Sobald sich Kleinkinder selbstständig fortbewegen können, beginnen sie damit, ihre Umwelt zu erkunden – mit Augen, Händen und Mund. © Aynur_sib / iStock / Thinkstock

Pädiatrie

GEFAHR IM HAUSHALT: VERGIFTUNGSFÄLLE BEI KINDERN

Es hat eine schöne Farbe, riecht gut nach Orange – warum nicht einmal probieren? So schnell greifen Kleinkinder nach Putz- und Spülmitteln, Haushaltsreiniger und Weichspüler. Über die Hälfte dieser Unfälle sind vermeidbar. Aber wenn es dann doch passiert, wie verhält man sich am besten?

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Nach Zahlen des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) gab es im Jahr 2007 ungefähr 70 500 Verdachtsfälle auf Vergiftungen bei Kindern, 17 000 davon zeigten eine leichte Vergiftungssymptomatik, 8610 mussten stationär behandelt werden und 17 Kinder starben an den Folgen einer Vergiftung. Das entspricht mehr als 50 Vergiftungsunfällen bei Kindern unter 15 Jahren am Tag. Dabei sind vor allem die unter Sechsjährigen beziehungsweise entwicklungsbedingt die Gruppe der Ein- bis Dreijährigen betroffen (Jungen etwas häufiger als Mädchen): Sie können sich fortbewegen, sind neugierig auf ihre Umwelt und erkunden diese vorzugsweise mit Händen, Füßen und Mund. Erst in einer anschließenden Entwicklungsphase (3./4. Lebensjahr) lernen sie Lebensmittel und fremde, wohlmöglich giftige Stoffe voneinander zu unterscheiden.

Gifte, Gifte, Gifte Eine Wohnung beziehungsweise ein Haus ist voll von potenziell giftigen Substanzen, die meisten benutzen wir sogar jeden Tag. Als erstes wären Haushaltsreiniger aller Art zu nennen: Geschirrspülmittel, Handspülmittel, Entkalker, Allzweckreiniger, Rohrreiniger, Waschmittel und Reiniger für Bad und WC. Dann natürlich Medikamente und Pharmazeutika, angefangen bei Hustensäften, Schmerztabletten und –salben, über Sexualhormone, Antibiotika und Magen-Darm-Therapeutika bis hin zu psychotisch wirksamen Substanzen. Im Bad lauern zudem verschiedene Kosmetika, wie Cremes, Duschgele, Shampoos oder Seifen, die als ebenso problematisch eingestuft werden können. Und zuletzt natürlich viele Zimmer-, Balkon- und Gartenpflanzen, vor allem solche mit bunten Blüten und Beeren wie beispielsweise Kirschlorbeer, Maiglöckchen oder schwarzer Holunder. Wie man sieht, ist es nahezu unmöglich in einem völlig „giftfreien“ Wohnbereich zu leben.

Tipps für ein „giftsicheres“ Zuhause
- Auf „Kinderhöhe“ begeben und einmal selbst erfahren, was wie gut zu erreichen ist
- Medikamente am besten in einem abschließbaren Schränkchen oder einer Kassette 
  aufbewahren; kühlpflichtige Arzneimittel in eine „uninteressante“ Hülle stecken
- Nie kommunizieren, Arzneimittel seien süß oder Bonbons; Kinderarzneimittel am besten
  separat lagern.
- Haushaltsreiniger in Schränken oder Schubladen mit Kindersicherung aufbewahren
  und nie in Getränkeflaschen umfüllen.
- Zigaretten oder E-Liquids nicht offen liegen lassen, Aschenbecher direkt entleeren.
- Auf Lampen- oder Duftöle verzichten, Kinder trinken sie aus den Duftschalen.
- Giftige Pflanzen aussortieren.
 - Kosmetika unzugänglich für Kinder aufbewahren, notfalls auch wegschließen.

Darum heißt es Unfall Die meisten Vorfälle passieren dabei nicht, weil das Kind oft allein gelassen oder gar vernachlässigt wird. Vielmehr sind es Unachtsamkeit und/oder eine Unterschätzung der Neugier des Kindes, das kann jeden Tag schnell und vor allem jedem passieren. Man ist zum Beispiel gerade beim Putzen, das Kind ist zwar dabei, aber unter Aufsicht. Auf einmal klingelt das Telefon oder es schellt an der Tür und schon ist der Nachwuchs mit der Flasche Allzweckreiniger allein. Auch unterschätzt man schnell, wie gut das eigene Kind schon Klettern kann und besser als man denkt an die vermeintlichen „Produkte außer Kindesreichweite“ kommen kann. Zusätzliche Achtsamkeit ist zudem während Besuchen bei kinderlosen Freunden oder den Großeltern gefragt. Aber auch Verwechslungen können zu ungewollten Vorfällen führen. Schnell ist statt der täglichen Fluorid-Tablette eine Schilddrüsentablette verabreicht oder statt eines Fieberzäpfchens für Säuglinge ein entsprechendes Suppositorium des älteren Geschwisterchens. Daher empfiehlt es sich, Kinder- und Erwachsenen-Medikamente getrennt voneinander aufzubewahren und nicht ohne die Verpackung und Packungsbeilage zu lagern.

