© DIE PTA IN DER APOTHEKE
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Berühmte Apotheker

DER PHARMAZIE STETS ZUGETAN

Sein Leben endete tragisch – dabei hatte seine Karriere doch so verheißungsvoll und begleitet von ungewöhnlichen Umständen begonnen: Die Rede ist vom Apotheker und Arzt Franz Wilhelm Schweigger-Seidel (1795 bis 1838).

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Die Kindheit verlief noch recht unspektakulär. Zumindest ist recht wenig über sie bekannt. Als Franz Wilhelm Seidel am 16. Oktober 1795 in Weißenfels (Königreich Sachsen) geboren – sein Vater Karl August Gottlieb Seidel (1754 bis 1822) arbeitete dort als Privatgelehrter – zog er 1797 mit seinen Eltern nach Dessau. Sein Vater wurde dort ab 1800 erster Lehrer, später Inspector der Herzöglichen Töchterschule. Franz Wilhelm besuchte in Dessau bis zu seinem 17. Lebensjahr die Hauptschule, ging dann nach Leipzig, um in der Apotheke von Georg August Neubert („Apotheke zum weißen Adler“) ab 1811 bis 1815 eine Apothekerlehre zu absolvieren.

Apothekerlehre, Studium und überraschendes Erbe Als Apothekergehilfe konditionierte er daraufhin bis 1820 in Apotheken in Merseburg, seiner „Heimatstadt“ Dessau, in Chemnitz, aber auch in München. Da er mangels Vermögens kaum Aussicht hatte eine eigene Apotheke zu erwerben, entschloss sich Franz Wilhelm Seidel ab Herbst 1820 in Halle Medizin und Naturwissenschaften zu studieren. Nach zwei Jahren wurde er Assistent am chemischen Laboratorium. Auch wurde der Chemiker und Physiker Johann Salomo Christoph Schweigger (1779 bis 1857) sein akademischer Lehrer. Dieser gewann aufgrund erster literarischer Arbeiten Franz Wilhelm Seidels, aufgrund dessen Fleißes, dessen guten Intellektes und daraus resultierender sehr umfassender Kenntnisse, eine sehr gute Meinung von dem Studenten.

Als der Professor in die verantwortungsvolle Lage geriet für den Nachlass seines kinderlosen Bruders, des bekannten Naturforschers und vormals Botanik-Professors von Königsberg, August Friedrich Schweigger (1783 bis 1821), der auf einer wissenschaftlichen Forschungsreise in Sizilien grausam ermordet worden war, einen würdigen Erben zu präsentieren, fiel seine Wahl auf Franz Wilhelm Seidel. Dieser nahm das Erbe gewissermaßen als Adoptivsohn mit landesherrlicher Genehmigung im Herbst 1822, wenige Monate nach dem Tod seines eigenes leiblichen Vaters, dankend an. So kam es, dass er seitdem den Namen Franz Wilhelm Schweigger-Seidel führte.

Am 19. Juni 1824 erwarb sich Schweigger-Seidel mit der Dissertation „De fibrium aestivalium origine atque natura“ in Halle die medizinische und chirurgische Doktorwürde. Im darauffolgenden Winter machte er noch den Kurs der praktisch-medizinischen Staatsprüfung in Berlin, erwarb so die Approbation als praktischer Arzt und Operateur für die preußischen Staaten. Im Sommer 1825 kehrte er nach Halle zurück, ließ sich als ausübender Arzt nieder. Noch im gleichen Jahr begann er Vorlesungen über die pharmazeutischen und medizinisch-chemischen Disziplinen an der Universität Halle zu halten. 1826 habilitierte Franz Wilhelm Schweigger-Seidel mit der Arbeit „Prolusiones ad chemiam medicam“ und wurde schließlich am 28. Dezember 1927 zum außerordentlichen Professor der Universität Halle ernannt. Zahlreiche Auszeichnungen konnte Schweigger-Seidel da schon sein Eigen nennen.

Denn noch im September 1825 ernannte ihn die Naturforscher- Gesellschaft von Halle zu ihrem ordentlichen Mitglied, im Juli 1826 der Apothekerverein im nördlichen Deutschland zum Ehrenmitglied, einen Monat später die medizinisch-chirurgische Sozietät von Berlin zum korrespondierenden Mitglied. 1828 wurde er in die Leopoldina, die heute noch existierende älteste Wissenschaftsakademie der Welt (gegründet 1652), aufgenommen – eine hervorragende Auszeichnung. Zudem wurde er im November 1828 unter anderem noch ordentliches Mitglied des thüringisch-sächsischen Vereins für Erforschung vaterländischen Altertums und im August 1829 korrespondierendes Mitglied der Wetterauischen Gesellschaft für die gesamte Naturkunde.

