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Krankheiten berühmter Persönlichkeiten

DER STUMME FRIEDRICH

Behandlungsfehler, Fehldiagnosen und Grabenkämpfe unter den behandelnden Ärzten: Der deutsche Kronprinz Friedrich Wilhelm, letztlich 99-Tage-Kaiser, hatte nicht nur unter seiner schweren Krebserkrankung zu leiden.

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Friedrichs Krankengeschichte begann im Januar 1887, 55 Jahre alt und immer noch Kronprinz. Das Bewusstsein, dass seine Zeit bereits abgelaufen ist, bevor sie eigentlich begonnen hat, überschattet auch seine Kaiser- und Regierungszeit.

Keine schlichte Erkältung Ab Januar 1887 litt der preußische Thronfolger Friedrich Wilhelm von Hohenzollern an Heiserkeit. Da diese jedoch zwei Monate später immer noch nicht verflogen war, nahm Professor Carl Gerhardt, Berliner Kehlkopfspezialist und Chefarzt an der Berliner Charité, am 6. März eine Kehlkopfspiegelung vor. Er entdeckte neben geröteten Stimmbändern ein längliches, blass-rotes-flaches Knötchen. Diese als primär gutartige Veränderung wahrgenommene Geschwulst wurde mittels der Operationsmethode „Galvanokaustik“ entfernt, indem der Rachen mit Kokain betäubt und die Wucherung mithilfe einer glühenden Platindrahtschlinge abgebrannt wurde.

Da die Geschwulst jedoch sehr schnell nachwuchs und zu Bewegungseinschränkungen des linken Stimmbandes führte, zog Prof. Gerhardt nach vierzehn „galvanokaustischen Sitzungen“ schließlich den Chirurgen Ernst von Bergmann hinzu, der am 16. Mai ohne histologischen Befund die Diagnose Kehlkopfkrebs stellte. Direkt für den 21. Mai wurde eine halbseitige Kehlkopfentfernung vorgesehen, doch Kaiser Wilhelm I. verbot nach Intervention Bismarcks den Eingriff. Stattdessen wurde der bekannte englische Laryngologe Dr. Morell Mackenzie hinzugezogen.

Untersuchungsversäumnisse, Fehldiagnosen, Behandlungsfehler Dieser „Promi-Arzt“ galt als Koryphäe in Kehlkopfangelegenheiten. Er hielt das Kehlkopfgeschwür des Kronprinzen bei seiner Untersuchung am 20. Mai jedoch offiziell – wider Erwartung der deutschen Kollegen – für gutartig, empfahl jedoch eine Gewebeprobe, also die histologische Befunderhebung. Die von Mackenzie entnommene Gewebeprobe wurde vom legendären deutschen Pathologen Prof. Rudolf Virchow in der Berliner Charité untersucht. Sein Ergebnis: Kein Krebs, sondern eine warzige Wucherung auf den Stimmbändern, bezeichnet als Pachydermia verrucosa laryngis.

VORSCHAU
In unserer Serie „Krankheiten berühmter Persönlichkeiten“ stellen wir Ihnen demnächst folgende
Menschen vor:
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Der Kronprinz wurde statt operiert zu einem Kuraufenthalt an die Südküste Englands geschickt, bereiste, angeleitet von Mackenzie, weiter das südliche Europa, um durch die milde Seeluft Linderung zu erfahren: Venedig, Lago Maggiore, San Remo … Heiserkeit und Schluckbeschwerden wurden jedoch nur schlimmer, Ende Oktober verlor der Thronfolger endgültig seine Stimme, konnte sich nur noch schriftlich oder flüsternd verständlich machen. Der Hals schwoll an, der zuvor aufrechte, kräftige Mann magerte zusehends ab.

Nach einer neuerlichen Untersuchung im November 1887 äußerte Dr. Mackenzie erstmals gegenüber dem Kronprinzen den Verdacht, es könne sich doch um Krebs handeln. Da viele deutsche Zeitungen kritisierten, dass der deutsche Thronfolger primär von einem Engländer behandelt wurde, berief Mackenzie Mitte November ein Komitee deutscher Ärzte ein, die Friedrich Wilhelm in der Folge täglich mehrmals untersuchten.