Erste Hilfe Aber was tun, wenn es dann doch einmal passiert? Zunächst gilt, bei gestörter Atmung, Krampfanfall, starken Schmerzen oder Verätzungen/Verbrühungen sollte Ruhe bewahrt werden und sofort die 112 gewählt werden. Es ist in jedem Fall wichtig, herauszufinden wie die Beschwerden entstanden sind, beziehungsweise was sie ausgelöst haben könnte: Könnten es Medikamente, Zigarettenstummel, Alkoholreste oder Reinigungsmittel sein? Je mehr Wissen gesammelt wird, umso besser können eintreffende Hilfskräfte oder ein verständigter Kinderarzt helfen. Prinzipiell ist es natürlich sinnvoll, über die Giftigkeit und die gesundheitliche Gefahr jedes Haushaltsprodukts Bescheid zu wissen, um im Bedarfsfall schnell und sicher reagieren zu können. Darüber geben die Warn-, Gefahren und Sicherheitshinweise auf den Verpackungen Auskunft. Sollte Unsicherheit über die Giftigkeit oder den Hergang der Vergiftung bestehen oder das Kind keine lebensbedrohliche Symptome zeigen, kann ein Anruf bei der Giftnotrufzentrale helfen. In Deutschland gibt es insgesamt neun Giftinformationszentren, die rund um die Uhr 365 Tage im Jahr besetzt sind. Die dort tätigen Berater können auf medizinische, pharmazeutische und toxikologische Datenbanken über Medikamente, Chemikalien und andere Giftstoffe zurückgreifen, welche ständig aktualisiert werden. Für Hessen und Rheinland-Pfalz gilt dabei die Nummer 06131 1 92 40, es finden sich jedoch alle eingetragenen Nummern auch im Telefonbuch.

Kein Erbrechen erzwingen! Prinzipiell gilt: Erbrechen auszulösen ist obsolet und kann sogar gefährlich werden! Was in den 1990er Jahren noch als Mittel der Wahl galt, wird heute kritisch hinterfragt – der Grund: Aspirationspneumonien. Gelangt erbrochener Mageninhalt in die Lunge, kann es dort zu einer Entzündung kommen, die lebensbedrohlich verlaufen kann. Dies gilt im Besondern für tensidhaltige, also schäumende Produkte wie zum Beispiel Spülmittel, Shampoo oder Seife. Wurde das Mittel geschluckt, sollten eventuelle Reste sofort aus dem Mund entfernt und dem Kind einige langsame Schlucke Tee oder Wasser zu trinken gegeben werden. Bei schäumenden Substanzen ist es sinnvoll, immer ein Teelöffel eines sogenannten Entschäumers zu verabreichen. Dazu zählen die Arzneistoffe Dimeticon oder Simeticon. Sollte das Kind sich aus eigenem Tun heraus Erbrechen, sollte es möglichst aufrecht und nach vorne gebeugt gehalten werden.

Wurden die Augen getroffen, sofort für mindestens zehn Minuten mit klarem Wasser ausspülen und anschließend die Kinderklinik oder den pädiatrischen Notdienst verständigen. Bei Verätzungen auf der Haut wird empfohlen, die betroffenen Stellen mit kühlem, aber nicht kaltem Wasser für ungefähr zehn Minuten abzuspülen. Warnen Sie hierbei Ihre Kunden vor der Anwendung angeblicher Hausmittel, wie dem Auftragen von Mehl oder Öl, diese können zu einer Infektion oder Verunreinigung der Wunde führen. Ist generell die Atmung behindert, beispielsweise durch einen Fremdkörper, sollte versucht werden, diesen zu entfernen. Das geht am besten durch kräftige Rückenklopfer oder gegebenenfalls durch das Hochhalten des Kindes an den Füßen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) stellt zudem für das Verhalten im Ernstfall eine umfassende Verbraucherinformation zur Verfügung. Mögliche Gefahrenquellen werden erläutert und das Verhalten für die einzelnen Fälle (z.B. Waschmittel, Giftpilz, Spielzeug als Fremdkörper) und Erste Hilfe-Maßnahmen, die direkt durch Eltern oder Angehörige durchgeführt werden können.

Tipps für eine sinnvolle Notfallapotheke
- Tropfen mit Simeticon oder Dimeticon
- Medizinische Kohle (gepulvert), min. 5g pro Kind
- Wunddesinfektionsmittel
- Insektenstickgel/Kühlgel
- Pflaster, (steriles) Wundmaterial
- Schmerzsaft, -zäpfchen mit Paracetamol oder Ibuprofen (nach Gewicht)

Farina Haase,
Apothekerin, Volontärin

Quelle: 
Risiko Vergiftungsunfälle bei Kindern, Bundesinstitut für Risikobewertung, 2017 http://www.kindersicherheit.de/pdf/2009DatenFakten.pdf

Schaper A et al. Internistische praxis 2017;58:636-646 aus Medical Tribune, 53. Jahrgang, Nr.8, 23. Februar 2018

http://www.giftinfo.uni-mainz.de/giz/uebersicht.html

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