© Die PTA in der Apotheke
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Interview

DER EINGEBILDETE KRANKE?

Sie haben Angst, unter einer schlimmen Krankheit zu leiden, obwohl sie aus medizinischer Sicht gesund sind. Wie Menschen mit Hypochondrie geholfen werden kann, erklärt die Psychologin Dr. Maria Gropalis.

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Was genau ist unter Hypochondrie zu verstehen?
Die Hypochondrie wird als chronische Störung definiert – die Dauer muss mindestens sechs Monate betragen – und ist charakterisiert durch die übermäßige Beschäftigung mit der Angst oder Überzeugung, eine ernsthafte Krankheit zu haben. Diese Angst oder Überzeugung bleibt auch trotz angemessener medizinischer Untersuchungen und der Versicherung, dass keine ernsthafte Erkrankung vorliegt, bestehen. Häufig gefürchtete Krankheiten sind Krebs, Erkrankungen des Herz-Kreis- Laufsystems und neurologische Erkrankungen.

Im Verlauf der Störung entwickeln die Betroffenen zunehmend Verhaltensweisen, die zu einer vorübergehenden Angstreduktion führen, aber langfristig die Ängste aufrechterhalten. Dieses so genannte Sicherheit suchende Verhalten beinhaltet das Einholen von Rückversicherung bei Ärzten, anderen Personen oder durch Medien (vor allem Internetrecherchen) sowie das Kontrollieren des eigenen Körpers. Außerdem gehört Vermeidungsverhalten wie beispielsweise die Vermeidung der Konfrontation mit Krankheitsthemen dazu.

Hat die Zahl der Hypochonder in den letzten Jahren zugenommen?
Zwar gibt es nur wenige epidemiologische Studien zur Verbreitung der Hypochondrie, sodass Aussagen darüber nur vorsichtig getroffen werden können. Die aktuelle Datenlage ergibt keine Hinweise darauf, dass sich die Zahl der Betroffenen in den letzten Jahren erhöht hat.

VITA
Dr. Maria Gropalis absolvierte nach ihrem Studium der Psychologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz auch dort ihre Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie).

Seit 2007 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Psychologischen Institut sowie in der Poliklinischen Institutsambulanz für Psychotherapie der Universität Mainz tätig, in der sie den Hypochondrieschwerpunkt leitet. In diesem Jahr folgte ihre Promotion.

Gibt es den „typischen“ Hypochonder?
Nein. Jeder Mensch, der unter starker Krankheitsangst leidet, verhält sich anders. Einige gehen aufgrund Ihrer Ängste sehr häufig zum Arzt und suchen nach Krankheitsinformationen (z. B. im Internet). Andere wiederum vermeiden Arztbesuche, um nicht mit der gefürchteten Diagnose konfrontiert zu werden. Gemeinsam haben Patienten mit Hypochondrie, dass sie negative Emotionen (vor allem Angst) nur schwer aushalten können und verschiedene Strategien zur Angstreduktion einsetzen (so genannte Sicherheit suchende Verhaltensweisen), die zwar kurzfristig beruhigend wirken können, langfristig aber zu einer Aufrechterhaltung der Angst führen.

Was sind die Auslöser dafür, dass manche Menschen eine solche Angst vor Krankheiten entwickeln?
Risikofaktoren für die Entwicklung einer Hypochondrie sind Erfahrungen mit Krankheit (z. B. eigene Erkrankungen in der Kindheit oder erkrankte Familienmitglieder). Aber auch ein überbehütender Erziehungsstil sowie eine angeborene Angstsensitivität können Einfluss auf die Entwicklung der Störung haben. Ebenso können negative Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem (z. B. Fehldiagnosen) sowie Medienberichte über schwerwiegende Erkrankungen die Entwicklung von Krankheitsängsten begünstigen.

Verstärken manche Ärzte durch ihre Art, mit Patienten umzugehen, nicht noch deren Ängste und Sorgen?
Menschen mit Krankheitsängsten gehen in der Regel zum Arzt, um durch die Untersuchung die Beruhigung zu erhalten, dass sie gesund sind. Durch die angstaufhebende Wirkung der Besuche steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient immer häufiger und schneller zum Arzt geht, um sich zu beruhigen. Führen Ärzte unnötige medizinische Untersuchungen nur zur Beruhigung des Patienten durch, kann sich die Angst dadurch verstärken. Sinnvoller ist es, mit dem Patienten feste Zeitpunkte (unabhängig von der aktuellen Angststärke) für Untersuchungen zu vereinbaren, um den Arztbesuch von der Krankheitsangst zu entkoppeln.

Ratschläge und Infoseiten im Internet – gibt es viele Hypochonder, die in ihrer Angst durch Recherchen im Netz noch bestärkt werden?
Wer lange genug im Internet nach Symptomen recherchiert, wird irgendwann auf bedrohliche Erklärungen für seine Beschwerden stoßen und dadurch weiter verunsichert. Ähnlich wie bei den Arztbesuchen können Internetrecherchen regelrecht zwanghaft werden und dadurch angstverstärkend und -aufrechterhaltend wirken.

EHEC, Rinderwahn, Killerkeime im Krankenhaus – reagieren alle Hypochonder in gleichem Ausmaß auf solche Skandale oder „bleibt“ jeder bei „seiner“ Krankheit, mit der das Leiden anfing?
Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt Patienten, die immer nur eine bestimmte Krankheit befürchten. Beispielsweise kann eine Frau, deren Mutter früh an Brustkrebs erkrankt ist, Angst haben, selbst an Brustkrebs erkrankt zu sein und andere Erkrankungen als nicht relevant für sich einschätzen. Es gibt aber auch krankheitsängstliche Personen, die sehr sensibel auf Medienberichte und Erzählungen von Bekannten und Freunden über Krankheiten reagieren und immer wieder neue Symptome entwickeln, die sie glauben lassen, auch an der entsprechenden Krankheit zu leiden.

