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'Zu den häufigsten Gesundheitsrisiken zählt Adipositas'

NEUROBIOLOGIE DER FETTLEIBIGKEIT

Die Mechanismen, mit denen unser Gehirn Essgewohnheiten, Stoffwechsel und Körpergewicht reguliert, sind hochkomplex und noch immer nicht vollständig verstanden.

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Kennen Sie das auch? Den bangen Blick auf die Waage, gleich morgens nach dem Aufstehen? Wenn auch Sie schon hin und wieder das eine oder andere Pfund an sich als überflüssig empfunden und vielleicht sogar schon Diäten ausprobiert haben, kennen Sie die Schwierigkeiten und Leiden, die mit dem Wunsch endlich abzunehmen einhergehen.

In den USA gelten bereits über 30 Prozent der Bevölkerung als fettleibig, weit mehr noch als übergewichtig, was allein dort über 200 000 Todesfälle pro Jahr bedingt. In Deutschland liegen die Zahlen bei 16 Prozent Fettleibigen und 50 Prozent Übergewichtigen, Tendenz steigend.

Über Jahrmillionen hat die Evolution die Mechanismen der Ernährung dahingehend optimiert, auch in Zeiten des Mangels eine ausreichende, lebenserhaltende Energieversorgung sicherzustellen. Der gegenwärtige krasse Anstieg des Anteils Adipöser in der Bevölkerung kann daher nur zu einem geringen Teil auf genetischen Prädispositionen beruhen und hat vielmehr etwas mit veränderten Lebensbedingungen – überreichlichem Nahrungsangebot und bewegungsarmer Alltagsgestaltung – zu tun, an die diese Mechanismen nicht angepasst sind und daher aus dem Gleichgewicht geraten.

Eine Schlüsselrolle bei der Regulierung der Energiebilanz nimmt der Nucleus arcuatus im Hypothalamus ein. Er produziert das Prohormon Proopiomelanocortin (POMC), das in Melanotropin gespalten wird, sowie das Neuropeptid AgRP, das antagonistisch auf Melanotropinrezeptoren wirkt.

POMC- und AgRP-produzierende Neuronen reagieren auf vielfältige Stoffwechselsignale des Körpers, darunter auf Hormone wie das von Fettzellen ausgeschüttete Hunger-hemmende Leptin oder das von der Magenschleimhaut produzierte, appetitanregende Ghrelin, aber auch auf den Insulin- oder Blutzuckerspiegel. Leptin beispielsweise entfaltet seine Wirkung dadurch, dass es POMC-Neurone aktiviert und AgRP-Neurone hemmt. Auch Serotonin, das Wachstumshormon BDNF und noch viele andere Faktoren beeinflussen die Energiebilanz. Wichtig ist, dass all diese Mechanismen nicht nur die Stoffwechselvorgänge selbst beeinflussen, sondern auch die psychische Komponente des Essens.

Fettreiche Nahrung führt nun einerseits zu Schädigungen der Neurone im ARC, andererseits zu neuroplastischen Veränderungen der komplexen Regelkreise. Übergewichtige nehmen daher Nahrungsreize anders wahr als Normalgewichtige, bewerten sie anders und konsumieren in der Folge noch mehr.

Diese Fehlanpassungen des Gehirns an veränderte Ernährungssituationen genau zu verstehen könnte in der Zukunft den Schlüssel liefern, das Fettleibigkeitsproblem unserer Gesellschaft insgesamt wirksam zu bekämpfen – was gängige Diäten so ja leider kaum zu leisten vermögen – aber das kennen Sie ja vielleicht auch …

ZUR PERSON

Prof. Dr. Holger Schulze
Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg
sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg.
Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.
www.schulze-holger.de

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 10/13 auf Seite 12.

 


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