Grafische Darstellung eines Fötus in der Fruchtblase.
Die Plazenta entsteht aus der befruchteten Eizelle und nährt das Kind im Mutterleib. © Magicmine / iStock / Getty Images Plus

Plazenta | Gendefekte

„DER ‚WILDE WESTEN‘ DES MENSCHLICHEN GENOMS“

Die Plazenta ähnelt der Struktur von Tumoren. Sie weist sogar in vielen Fällen – im Gegensatz zu dem entstehenden Kind – eine Vielzahl an Genmutationen auf. Das zeigen neue genetische Analysen. Inwiefern solche Mutationen Einfluss auf Komplikationen in der Schwangerschaft haben, zeigen Studien.

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Eine befruchtete Eizelle nistet sich in der Gebärmutterschleimhaut an und beginnt sich zu teilen. Dabei entsteht ein Embryo – und die Plazenta. Sie wächst in das mütterliche Gewebe ein und versorgt den Embryo mit Nährstoffen. Außerdem entsorgt sie Abfallprodukte und reguliert Hormone. Dabei verhalten sich die Plazentazellen ähnlich wie ein Tumor: Sie dringen in fremdes Gewebe ein, vermehren sich schnell und sorgen dafür, dass neue Blutgefäße gebildet werden.

Auch in genetischer Hinsicht hat der Mutterkuchen vieles mit Tumoren gemein. Das konnte ein Team um Tim Coorens vom Wellcome Sanger Institute in Hinxton nachweisen. Co-Autor Stephen Charnock-Jones von der University of Cambridge berichtet: „Die Raten und Muster von genetischen Mutationen in der Plazenta sind im Vergleich zu anderen gesunden menschlichen Geweben unglaublich hoch.“

Der Plazenta scheinen diese Anomalien nichts auszumachen. Wenn der Embryo hingegen von solchen genetischen Abweichungen betroffen wäre, könnte das Kind meist nicht überleben.

Die Forschenden untersuchten verschiedene Gewebeproben aus 42 Plazentas Dabei entnahmen sie die Proben an unterschiedlichen Stellen des Organs. 86 Proben stammten aus Biopsien, 106 aus Mikrodissektionen, bei denen einzelne Zellen entnommen wurden. Für jede dieser Proben sequenzierten sie das komplette Genom. 41 von 86 Biopsie-Proben enthielten mindestens eine Veränderung in der Anzahl der Genkopien. Während derartige Veränderungen in anderen Geweben sehr problematisch wären, toleriert die Plazenta diese ohne gesundheitliche Auswirkungen.

Darüber hinaus konnten die Forscher anhand ihrer Stichproben erkennen, dass die Mutationslast in der Placenta nicht darüber entscheidet, ob die Schwangerschaft problemlos oder kompliziert verläuft.

Genetisch relevante Unterschiede
In einer Plazenta stellten die Forscher unter anderem eine Trisomie des Chromosoms zehn fest. In der Regel sterben Embryonen mit diesem Gendefekt im Mutterleib. Allerdings war im untersuchten Fall das Kind nicht betroffen. „Die Zellpopulationen, aus denen sich das Kind entwickelte, hatten die korrekte Anzahl von Kopien des Chromosoms zehn“, berichtet Smith. „Es war faszinierend zu beobachten, wie ein so schwerwiegender genetischer Fehler wie ein chromosomaler Kopienzahlfehler vom Baby ausgebügelt wurde, aber nicht von der Plazenta.“

Obwohl Plazenta und Embryo also aus der gleichen befruchteten Eizelle entstehen, können sie sich genetisch relevant unterscheiden. Sogar die Gewebeproben einer Plazenta weisen Unterschiede auf: Jede Probe besitzt eine einzigartige genetische Signatur. Die Zellen scheinen – wie Krebszellen – durch massive Vermehrung aus einer einzigen Vorgängerzelle entstanden zu sein. „Das deutet darauf hin, dass die Plazenta ein Flickenteppich aus mosaikartigen, unabhängigen genetischen Einheiten ist“, so die Autoren.

Coorens Kollege Sam Behjati fasst zusammen:

Die Plazenta ist so etwas wie der ‚Wilde Westen‘ des menschlichen Genoms und unterscheidet sich in ihrer Struktur völlig von jedem anderen gesunden menschlichen Gewebe. Sie kann uns vor Fehlern in unserem genetischen Code schützen, obwohl die Plazenta von einer hohen Krankheitslast betroffen ist

Größere Stichproben in zukünftigen Studien könnten zeigen, inwieweit sich genetische Defekte in der Plazenta auf den Verlauf der Schwangerschaft auswirken und wie sie die Gesundheit von Mutter und Kind beeinflussen.

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Sabrina Peeters,
Redaktionsvolontärin

Quellen:
https://www.wissenschaft.de/gesundheit-medizin/plazenta-als-muellhalde-fuer-gendefekte/
Tim Coorens (Wellcome Sanger Institute, Hinxton, UK) et al.: „Inherent mosaicism and extensive mutation of human placentas“, Nature

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