© FlairImages / iStock / Thinkstock

Jetlag

KARL LAGERFELD MAG’S BEQUEM

Die Beschwerden sind unangenehm: Schlaflosigkeit in der Nacht, dafür bleierne Müdigkeit am Tag. Zu Mittag totale Appetitlosigkeit, aber um Mitternacht ein Bärenhunger. Die Diagnose: Zeitzonenkater.

Seite 1/1 4 Minuten

Seite 1/1 4 Minuten

Wer von einem Kontinent zum andern fliegt, kennt das: Beim Eintauchen in eine andere Zeitzone verschieben sich die gewohnten Abläufe. In den USA ist der Tag plötzlich sechs bis acht Stunden zurück. Wir erinnern uns noch an die müden Gesichter der deutschen Korrespondenten während der Präsidentenwahl: Als bei uns der Tagesschau-Gong ertönte, war es in Amerika noch zwei Uhr nachts. Andersherum ist es beinahe noch unangenehmer: Beim Flug nach Osten, nach Shanghai beispielsweise, zählt man acht Stunden vor.

Hell und dunkel Im Neandertal und überall sonst, wo sich Frühmenschen tummelten, war der Jetlag kein Thema: In Ermangelung von Düsenjets richtete man sich den Tag einfach nach der Sonne ein. Im Hirn von Fred Feuerstein arbeitete rund um die Uhr der Nucleus suprachiasmaticus, ein Teil des Hypothalamus, der bekanntlich die Hormonproduktion steuert. Der suprachiasmaticus wusste: Wenn das Licht eine bestimmte Luxzahl aufwies, dann hatte man morgens, mittags und abends Hunger. Der Blutdruck stieg am Morgen, die Adrenalinproduktion auch, die Haare wuchsen, Magen und Darm leerten sich. Wenn die Sonne schien oder es draußen hell war, war Zeit fürs Jagen und Vor-sich-hin-Werkeln. Sank die Sonne jedoch hinter den Horizont – wobei es aussah, als sei die Erde eine Scheibe – bekam die Zirbeldrüse den Auftrag, Melatonin auszuschütten. Tagsüber schob das Sonnenlicht dieser Produktion einen Riegel vor. Doch sobald es dunkel wurde, sorgte das Melatonin dafür, dass der Mensch müde wurde. Einige Stunden Schlaf sollten ihn nun in die Lage versetzen, die Eindrücke des Tages zu verarbeiten, seinen Körper zu entspannen und sich zu erholen. Im Schlaf bildeten sich neue Synapsen, der Blutdruck sank, die Herztätigkeit auch. Das Hungergefühl wurde unterdrückt, der Magen legte sich ebenfalls schlafen.

Rund um die Zeit
+ Die Innere Uhr des Menschen tickt im Nucleus suprachiasmaticus, einem Teil des Hypothalamus
+ Die Sommerzeit beginnt in Europa am letzten Wochenende im März (der Zeiger rückt eine Stunde vor) und endet am letzten Wochenende im Oktober (eine Stunde zurück)
+ Jetlag, auch Zeitzonenkater, bezeichnet die Einstellungsschwierigkeiten unseres Körpers an eine neue (Uhr-)Zeitzone.

Hühner auf die Stange Im Prinzip hat sich an den steinzeitlichen Vorgängen unseres Körpers nichts verändert. Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein folgte der Mensch den natürlichen Rhythmen des Lichteinfalls. Doch die Erfindung der Glühbirne änderte alles; Fabrikhallen leuchteten jetzt auch in der Nacht taghell. Menschen mussten ihre Müdigkeit unterdrücken und sich auf die neuen Arbeitszeiten einstellen. Während sich auf den Bauernhöfen die Hühner unbeirrt bei Einbruch der Dunkelheit auf ihre Stange begaben, hatte die arbeitende Bevölkerung nicht immer die Wahl, was ihre Schlafenszeit betraf.a a Plötzlich konnte man sich per Flugzeug in eine andere Zeitzone katapultieren. Man machte Geschäfte in Rio, Bangladesh oder Ankara, wohnte dabei aber in Stuttgart. Der Nucleus suprachiasmaticus, die innere Uhr des Homo sapiens, blieb unbeirrt bei seinem Dienstplan, der sich nach Sonne und Mond richtete. Was zur Folge hatte, dass sich die Menschen krank fühlten: Nichts passte mehr zusammen.

