© DIE PTA IN DER APOTHEKE
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Interview

„DIE WHI-STUDIE WURDE IN VIELEN PUNKTEN MISSINTERPRETIERT“

Die Ergebnisse der großen WHI-Studie werden nach den aktuellen Follow-up-Studien völlig neu interpretiert. Die PTA IN DER APOTHEKE sprach mit Dr. med. Katrin Schaudig über die aktuellen Erkenntnisse in Bezug auf die Hormonersatztherapie.

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Frau Dr. Schaudig, nach dem Schock der WHI-Studie sind die Gynäkologen der Hormonersatztherapie gegenüber seit einiger Zeit wieder milder gestimmt. Wie erklärt sich das?
Dr. Katrin Schaudig:
Inzwischen konnten die rigiden Schlussfolgerungen der WHI-Studie relativiert werden. Nach genauer Auswertung des Studiendesigns und Follow-up- Analysen lässt sich heute sagen, dass die Studie in vielen Punkten missinterpretiert wurde. So ließ sich herausarbeiten, dass die Frauen, die an der Untersuchung teilnahmen, nicht gesund waren, etwa die Hälfte war bereits mit den wesentlichen Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen, wie Adipositas, Hypertonie, Dyslipoproteinämie, vorbelastet oder waren Raucherinnen. Etwa zehn Prozent der Probandinnen hatten bereits kardiovaskuläre Erkrankungen.

Einer der wichtigsten Fehler der Studie war jedoch das durchschnittliche Alter der teilnehmenden Frauen, das mit 63 Jahren mehr als zehn Jahre über der Altersgruppe der Patientinnen mit neu auftretenden Wechseljahrsbeschwerden lag. Zwei der Autoren der Studie bedauern heute die Tatsache, dass die Darstellung der Studienergebnisse in der Fach- und Laienpresse zu einer insuffizienten Betreuung von peri- und postmenopausalen Frauen geführt hat und entschuldigten sich offiziell bei den Patientinnen.

WHI-STUDIE:

Sie ist die größte randomisierte, placebokontrollierte Studie, die jemals zum Thema Hormonersatztherapie durchgeführt wurde: Circa 16 000 postmenopausale Frauen mit intaktem Uterus erhielten über einen Zeitraum von im Schnitt 5,6 Jahren entweder eine kombinierte Hormontherapie aus konjugierten equinen Estrogenen (CEE) und Medroxyprogesteronacetat (MPA) zum Schutz des Endometriums oder ein Placebo. In einem zweiten Arm der Studie, an dem sich rund 10 000 postmenopausale Frauen ohne Gebärmutter beteiligten, erhielten die Frauen im Mittel über 7,2 Jahre ausschließlich konjugierte equine Estrogene.


Welche Aussagen lassen sich Stand heute für das Brustkrebsrisiko aus der WHI-Studie ableiten?
In der kürzlich publizierten Nachbeobachtungsanalyse (Follow-up nach 18 Jahren) der WHI-Studie zeigte sich für alle Verum-Patientinnen (mit und ohne Gestagen), dass die Mortalitätsrate der Hormonanwenderinnen insgesamt nicht höher war als bei Nichtanwenderinnen. Bei Frauen, die zwischen 50 und 60 Jahren mit der Hormoneinnahme begonnen hatten, war die Mortalitätsrate sogar signifikant geringer als bei Patientinnen im sogenannten Placebo-Arm. Die Brustkrebsmortalität war in der WHI-Studie sowohl im 18- als auch im 20-jährigen Follow-up bei den Patientinnen mit Estrogenmonotherapie signifikant niedriger als unter Placebo und es spricht einiges dafür, dass adipöse Patientinnen stärker von der Estrogengabe profitieren als schlanke, da sich unter Estrogengabe die Insulinresistenz verbessert.

Für die Kombinationstherapie von CEE und MPA war die Brustkrebsmortalität nach 18 Jahren erhöht, wenn auch nicht signifikant. Grundsätzlich ist eine Estrogen-Monotherapie mit einem deutlich geringeren Brustkrebsrisiko verknüpft als die Kombination eines Estrogens mit einem Gestagen. Eine additive Gestagengabe ist bei Patientinnen mit noch vorhandenem Uterus allerdings zwingend, da ansonsten das Risiko für einen Gebärmutterschleimhautkrebs bei langfristiger Anwendung auf das 8- bis 10-Fache erhöht ist. Das Brustkrebsrisiko ist aber selbst bei der Kombinationstherapie insbesondere in den ersten fünf Jahren deutlich geringer, als es von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.

