Ein Sonnenblumenfeld und ein bewölkter Himmel, durch den stellenweise die Sonne durch bricht.© Pretti / iStock / Getty Images Plus
Das Gesicht immer der Sonne zugewandt, wie optimistisch! Nun ist die Sonnenblume auch pharmazeutisch eine Hoffnungsträgerin.

Forschung | Darmerkrankungen

SONNENBLUMEN GEGEN SCHMERZEN

Was tun bei entzündlichen Schmerzen im Magen-Darm-Trakt? Das Dilemma: NSAR wirken analgetisch und antiinflammatorisch, die schützende Schleimhaut leidet aber unter ihnen. Und Opioide machen schläfrig oder euphorisch – im Alltag ungünstig. Ein Peptid aus der Sonnenblume könnte den Kompromiss bringen.

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Opioide binden an den μ-Opioid-Rezeptor im Nervensystem und, da sie die Blut-Hirn-Schranke überwinden, auch im Gehirn. So lindern sie starke Schmerzen. Gleichzeitig können sie den Anwender euphorisieren, benommen und schläfrig machen oder bei Überdosierung sogar zum Atemstillstand führen. Nicht zuletzt geht von Opioiden auch eine Suchtgefahr aus. Deshalb verordnen Ärzte sie nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung.

Forscher suchen deshalb seit Jahren nach neuen Wirkstoffen. Ein möglicher Kandidat ist das Gift des Kugelfischs, ein anderer stammt aus einer speziellen Penicillium-Art. Beide wirken ähnlich wie Morphin-Derivate. Nun hat ein Team des Instituts für Pharmakologie des MedUni Wien, der University of Queensland und der Flinders University um Edin Muratspahić ein neues Schmerzmittel entdeckt: ein Peptid aus der Sonnenblume.

My oder Kappa?

Während die bekannten Opioide an den μ-Opioid-Rezeptor binden, konzentrierte das Team sich auf Agonisten am κ-Opioid-Rezeptor (Kappa-Opioid-Rezeptor, KOR). Wird der KOR stimuliert, hemmt er die Adenylatcyclase, aktiviert Kaliumkanäle und hemmt spannungsabhängige Calcium-Kanäle – so wie der μ-Rezeptor. Das Ergebnis: Analgesie.

Anders als die μ-Rezeptoren ist bei Aktivierung des KOR die Sedierung geringer und die Gefahr für Atemstillstände ist kleiner. Allerdings löst der KOR im Gehirn auch negative Emotionen wie Angst oder Trauer aus, führt zu Schläfrigkeit und Halluzinationen. Warum also befassen die Forscher sich mit diesem Rezeptor?

Ein Wirkstoff, der die Blut-Hirn-Schranke nicht überwindet und nur an die peripheren und viszeralen  Rezeptoren des Körpers bindet, würde die positiven Effekte des KOR nutzen ohne die negativen Eigenschaften zu aktivieren. Nach genau so einer Substanz suchten die Wissenschaftler.

Abgeschaut: Sonnenblumen

In der traditionellen Medizin wurden sie fündig: Sonnenblumenkern-Extrakt hilft Berichten zufolge bei Schmerzen und Entzündungen. Das Team isolierte einen der Hauptbestandteile des Extrakts, das Peptid SFTI-1 (sunflower trypsin inhibitor). Und tatsächlich: Die Substanz bindet an den κ-Rezeptor und hemmt Schmerzsignale.

Dieses Peptid modifizierten die Wissenschaftler noch, indem sie in die ringförmige Proteinkette verschiedene Liganden einbauten. Die besten Eigenschaften erzielten sie bei der 19. Variation. Das neue Molekül nannten sie Helianorphin-19 – es wirkte noch effektiver als SFTI-1. Christian Gruber, einer der Forscher, erklärt: 

„Dieses Peptid ist äußerst stabil, hochpotent und wirkt restriktiv in der Körperperipherie. Daher sind bei Anwendung auch weniger der typischen Nebenwirkungen von Opioiden zu erwarten.“

Helianorphin-19
Der Wirkstoff Helianorphin-19 (von Helianthus annuus, Sonnenblume) bindet effektiv an κ-Opioid-Rezeptoren, überquert die Blut-Hirn-Schranke aber nicht. Der Wirkstoff ist stabil und unempfindlich gegenüber Magensäure, es ist also möglich, ihn in Tablettenform zu applizieren.

Wirksames und selektives Schmerzmittel

Im Mausversuch konnten die Wissenschaftler zeigen, dass ihr Präparat wirkt: Sie verabreichten es Tieren mit überempfindlichem Darm. Die bei Schmerzen typische Dehnung des Darms ging nach einer Injektion von Helianorphin-19 zurück. Eine Kontrollgruppe von gesunden Mäusen hingegen reagierte nicht auf den Sonnenblumen-Extrakt.

Verhaltenstests (der sogenannte Flinch-Jump-Test) zeigten, dass die Mäuse nicht sediert oder berauscht waren. Demnach blockiert Helianorphin-19 zwar die Schmerzsignale, führt aber nicht zu den typischen unerwünschten Opioid-Wirkungen.

Kandidat gegen entzündliche Darmerkrankungen

Wissenschaftler Gruber fasst zusammen: „Dieser Wirkstoff erwies sich als unser Top-Kandidat als mögliches neuartiges Schmerzmittel, besonders für Schmerzen im Magen-Darm-Trakt oder in den peripheren Organen.“ Helianorphin-19 könnte also bei entzündlichen Darmerkrankungen zum Einsatz kommen.

Quellen:
Edin Muratspahić et al.:“ Design of a Stable Cyclic Peptide Analgesic Derived from Sunflower Seeds that Targets the κ-Opioid Receptor for the Treatment of Chronic Abdominal Pain“, Journal of Medicinal Chemistry, 23. Juni 2021. https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acs.jmedchem.1c00158
https://www.forschung-und-wissen.de/nachrichten/medizin/schmerzmittel-aus-peptid-der-sonnenblume-13375138
https://www.forschung-und-wissen.de/nachrichten/medizin/kugelfisch-gift-tetrodoxin-kann-opioid-schmerzmittel-ersetzen-13373060
https://www.forschung-und-wissen.de/nachrichten/medizin/natuerliches-pilz-schmerzmittel-koennte-opioide-ersetzen-13373450

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