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Sehstörungen bei Migräne entstehen im Kopf

HIRNFLIMMERN

Flimmerskotome können als Vorboten von Migräneattacken auftreten. Sie verraten dabei viel über ihren Ursprung in der Sehrinde und die Pathophysiologie solcher Anfälle.

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Kennen Sie das auch? Die schrecklichen Kopfschmerzen eines Migräneanfalls? Falls ja, so gehören Sie zu den rund zehn Prozent der Bevölkerung, die unter Migräne leiden – Frauen etwa dreimal so häufig wie Männer.

Dann kennen Sie vielleicht die sogenannte Aura, die oft mit den Attacken einhergeht. Darunter versteht man verschiedene, doch im Wesentlichen visuelle Wahrnehmungsstörungen, die sich zum Beispiel als vorübergehende Gesichtsfeldausfälle oder Unschärfebereiche manifestieren können.

Eine besonders markante Erscheinungsform solcher Sehstörungen ist das Flimmerskotom. Diese Störung der visuellen Wahrnehmung, die auch völlig isoliert auftreten kann und dann meist keiner Behandlung bedarf, beginnt üblicherweise mit einem flimmernden Bereich seitlich neben dem Zentrum des Blickfeldes und breitet sich dann langsam, erst nieren-, dann C-förmig, zum äußeren Rand des Sehfeldes einer Seite hin aus, bis sie schließlich nach 20 bis 30 Minuten jenseits des Sehfeldes verschwindet.

Im Bereich der Störung sieht man anstelle der normalen Umgebung ein Muster aus sich bewegenden, kreisenden, zum Teil farbigen Linien unterschiedlicher Orientierung. Dieses Erscheinungsbild weckt nun bei Neurophysiologen sofort den Verdacht, dass die Ursache dieser Störung nicht im Auge sondern im Gehirn, genauer der Sehrinde zu suchen ist:

Dort finden sich Neurone, die auf bestimmte Eigenschaften visueller Reize mit einer Erregung antworten, also sensorische Filter darstellen. In diesem spezifischen Fall werden Lichtbalken einer bestimmten Orientierung, zum Beispiel senkrecht, beantwortet, während andere, beispielsweise waagerecht, keine Reaktion auslösen.

Verschiedene Neurone reagieren dabei auf Balken unterschiedlicher Neigung, sodass für jede mögliche Orientierung spezialisierte Zellen existieren. Das Phänomen des Flimmerskotoms lässt nun vermuten, dass diese Zellen während eines Anfalls in unnatürlicher Weise erregt werden. Tatsächlich geht man davon aus, dass eine sich langsam ausbreitende Erregungswelle (Streudepolarisierung, engl. spreading depression) über die Hirnoberfläche wandert, dabei nacheinander verschiedene der orientierungssensitiven Zellen erregt und so die Fehlwahrnehmung hervorruft.

Als Ursache dafür wird eine erhöhte Kaliumkonzentration in der Zellumgebung diskutiert. Gleichzeitig könnten durch so eine Erregungswelle auch andere Bereiche des Gehirns aktiviert werden, die für die Schmerzwahrnehmung zuständig sind, was wiederum den Migräneschmerz erklären könnte.

Dieser Zusammenhang zwischen der Streudepolarisierung und dem Migräneschmerz ist noch keineswegs geklärt, alternative Hypothesen favorisieren etwa einen vaskulären Mechanismus, bei dem die Schmerzen auf eine Erweiterung der Blutgefäße des Kopfes zurückgeführt werden oder auf die Beteiligung bestimmter Entzündungsmechanismen. Hier sind also noch weitere Untersuchungen nötig, aber sowas kennen Sie ja sicher auch …

ZUR PERSON

Prof. Dr. Holger Schulze
Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg
sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg.
Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.
www.schulze-holger.de

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 02/15 auf Seite 12.

 


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