© bowie15 / iStock / Getty Images Plus
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Kolumne | Prof. Dr. Aglaja Stirn

FREUNDLICHKEIT

Der Schuldgedanke ist ein Grundphänomen menschlicher Existenz und durchzieht jedes menschliche Leben. Er ist eng mit der christlichen Lehre verbunden.

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In Freundlichkeit ist aber auch eine gesunde Distanz vorhanden und keine intime Nähe, die zu verfänglich wäre. Freundlichkeit ermöglicht ein gutes Miteinander, eine Möglichkeit der verbalen und nonverbalen Kommunikation, die uns ein leichteres Leben schenkt. Sie stabilisiert die zwischenmenschlichen Verhältnisse, egal ob im privaten oder öffentlichen Bereich. Der Mensch ist ein genuin soziales Wesen und schafft ein zwischenmenschliches Klima, welches sich sozial fortsetzt. Wir wissen alle, wie sehr es uns irritiert, wenn uns jemand Unfreundlichkeit entgegenbringt oder uns gar beschimpft, sei es im Straßenverkehr, beim Einkaufen oder anderswo.

Wir fragen uns sogleich, warum geschieht uns das, was haben wir getan - oder sind einfach nur erbost. Das zeigt, welche Bedeutung es hat, freundlich und respektvoll mit unseren Mitmenschen umzugehen. Schon ein freundliches Lächeln ist der Einstieg in ein gutes Miteinander. Die Fortsetzung kann dann auch sein, dass man hilfsbereit ist, dem Mitmenschen entgegenkommt und damit in die gesellschaftliche Mitmenschlichkeit investiert. Freundliche Menschen kommen besser an, haben es leichter, wir finden sie sympathischer. Das heißt, sie bekommen ihre Freundlichkeit auch wieder zurück. Das freundliche Miteinander ist viel mehr als nur der kurze Augenblick der tatsächlichen Begegnung.

Es bettet uns auch in eine freundliche Gesellschaft, es gibt uns Sicherheit und Geborgenheit und es lässt uns warmherziger auf unsere Mitmenschen schauen. Auch wenn es manchmal schwer ist, gerade in Zeiten der Krisen, wenn man selbst schlecht gelaunt ist oder unter Zeitdruck steht, dem anderen freundlich entgegenzukommen - umso wichtiger ist es, sich immer wieder darauf zu besinnen: Der andere ist nicht verantwortlich für meine eigenen Gefühle, meinen Zeitdruck oder meine schlechte Laune. Ich sollte ihn damit auch nicht zum Opfer meiner Taten machen. Auch wenn es nicht immer leicht ist, freundlich zu sein, gerade wenn man im Moment für sich keinen Grund dazu spürt, so ist es trotzdem wichtig daran festzuhalten, weil es das Leben der anderen, das eigene Leben und auch den Umgang der Menschen untereinander verbessert.

Man fühlt sich besser, wenn man ein Gespür für Freundlichkeit hat. Jeder weiß, wie schön der Tag ist, an dem ein anderer Mensch einem hilfsbereit und freundlich entgegengekommen ist. All das heißt natürlich nicht, dass man nicht auch seinen Unmut äußern oder zeigen darf, wenn Grenzen überschritten sind. Jedoch sollte man wissen, dass man immer in irgendeiner Art mit dem anderen kommuniziert und darauf achten, dass auch eine notwendige Abgrenzung oder Zurechtweisung nicht schroffer ausfällt als es notwendig ist. Besser ist eine freundlich verpackte, aber inhaltlich klare Botschaft.

Freundlichkeit ist also eine „win-win“-Sache. Wir genießen Freundlichkeit, es hebt unsere Stimmung, und als Folge hat auch die andere Seite etwas davon – dies führt normalerweise zu einer positiven Rückkopplung. Auch wenn ich selbst weiß, wie schwer es manchmal ist freundlich zu bleiben, weil etwas im Inneren rebelliert, in Summe hat es Vorteile. In Abwandlung des Kant’schen Imperativs - Sei zu anderen Menschen so, wie du dir wünschst, dass sie zu Dir sind.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 04/2021 auf Seite 12.

Zur Person
Professor Dr. Aglaja Stirn ist Direktorin des Instituts für Sexualmedizin und forensische Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Gruppentherapie, Psychoanalyse und Sexualtherapie an der Universität Kiel, Zentrum für Integrative Psychiatrie ZIP.
www.zip-kiel.de 

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