Jetlag, Jetset Der amerikanische Chronobiologe Charles Ehret schrieb über seine Beobachtungen ein Buch: „Overcoming Jet Lag“ bezeichnete 1983 erstmals ein Phänomen, das bereits flächendeckend auftrat und gab ihm seinen offiziellen Namen (vorher war die Alliteration zu „Jetset“ bereits in der Regenbogenpresse aufgetaucht). Ehrets Beobachtungen galten auch Schichtarbeitern, Nachtschwestern und dem Militär. Gut gemeint, aber stets Verwirrung stiftend, wurde auch die Einführung der so genannten Sommerzeit: Um Energie zu sparen, stellt man die Zeiger der Uhr am letzten Wochenende des März eines jeden Jahres eine Stunde vor, um sie dann am letzten Wochenende im Oktober wieder zurück zu stellen. 1980 führten die Bundesrepublik und die DDR diese Regelung zeitgleich ein, was seit dieser Zeit in der Bevölkerung jeweils zu einem Mini-Jetlag führt und den Journalisten zuverlässig einen Aufreger-Artikel liefert. Im Kleinen fühlt sich das im Frühjahr wie die oben beschriebene Reise in den Osten an: Der Tag beginnt im März nun eine Stunde früher. Im Oktober haben wir das Gefühl, uns werde wie während der Reise nach Westen eine Stunde geschenkt – und das wiederum fällt allgemein leichter.

In jeder Straße sollten Kanonen aufgestellt werden, um die Faulpelze aufzuwecken“. Benjamin Franklin 1784, erster Befürworter der Sommerzeit

Krankheitsrisiko steigt Die Zeitumstellung hat gesundheitliche Folgen: Finnische Forscher fanden heraus, dass bereits beim Mini-Jetlag der Sommerzeit das Schlaganfall-Risiko steigt. Andere Wissenschaftler eruierten: Es gibt mehr Fehlgeburten nach der Zeitumstellung und auch mehr Herzinfarkte. Die Darmflora gerät aus dem Takt, was zu Verdauungsbeschwerden führt; von der bleiernen Müdigkeit, die den Tag begleitet, gar nicht zu reden. Kleine Kinder konnten noch nie von den Vorteilen der Sommer- und Winterzeit überzeugt werden. Landwirte gewöhnen ihre Kühe schrittweise an die neuen Melkzeiten; bereits Tage vorher verschieben sie diese im Zehn-Minuten-Takt, bis sie mit der neuen Zeit übereinstimmen. Überhaupt liest man von kaum jemandem, der die Regelung wirklich begrüßt. Eine im Auftrag der Krankenkasse DAK Gesundheit durchgeführte Umfrage ergab, dass drei von vier Deutschen die Uhrumstellung für komplett sinnlos halten. Dennoch gilt die Sommerzeit seit 1996 offiziell in der gesamten Europäischen Union.

Schlafbrillen und Models Und die Flugreisenden? Die haben ihre eigenen Tricks. Wolfgang Joop besorgt sich in den USA das dort erhältliche Hormon Melatonin, um seinen Schlaf-Wach-Rhythmus in die neue Form zu bringen. Topmodels schwören auf ihre Schlafbrillen, die sie kurz nach dem Start aufsetzen, um schon einmal vorzuschlafen. Für Karl Lagerfeld sind die Interkontinentalflüge eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen er mal was „Bequemes“ anzieht; ob es nun Jogginghosen sein dürfen, war nicht herauszufinden. Allgemein wird empfohlen, sich am Zielort sofort den Lichtgegebenheiten anzupassen und sich viel im Freien aufzuhalten. Also nicht ins Bett gehen, bloß weil zuhause die Uhr bereits Mitternacht schlägt! Dabei sollte man Alkohol und Koffein meiden und bei der Ernährung auf übermäßig viele Kohlenhydrate verzichten – Stärke macht müde –, lieber auf Proteinreiches und Fisch setzen. Viel Wasser trinken mindert den Jetlag-Kopfschmerz. Und wenn es machbar ist, sollte man dem Körper Zeit geben, sich an die neuen Zeiten zu gewöhnen. Wer Medikamente nimmt, sollte sich vorher mit dem Arzt kurzschließen: Schließlich muss auch der Medikationsplan an die neuen Zeiten angepasst werden. 

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 07/17 ab Seite 140.

Alexandra Regner, PTA und Redaktion

×