Ein kleines Schwein guckt aus Holzstall mit den Vorderbeinen auf dem Gatter
Wieder einmal musste ein Schwein herhalten: Im Tierversuch konnte bewiesen werden, dass ein Gehirn auch außerhalb des Körpers lebensfähig ist. © Grigorev Vladimir / iStock / Thinkstock

Hirnfunktionen | Weiterleben

„DAS VERFAHREN IST NICHT SCHWEINESPEZIFISCH“

Bisher gilt für die Feststellung des Todes beim Menschen, dass dessen Hirnfunktionen irreversibel zum Erliegen gekommen sind. Doch nun ist es Forschern gelungen, ein Schweinegehirn außerhalb des Körpers für 36 Stunden am Leben zu erhalten.

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Nedan Sestan von der amerikanischen Yale University hat den Versuch gewagt: Das Gehirn enthaupteter Schweine wurde mit Kunstblut versorgt. Das berichtet die Zeitschrift „MIT Technology Review“. Was ein wenig gruselig erscheint: Sestan meinte, es sei durchaus vorstellbar, ein Gehirn auch dauerhaft in Kultur zu halten. Außerdem sagte der Wissenschaftler den Satz: „Das Verfahren ist nicht schweinespezifisch.“

Das bedeutet: Im Prinzip eignet sich die künstliche Versorgung eines Gehirnes außerhalb des Körpers auch für Primaten, zum Beispiel den Menschen. Chirurgen hätten bei ihm bereits angefragt, so Sestan, ob die Methode nicht möglicherweise medizinisch nutzbar sein könnte – in Bezug auf Krebs- und Alzheimerforschung beispielsweise. Die Ärzte würden am liebsten bestimmte Therapien an „nackten Gehirnen“ testen, bevor sie sie an Patienten erproben.

Doch da das Gehirn nicht irgendein Organ ist, wirft dies heikle ethische Fragen auf. Anders als bei Leber, Lunge oder Herz ist es Sitz des Bewusstseins; das, was im landläufigen Sinne die „Seele“, die Persönlichkeit eines Menschen ausmacht. „Theoretisch“, so sagt der Forscher, „könnte jemand das Verfahren verbessern und dann die Hirnaktivität einer Person wiederherstellen. Wäre es nicht verrückt, wenn eine solche Person auch ihre Erinnerungen reaktivieren könnte?“

Zugleich versicherte Sestan, dass sich in den von ihm konservierten Schweinegehirnen keinerlei Bewusstsein mehr regte. Durch ein Elektroenzephalogramm bewiesen, erwies sich die EEG-Linie des Schweins als so flach wie die eines tief-komatösen Patienten. Keine der für den Wachzustand charakteristischen Schwingungen war zu sehen.

Ohne auf die Experimente mit den Schweinegehirnen einzugehen, hat eine Gruppe namhafter Bioethiker und Neurowissenschaftler – zu denen auch Sestan gehört – in der renommierten Fachzeitschrift „Nature“ eine Debatte über die Fortschritte bei der Zucht von menschlichem Hirngewebe eingefordert. Forscher haben nämlich aus Stammzellen so genannte Hirn-Organoiden gezüchtet, das sind Klumpen menschlichen Nervengewebes. Schon sind in einigen Labors menschliche Organoiden in Rattengehirne eingepflanzt worden. Was, wenn sich dabei doch so etwas wie Bewusstsein regen würde? Stellt die Haltung von menschlichem Gehirngewebe dann nicht unser Verständnis von Leben und Tod infrage?

Nach der derzeit gültigen Definition ist ein Mensch dann als tot zu betrachten, wenn seine Hirnfunktionen irreversibel zum Erliegen gekommen sind. Nun könnte die Medizin an den Punkt kommen, an dem der technische Fortschritt eine Revision des Todesbegriffs erforderlich macht – denn das Erliegen der Hirnfunktionen wäre dann nicht mehr dauerhaft.

Alexandra Regner,                                                                                                              PTA/Redaktion

Quelle: Der Spiegel 

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