»Das Bewusstsein, dass seine Zeit bereits abgelaufen ist, bevor sie eigentlich begonnen hat, überschattet auch seine Kaiser- und Regierungszeit.«

Diese stritten sich jedoch fortwährend über Ursache der Erkrankung, deren Folgen und Therapiemöglichkeiten, waren vielfach mehr mit internen Rangkämpfen als dereigentlichen Erkrankung beschäftigt. Für sinnvolle Therapien war es schon längst zu spät. Letztlich wurde dem Kronprinzen als einzige Möglichkeit die damals noch ausgesprochen riskante Kehlkopftotalentfernung vorgeschlagen, deren Überlebensrate gerade einmal zehn Prozent betrug. Zudem hätte sie die unwiderrufliche „Stummschaltung“ des kommenden Kaisers bedeutet. Kronprinz Friedrich wusste dies, lehnte ab, erlaubte aber – falls der Tumor ihm nicht mehr genügend Luft zum Atmen ließe – einen Luftröhrenschnitt.

Diese Tracheotomie erfolgte am 9. Februar 1888 in San Remo. Dabei stritten sich die Ärzte aberwitziger Weise noch darüber, ob eine Silberkanüle eines deutschen oder englischen Herstellers in die Luftröhre geschoben werden sollte,weshalb extra ein Lungenspezialist aus Straßburg geholt wurde. Als Friedrichs Vater, der robuste Hohenzollern-Kaiser Wilhelm I. am 9. März 1888 mit fast 91 Jahren starb, trat Friedrich noch das Thronerbe seines Vaters an – als erster und einziger stummer deutscher Kaiser und preußischer König.

Aufgrund seiner liberalen Haltung waren aus dieser politischen Richtung große Hoffnungen in ihn gesetzt worden. Ihm blieben jedoch nur 99 Tage, keine Zeit, dem Kurs des Landes eine wirkliche Wende zugeben. Friedrichs letzter Tagebucheintrag am 15. Juni 1888 stammt nicht mehr von ihm selbst. Es ist die Kaiserin Friedrich, wie sich seine Witwe bald nannte, die notierte: „Um 11.– ein halb – hörte er auf zu athmen! Ach – wie konnte so furchtbares geschehen! Wehe mir, daß ich es überdauern muß!! – Armes Vaterland!“

Die Schuldfrage Die Hauptschuld am Tod Friedrichs III. wird von deutscher Seite gerne dem englischen Arzt Mackenzie – und seiner Gutartigkeitshypothese – zugeschrieben. Womöglich hat dieser den Krebs jedoch erkannt und zunächst bewusst „vertuscht“, denn in Mackenzies Standardwerk steht geschrieben: Bei Kehlkopfkrebs kann man nichts tun als das Lebensende möglichst hinauszuzögern und wenn es unvermeidlich da sei, dem Kranken möglichst erleichtern. Chirurgische Eingriffe seien als zwecklos zu unterlassen. Genau so hat er gehandelt!

Umgekehrt ist aus heutiger Sicht nicht erklärbar, warum der deutsche Prof. Gerhardt, erst als der Tumor deutlich gewachsen war, einen weiteren Spezialisten zur Behandlung hinzuzog. Ebenso wenig erklärbar ist, warum die deutschen Ärzte allein aufgrund klinischem Erscheinungsbild Schlüsse zogen und nicht sofort und so früh wie möglich eine histologische Befundsicherung stattfand. So konnten wertvolle Wochen verstreichen. Und die von Virchow vorgenommene histologische Untersuchung fand an einer Biopsie, genommen nach mehrfacher „Galvanokaustik“, statt.

Dies ist noch dazu vor dem Hintergrund zu sehen, dass es sich um den Thronfolger des Deutschen Reiches handelte und somit weder ökonomische noch logistische Hindernisse als Entschuldigung für die Versäumnisse herhalten können. Die Autopsie ergab jedenfalls zweifelsfrei, dass Friedrich Wilhelm am Kehlkopfkrebs gestorben war. Eine frühere Operation hätte ihn allerdings auch nicht gerettet, nur womöglich sein Leben etwas verlängert. Und die berechtigte Frage ist: Zu welchen Lebensqualitätsbedingungen? Den Thron bestieg anschließend sein Sohn, Wilhelm II. Auch er ein kranker Mann.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 09/15 ab Seite 50.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Fachjournalistin

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