Gründung des Pharmazeutischen Institutes Halle Obwohl er als Arzt und Medizinprofessor durch Betätigung auf diesem Gebiet bessere Karriere-Aussichten hatte, blieb Franz Wilhelm Schweigger-Seidel stärker der Pharmazie zugetan. Dabei wagte er sich auf Neuland mit viel Engagement, intensivstem Arbeitseinsatz und unter Einbringen seiner Familie. Ohne eigene Apotheke angehende Apotheker auszubilden – das war neu! Doch Schweigger-Seidel vollzog die Institutionalisierung der Pharmazie in Halle mit einem eigenen Pharmazeutischen Privatinstitut. Er musste dafür extra Räume anmieten sowie die teure Einrichtung und Gerätschaft aus eigenen Mitteln finanzieren.

Zuvor hatte er vergeblich versucht nach dem Tod Georg Heinrich Stoltzes (1784 bis 1826), der Administrator der Waisenhausapotheke gewesen war und sich auch als Pharmazielehrer engagiert hatte, dessen Stelle zu erhalten, um diese traditionsreiche Apotheke – wie sonst üblich – für die Pharmazeuten-Ausbildung zu nutzen. Den Plan und vorläufige Statuten des „Pharmazeutischen Instituts zu Halle“ hatte er im Mai 1829 zwecks Austauschs und Hilfestellung auch Apotheker Johann Bartholomäus Trommsdorff (1770 bis 1837) übersandt, der in Erfurt ein ähnliches bedeutendes Pharmazeutisches Institut – allerdings angeschlossen an seine Apotheke – betrieb.

Bereits Ostern 1829 war der erste Student in das Institut eingetreten, im ersten Semester erhielten bereits drei angehende Apotheker bei Schweigger-Seidel ihre universitäre, wissenschaftliche Ausbildung. Er hielt Vorlesungen über pharmazeutische, gerichtliche und polizeiliche Chemie, Toxikologie, Stöchiometrie, Arzneiformen, Rezeptierkunst und Arzneimittellehre, nahm dabei also auch Ausbildungsaufgaben wahr, die bisher der Medizinischen Fakultät vorbehalten waren. Dazu bot er chemische Laboratoriumsübungen an. Auch Kost und Logis erhielten die angehenden Pharmazeuten bei ihm. Schweigger-Seidels Frau Therese Schubert (Heirat 1830, eine Tochter) übernahm hierfür, gemeinsam mit einer Köchin, die Verantwortung.

Vom Preußischen Ministerium erhielt er zur Errichtung einen einmaligen Zuschuss von gerade 300 Talern und danach jährlich 200 Taler zwecks Aufnahme unbemittelter Studenten. Finanzielle Engpässe waren geradezu vorprogrammiert – und vergrößerten sich durch häufige Krankheiten Schweigger-Seidels sowie den frühen Choleratod seiner Frau 1831. Schweiger-Seidel heiratete allerdings einige Zeit später erneut – die jüngere Schwester seiner verstorbenen Frau und hatte mit dieser noch drei Kinder, zwei Töchter und einen Sohn. Opferwillig arbeitete Franz Wilhelm Schweigger-Seidel zu Zeit der großen Choleraepidemie in Halle 1831 bis 1833 auch gemeinnützig als Bezirksarzt. Die Studenten seines Institutes blieben aufgrund der Epidemie allerdings mehr und mehr aus.

Der Freitod Schweiger-Seidels eigene Arbeiten bewegten sich überwiegend auf dem Gebiet der physiologischen und pathologischen Chemie. Von seinem Adoptivonkel Johann Salomo Christoph Schweigger übernahm er ab 1825 (bis 1829 noch gemeinsam mit diesem) die Herausgabe des „Journals für Chemie und Physik“ beziehungsweise dessen Fortsetzung, die Zeitschrift „Jahrbuch für Chemie und Physik“ (letzter Band 69, 1833), damals die wichtigste Zeitschrift für diese Wissenschaften.

Eigene Krankheit („hartnäckige Nervenreizbarkeit…, die ihn in den letzten Jahren oft gänzlich an Arbeiten hinderte, und hin und wieder fälschlich beurtheilt ward…“, so eine Mitteilung im Archiv der Pharmacie 11/1840), der frühe Tod seiner ersten Frau, „Niederträchtigkeit und Gemeinheit“ seitens Universitätskollegen, von denen Apotheker Friedrich Traugott Kützing, der in Halle Naturwissenschaften studierte und sich später als Botaniker und Algenforscher einen Namen machte, berichtete, sowie immer größere wirtschaftliche Schwierigkeiten ließen Franz Wilhelm Schweig- ger-Seidel allerdings verzweifeln.

Am 5. Juni 1838 stürzte er sich in die Saale und setzte damit seinem Leben ein gewaltsames Ende. Zwar übernahm sein Adoptivonkel Johann Salomo Christoph Schweigger noch für ein Semester die Leitung des pharmazeutischen Instituts Halle. Doch anschließend blieb die Stelle fast zehn Jahre vakant. Erst 1846 erfolgte die offizielle Wiederöffnung des Pharmazeutischen Institutes in Halle – unter der Leitung von Schweigger-Seidels langjährigem Schü- ler und Assistenten Karl Steinberg (1812 bis 1852), der sich 1842 habilitiert hatte.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 03/19 ab Seite 98.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin und Fachjournalistin

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