Ist Hypochondrie eher in der westlichen Welt verbreitet, wie sieht die Verteilung weltweit aus?
Es gibt eine große internationale Studie, die die Verbreitung von Krankheitsangst in verschiedenen Ländern untersucht. Obwohl sich unterschiedliche Prävalenzraten finden, liegen diese Unterschiede vermutlich eher an abweichenden Untersuchungsmethoden als an tatsächlichen Unterschieden in den Ländern. Man kann heute davon ausgehen, dass circa ein Prozent der Bevölkerung am Vollbild der Hypochondrie leidet.

Haben Hypochonder stärker als andere Angstpatienten, zum Beispiel Spinnenphobiker, mit Ablehnung und Unverständnis ihres Umfeldes zu kämpfen?
Häufig wird in den Medien das Bild „des eingebildeten Kranken“, der sich in seinem Leiden suhlt dargestellt, was dazu führen kann, dass Angehörige von Betroffenen eher kritisch reagieren. Außerdem kann das Bedürfnis nach Rückversicherung für das Umfeld des Patienten sehr aufreibend und belastend wirken, wodurch interaktionelle Probleme entstehen können.

Was tun Sie in Ihrer Therapie, um den Betroffenen die Angst zu nehmen?
Die Therapie erfolgt nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und versucht, sowohl den Gedanken als auch dem Verhalten der Patienten eine andere Richtung zu geben. Dabei werden ein kognitiver und ein verhaltensorientierter Teil unterschieden. Der kognitive Teil der Behandlung dient der Veränderung von Krankheitsideen und -überzeugungen. Dabei werden zentrale (negative) Kognitionen des Patienten bezüglich Krankheit und Gesundheit identifiziert und bearbeitet.

Im verhaltensbezogenen Behandlungsabschnitt wird das Sicherheit suchende Verhalten identifiziert, problematisiert und reduziert. Um eine intensive Auseinandersetzung mit negativen Emotionen und dadurch eine Veränderung dieser zu ermöglichen, werden außerdem Expositionen in sensu mit den schlimmsten Befürchtungen der Patienten (Worst-Case-Expositionen) durchgeführt. Die Patienten werden dabei gebeten, sich gedanklich auszumalen, was genau passieren würde, wenn die befürchtete Krankheit sicher eingetreten sei.

Da hypochondrische Patienten zumeist lebensbedrohliche Erkrankungen befürchten, thematisieren diese Übungen nicht selten die Angst vor dem Sterben oder Totsein. Wichtig ist, die unangenehmen Vorstellungen bis zu einer Reduktion von Angst oder Unwohlsein auszuhalten. Mittels Audio-, Video- oder schriftlicher Aufzeichnungen sollte der Patient sich mit der unangenehmen Vorstellung in der Folge wiederholt auseinandersetzen, bis eine deutliche Gewöhnung eingetreten ist. Die Patienten machen dadurch die Erfahrung, mit starken Emotionen umgehen zu können und ihnen nicht hilflos ausgeliefert zu sein.

Setzen Sie auch Medikamente ein, um gegen die Angst anzugehen?
Wir arbeiten als Psychologische Psychotherapeuten rein kognitiv-verhaltenstherapeutisch. Manchmal kann es sinnvoll sein, dass der behandelnde Hausarzt oder Psychiater eine begleitende medikamentöse Behandlung mit selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmern durchführt. In der Regel ist es aber so, dass krankheitsängstliche Personen große Angst vor den potenziellen Nebenwirkungen der Psychopharmaka haben und diese deswegen ablehnen.

Was können PTA und Apotheker tun, wenn sie merken, dass ein Kunde äußerst ängstlich ist, was Krankheiten betrifft?
Es ist wichtig, den Betroffenen dabei zu unterstützen zu einer so genannten Problemverschiebung zu gelangen: Das Problem ist nämlich nicht die potenziell bedrohliche Krankheit, die möglichst schnell entdeckt werden muss, sondern die Angst davor, krank zu sein. Gelingt es dem Betroffenen, diesen gedanklichen Schritt zu vollziehen, können weitere Maßnahmen, wie beispielsweise eine Psychotherapie, eingeleitet werden. Ansonsten sollte auf Rückversicherungen, dass der Betroffene vermutlich gesund ist, weitgehend verzichtet werden, da diese langfristig angstaufrechterhaltend wirken.

„Bekennende Hypochonder“ wie Harald Schmidt machen ihre Ängste medienwirksam öffentlich – sehen Sie dies eher kritisch oder begrüßen Sie so etwas?
Komiker und Kabarettisten machen sich über alles und jeden lustig. Dagegen ist nichts zu sagen. Viel gravierender sind vermeintlich seriöse Berichterstattungen über Hypochondrie, die den Eindruck vermitteln, dass die Patienten Spaß dabei hätten, sich mit Krankheiten zu beschäftigen. Dies ist nämlich nicht der Fall. Die meisten Patienten schämen sich sehr für ihr Sicherheit suchendes Verhalten und reden nicht gerne über ihre Ängste.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 11/11 ab Seite 94.

Das Interview führte Dr. Petra Kreuter, Redaktion

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