Auf einem dunklen Holzschreibtisch liegt ein aufgeschlagenes, dickes Buch. Darum herum stehen ein Kupferkessel, einige Glasphiolen, ein Totenschädel und historische Instrumente.
Früher war vieles anders als heute – auch in Medizin und Pharmazie. © Studio-Annika / iStock / Getty Images Plus

Medizingeschichten

JANUAR 1901 BIS 2021: 120 JAHRE PSCHYREMBEL

Er ist ein grünes, klobiges Buch und steht häufig im Behandlungszimmer des Hausarztes: Der Pschyrembel, ein Klassiker der medizinischen Fachliteratur. Doch wie kommt er eigentlich zu seinem komischen Namen?

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Willibald Pschyrembel war der Konrad Duden der Medizin: Nach beiden Männern wurde ein Wörterbuch benannt, das die Deutungshoheit über Sprache und Begriffe in ihrem jeweiligen Fach besitzt. Willibald Pschyrembel wurde am 1. Januar 1901 in Berlin geboren, wuchs aber in Lüdenscheid auf. Er studierte Naturwissenschaften mit dem Schwerpunkt Physik in Berlin, machte seinen Doktor in Philosophie, wurde Physiklehrer, studierte dann noch Medizin und wurde 1935 beim legendären Arzt Ferdinand Sauerbruch promoviert. Pschyrembel spezialisierte sich auf Frauenheilkunde und leitete als Chefarzt die Frauenklinik des Berliner Krankenhauses im Friedrichshain. 1950 habilitierte er sich.

Ein vielseitig Begabter also. Kein Wunder, dass ihn ein Verlag für medizinische Fachbücher an Bord holte. 1931 begann Pschyrembel damit, den Longseller „Wörterbuch der medizinischen Kunstausdrücke“ von Otto Warmblüth zu betreuen und zu ergänzen. Schon im Jahr darauf wurde es in „Klinisches Wörterbuch“ umbenannt, und diesen Titel trägt es noch heute. Pschyrembel selbst verfasste dazu im Vorwort den Satz: 

Den Fortschritten der medizinischen Wissenschaft entsprechend musste [...] eine größere Anzahl kleinerer Änderungen vorgenommen werden.

Die kleineren Änderungen hatten durchschlagenden Erfolg. Mehr als sechs Millionen Exemplare des Buches sind bisher verkauft worden. Der Pschyrembel bildet einen zuverlässigen Überblick über die wichtigsten Krankheiten und deren aktuelle Therapien. Er gilt als Standardwerk für Ärzte und Studierende, für Pflegepersonal, Journalisten, Versicherungen, Ämter und interessierte Laien. Alle zwei Jahre kommt eine neue Auflage heraus. Und seit der 255. Auflage findet sich im Pschyrembel ein ganz besonderer Eintrag: die Steinlaus.

Die Redaktion schmuggelte damals in offensichtlicher Partylaune das vom Komiker Loriot erfundene Fabeltier mit Appetit auf Steine in das Nachschlagewerk. Und das sah so aus:

Steinlaus: syn. Petrophaga lorioti;
zur Familie der Lapivora gehörige einheimische Nagetiergattung mit zahlreichen Spezies. Seit ihrer Erstbeschreibung (1983) ist die St. – u.a. infolge der noch immer offenen Frage ihrer realen Existenz – Gegenstand intensiver Forschung in- und ausländischer Arbeitsgruppen.

Zwei Ausgaben lang dauerte der Scherz, dann entfernte man den Eintrag. Nicht gerechnet hatte man im Verlag mit den Protesten der Leserschaft: Die wollte den Beitrag über das „possierliche Tierchen“ wiederhaben. Der Verlag gab nach: Seit Auflage 258 ist sie wieder drin, die Steinlaus. Und hat mittlerweile sogar einen eigenen Weblog.

Seit 2004 gibt es den Pschyrembel nicht nur als Buch, sondern auch als Datenbank und App.

Die Medizingeschichte von letzter Woche finden Sie hier.

Alexandra Regner,
PTA und Medizinjournalistin

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