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Migräne

EIN ECHTES SCHRECKGESPENST

Was hatten Albert Einstein, Marie Curie und Madame Pompadour gemeinsam? Sie alle wurden von Migräne gepeinigt. Die neurologische Erkrankung betrifft Frauen dreimal so häufig wie Männer.

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Otto von Bismarck, findiger Architekt im Bündnispoker der europäischen Mächte und Reichskanzler unter Kaiser Wilhelm I., tat manchmal etwas für ihn untypisches: Er weinte. Und zwar sehr heftig. Dabei wurde er von Krämpfen erschüttert, untermischt von bebenden Zornausbrüchen. Der mächtige Mann zeigte dann, dass er auch nur ein Mensch war, der den beruflichen Dauerstress nicht gut vertrug: Er litt nämlich unter Migräne.

Migräne-Kopfschmerzen können die reine Folter sein: Pulsierende, einseitige und starke Schmerzen dauern dann Tage, in denen der Betroffene im abgedunkelten Schlafzimmer liegen muss. Licht, Geräusche, starke Gerüche – all das verstärkt den Horror noch. Hinzu kommt, dass Magen und Darm rebellieren und manchmal treten sogar verstörende Fehlwahrnehmungen des Gehirns auf: Dann leiden Migräniker unter der so genannten Aura.

Familiäre HäufungAcht Millionen Menschen sind in Deutschland betroffen, Frauen dabei besonders häufig: Etwa 19 Prozent erleben pro Jahr mindestens einen Migräneanfall, jedoch nur sieben Prozent der Männer. Keine Unterschiede der Geschlechter gibt es hingegen bei Kindern und Jugendlichen: Vor der Pubertät trifft es neun Prozent. Migräne wird einem in die Wiege gelegt, es besteht eine eindeutige familiäre Häufung. Da sie eine ernsthafte neurologische Erkrankung darstellt, muss die Erstdiagnose ein Arzt vornehmen. Er wird diese primäre Kopfschmerzform auch von Spannungs-, Cluster- und medikamenteninduziertem Kopfschmerz unterscheiden.

Bis in alle Einzelheiten ist die Entstehung einer Migräne noch nicht geklärt, doch es besteht Übereinstimmung, dass sie mit einer erhöhten Aktivität im Ursprungsgebiet des Trigeminus-Nervs beginnt. Die Erregung wird dann vom Trigeminus-Nerv bis in seine Endäste weitergegeben, die in die Blutgefäße der Hirnhaut münden. Durch die erhöhte Nervenaktivität kommt es zu einer gleichzeitigen schlagartigen Verengung und Erweiterung der Blutgefäße; eine Aktivierung der Serotonin-Rezeptoren (5-HT1B) spielt dabei eine Rolle. Moderne Migräne-Medikamente wie Triptane setzen hier an; das erklärt auch, warum diese Stoffgruppe bei „normalen“ Kopfschmerzen nicht wirkt.

Symptome einer Migräne

Eine „echte“ Migräne besitzt typische Begleitsymptome, die sie sehr deutlich von Spannungskopfschmerzen unterscheidet. So tritt eine Migräne in den meisten Fällen einseitig auf; der Schmerz ist dabei von einer pochenden, pulsierenden Qualität. Oft ist er so stark, dass die oder der Betroffene Bettruhe halten müssen und buchstäblich außer Gefecht gesetzt sind.

Die Dauer eines Anfalls schwankt zwischen 4 und 72 Stunden. Begleiterscheinungen sind meist Übelkeit und Erbrechen sowie eine unterschiedlich stark ausgeprägte Licht-, Geruchs- und Geräuschempfindlichkeit. Bewegung tut nicht gut, sie verstärkt nur den Schmerz.