Lässt sich das Brustkrebs-Risiko, das mit Gestagen einhergeht, minimieren?
Es scheint günstigere Gestagene zu geben als das in der WHI-Studie eingesetzte MPA, die vermutlich in Kombination mit einem Estrogen mit einem geringeren Brustkrebsrisiko einhergehen. Beobachtungsstudien deuten darauf hin, dass Progesteron und sein Isomer Dydrogesteron geringere negative Effekte auf das Brustkrebswachstum aufweisen, möglicherweise gilt dies auch für das Chlormadinonacetat. Jedoch fehlen hier noch prospektive, randomisierte Vergleichsstudien.

Wenn man die Gestagene in Analogie zum natürlichen Zyklus nur 14 Tage pro Monat einsetzt, geht man ein geringeres Brustkrebsrisiko ein als bei der durchgehend kombinierten Gabe (wie sie in der WHI-Studie erfolgte). Allerdings ist dies meist mit einer Entzugsblutung verbunden, was nicht alle postmenopausalen Frauen akzeptieren. Das Progesteron kann auch vaginal appliziert werden, was für den Endometriumschutz möglicherweise günstiger ist. Wichtig ist es auf jeden Fall, die Anwenderinnen darauf hinzuweisen, das Mammografie- Screeningprogramm und die jährliche Untersuchung der Brust durch den Frauenarzt besonders ernst zu nehmen.

Es gibt inzwischen ja auch andere Möglichkeiten, dem Körper die Hormone zuzufügen als oral. Welche Vorteile haben diese etwas umständlicheren Methoden?
Das mit der Estrogengabe einhergehende erhöhte Thromboserisiko – das auch 50- bis 60-Jährige betrifft – lässt sich nahezu eleminieren, wenn das Hormon transdermal zugeführt wird, also als Gel, Pflaster oder Spray. Dadurch lässt sich der Leberkreislauf umgehen – anders als bei der oralen Anwendung – und die hepatischen Gerinnungsparameter werden nicht nennenswert aktiviert.

Dadurch lässt sich vermutlich auch das Schlaganfallrisiko minimieren. Der Gestagenschutz muss dann jedoch ergänzt werden, zum Beispiel oral, intrauterin, vaginal oder die Patientin wendet ein Kombinationspflaster an. Letzteres ist allerdings erst sinnvoll, wenn die Ovarien kein eigenes Estrogen mehr produzieren, da die Gestagendosis in den Kombinationspflastern sonst zum Endometriumschutz nicht ausreicht.

Welche weiteren Empfehlungen geben Sie Ihren Patientinnen in den Wechseljahren?
Grundsätzlich empfehle ich meinen Patientinnen, die unter den Wechseljahren leiden, mit der Hormonersatztherapie im Zeitraum zwischen 50 und 60 Jahren zu beginnen. Dieses Alter gilt unter Experten als „window of opportunity“, also günstigstes Zeitfenster. Denn in diesem Alter ist noch eine geringe eigene Estrogenwirkung am Endothel vorhanden oder sie liegt noch nicht so lange zurück, sodass ein protektiver Effekt auf das Gefäßsystem relativ wahrscheinlich ist. Dieser Effekt der frühzeitigen HRT scheint sich übrigens auch auf vaskuläre Demenzen und Morbus Alzheimer günstig auszuwirken.

Letzteres wird aber deutlich kontroverser diskutiert als die Wirkung einer frühzeitigen HRT auf das Herzkreislaufsystem. Alle Frauen – mit oder ohne Beschwerden – können auch mit ihrer Lebensweise dazu beitragen, das Brustkrebsrisiko und das Risiko für andere Erkrankungen zu senken, indem sie beispielsweise mehr Sport treiben. Auch Übergewicht und täglicher Alkoholkonsum erhöht das Risiko für Brustkrebs in deutlich höherem Maßen als die Einnahme bestimmter Hormonkombinationen.

Dieses Interview finden Sie auch in der Sonderausgabe Frauengesundheit von DIE PTA IN DER APOTHEKE ab Seite 16.

Das Interview führte Dr. Susanne Poth

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