefühle anzusprechen.» Das kann zusätzlichen psychischen Stress verursachen. Am besten sei es dann, mit einer Vertrauensperson oder einem Spezialisten darüber zu sprechen, welcher Weg für einen der beste sei.

Denn Stress ist ungesund, so viel steht fest. «Vermeiden wir Stress im weitesten Sinne, hat das durchaus einen positiven Einfluss auf die Physiologie, also auf die Hormonausschüttung und damit auf die Funktionsweise des Immunsystems», sagt Schedlowski. Das beweise der Placeboeffekt: «Hier sehen wir, dass die Erwartung die Wirkung beeinflussen kann und damit auch den Krankheitsverlauf.»

Placebo- und Nocebo-Effekte
Versichert der Arzt dem Patienten, dass ein bestimmtes Medikament ihm sehr gut helfen und die Symptome lindern werde, hat der Patient entsprechend positive Erwartungen. «Das verändert dann die Neurochemie im Gehirn», erklärt Schedlowski. Und das wiederum hat einen Einfluss auf die Wirkung von beispielsweise Schmerzmedikamenten, die so besser wirken können. «So kommt man also über einen Umweg doch noch an das Thema heran.»

Die umgekehrte Variante des Placebo-Effekts heißt Nocebo: Hier wird bei einem Patienten durch eine Behandlung oder ein Medikament die Befürchtung aufgebaut, noch kränker zu werden. «Das passiert oft, wenn wir den Beipackzettel lesen«, erklärt Schedlowski. «Daraus folgt, dass man sich Krankheiten tatsächlich einbilden kann.» Der Effekt sei nachweisbar. Erwartungen können also manchmal gut und manchmal schlecht sein - je nachdem, welche Erfahrungen jemand gemacht hat und wie zum Beispiel das Gespräch mit dem Arzt läuft.

Eingefahrene Denkmuster verändern
Ist es also doch gut, nur positiv zu denken - oder darf auch mal Negatives mitschwingen? Hier verweist Schedlowski auf die Lebenserfahrung: «In den seltensten Fällen ist alles nur positiv. Man sollte realistische Vorstellungen entwickeln.» Er spreche deswegen nicht gerne von positiven oder negativen Gedanken, sondern von realistischen Erwartungen. Diese kann man sich auch erarbeiten.

Hierbei gilt es, die Denkmuster zu ändern, die man im Laufe seines Lebens gelernt hat. Diese haben sich zwar in den neurochemischen Schaltkreisen im Gehirn festgesetzt - doch es gibt Trainings, die solche festgefahrenen Muster lösen können. Stellt man sich etwas intensiv vor, kommt es zu neuen Synapsen-Verbindungen im Kopf, erklärt Pathologin und Buchautorin Katharina Schmid.

Dieser Vorgang funktioniert allerdings nur, wenn der Patient nicht unter Stress steht. Und er kann selbst dann Monate dauern. «Wenn ich vorher immer davon ausgegangen bin, krank zu sein und auch krank zu bleiben, muss ich diese Gedanken mit zum Beispiel «Ich bin gesund» erst überschreiben», sagt Schmid. Nur so kann das Neue zur Gewohnheit werden. «Als Autofahr-Anfänger muss ich zuerst auch stets überlegen, wo der erste Gang ist. Später weiß mein Gehirn das von alleine.»

Quelle: dpa

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