Trigger Das englische Wort für Auslöser – Trigger – spielt bei der Migräne-Entstehung oftmals eine Rolle. Zwar sind bei vielen Patienten die auslösenden Trigger nicht bekannt, doch dafür bei anderen ganz genau: Häufigster Trigger ist Stress – besonders das Nachlassen von Stress wie bei der Wochenend-Migräne –, bestimmte Nahrungs- oder Genussmittel (Rotwein, Schokolade, Käse), zu viel oder zu wenig Schlaf, spezielle Gerüche, bestimmte Wettersituationen. Bei Frauen kommen hormonelle Schwankungen als Trigger hinzu; bei ihnen besteht meist ein Zusammenhang zwischen ihrer Monatsblutung und dem Auftreten eines Anfalls. Manche Frauen können oft auf den Tag genau vorhersagen, wann die Migräne kommt. Insbesondere der zyklische Rückgang des Estrogens im Menstruationszyklus scheint hier die Attacken auszulösen.

Aura Vier Phasen sind es, die einen Migräne-Anfall kennzeichnen. Bei einem Drittel der Patienten kündigen sich die Attacken einige Stunden vorher an. Häufige Symptome: Müdigkeit, Geräuschempfindlichkeit und häufiges Gähnen. Manchmal besteht auch Heißhunger auf bestimmte Lebensmittel –oder, im Gegenteil, Magen- und Darmprobleme. Der Überempfindlichkeit geschuldet ist auch eine gesteigerte Reizbarkeit der Stimmung. 15 bis 20 Prozent erleben vor einem Migräneanfall das neurologische Phänomen der Aura. Dies kann bei seinem ersten Auftreten verstörend sein.

Am häufigsten kommt es dabei zu Sehstörungen wie Flimmern vor den Augen oder Farbwahrnehmungen. Aber auch Taubheitsgefühle in Gesicht und Armen bis hin zu Lähmungen, Schwindel und Sprachstörungen sind möglich. Bei 80 Prozent der Betroffenen tritt nach der Aura eine kleine Pause ein, bevor der Kopfschmerz dann mit Wucht zuschlägt. Nach dem Anfall, der bis zu drei Tage dauern kann, fühlen sich die Patienten meist müde und abgespannt – und es besteht danach oft eine so genannte Harnflut.

Das Wort Migräne hat seinen Ursprung im Mittellateinischen hemigrania und bedeutet „Kopfschmerz auf der einen Seite“.

Medikamente Zum Glück hat die Migränebehandlung Fortschritte gemacht. Patienten sind heutzutage dem Schmerz nicht mehr so hilflos ausgeliefert wie in früheren Zeiten. 1884 entdeckte man das Mutterkornalkaloid Ergotamin als Therapeutikum. Heute werden neben frei verkäuflichen Schmerzmitteln wie Ibuprofen und Paracetamol spezielle Migräne-Mittel eingesetzt. Triptane, die Rezeptorantagonisten, müssen dabei rechtzeitig eingenommen werden, wenn der Betroffene die ersten Anzeichen eines Anfalls spürt. Da die Nebenwirkungen erheblich sein können, muss die erste Einnahme immer von einem Arzt verordnet sein und unter ärztlicher Kontrolle erfolgen, denn einige Triptane sind mittlerweile in der Apotheke auch rezeptfrei erhältlich.

Wer mehr als zehn Tage im Monat an Migräne leidet, für den kommt auch die prophylaktische Behandlung infrage. Bei dieser Art der Migräne-Therapie werden Medikamente vorbeugend eingenommen – dazu gehören beispielsweise Betablocker, die normalerweise gegen Bluthochdruck eingesetzt werden, oder trizyklische Antidepressiva, die bei der Behandlung psychischer Erkrankungen zum Einsatz kommen. Auch Mittel gegen Epilepsie oder – in besonders schweren Fällen – Botulinum- Injektionen werden angewendet.

Frauen mit menstrueller Migräne können Schmerzmittel und Triptane auch vorbeugend einnehmen. Eine hormonelle Prophylaxe ist überdies möglich. Um der Migräne auf die Spur zu kommen, führen viele Betroffenen ein Migränetagebuch, das dem Arzt hilft, die passende Diagnose zu stellen. Darin halten Frauen und Männer fest, wie häufig die Anfälle kommen, in welchen Situationen sie erfolgen und was mögliche Trigger gewesen sein könnten. Auch Länge und Stärke des Ereignisses werden hier verzeichnet.

Den Artikel finden Sie auch in der Sonderausgabe Frauengesundheit der PTA IN DER APOTHEKE ab Seite 20.

Alexandra Regner, PTA und Journalistin

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