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Selbst- oder Fremdeinschätzung?

DAS GLÜCK DER EINFÄLTIGEN

Zu Selbstüberschätzung neigen meist diejenigen Menschen, deren Leistungen nach objektiven Kriterien eher schlecht sind. Das ist aber kein böser Wille.

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Kennen Sie das auch? Die unangenehme Situation, wenn jemand mal wieder einen Witz erzählt, von dem Sie schon im Voraus wissen, dass außer dem Erzähler niemand darüber wird lachen können? Oder wundern Sie sich auch über die selbsternannten Gesangstalente in den unzähligen Castingshows, die trotz negativer Rückmeldung der Juroren noch immer trotzig vom eigenen Können überzeugt sind?

Spätestens, wenn man die nächste Umfrage zur Selbsteinschätzung der Fahrqualitäten deutscher Autofahrer liest, bei denen sich regelmäßig weit mehr als die Hälfte der Befragten als überdurchschnittlich gut einschätzen, wird einem klar, dass die subjektive Selbstwahrnehmung vieler sich nach objektiven Kriterien nicht mit der Realität decken kann.

Die genannten Szenarien sind Beispiele für den so genannten Dunning-Kruger-Effekt. Er beschreibt den Umstand, dass Menschen, die in einer bestimmten Fähigkeit zu dem schwächsten Viertel gehören, dazu neigen, ihre eigene Leistung stark zu überschätzen. Tatsächlich konnte nachgewiesen werden, dass das Vermögen, die eigenen Fähigkeiten im Vergleich zu denen anderer einzuschätzen, kritisch davon abhängt, wie gut man diese Fähigkeit tatsächlich beherrscht.

Dabei scheint es weitgehend egal zu sein, um was für eine Fähigkeit es sich handelt: Humor, logisches Denken oder grammatikalische Sprachgewandtheit – das Beherrschen der jeweiligen Sache ist offenbar eine notwendige Bedingung, um die eigenen Leistungen überhaupt einschätzen und in Relation zu den Leistungen anderer setzen zu können.

Interessanterweise schätzen sich aber nicht nur die Leistungsschwachen falsch ein, sondern auch die besonders Guten: Da ihnen die Aufgabe leicht fällt, vermuten sie zunächst, dass auch andere damit nur wenig Probleme haben sollten. Im Unterschied zu den Schwächeren kann diese starke Gruppe ihre Einschätzung aber korrigieren, wenn sie Rückmeldungen über das objektive Abschneiden der anderen bekommen, die Leistungsschwachen hingegen können das nicht.

Das heißt, sie erkennen ihre Schwäche auch dann nicht, wenn sie die Leistungen aller im Vergleich mitgeteilt bekommen! Das bedeutet, dass die fehlerhafte Selbsteinschätzung der Starken auf einer falschen Einschätzung der Leistung anderer beruht, während im Gegensatz dazu die fehlerhafte Selbsteinschätzung der Schwachen in einer falschen Einschätzung der eigenen Leistung begründet liegt.

Die einzige Möglichkeit, Leistungsschwachen eine realistische Selbsteinschätzung zu ermöglichen ist, sie in der fraglichen Sache zu trainieren. Nach erfolgreichem Training können sie die frühere Leistung dann zwar als schwach einschätzen, gehören aber paradoxerweise nicht mehr zu der schwachen Gruppe! Ohne Training aber bleiben sie schwach und der Dunning-Kruger-Effekt schützt sie davor, dies zu erkennen – ein Umstand, der für das Seelenheil der Betroffenen ein großes Glück sein dürfte und um den wir sie manchmal vielleicht sogar beneiden, aber das kennen Sie sicher auch …

ZUR PERSON

Prof. Dr. Holger Schulze
Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg
sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg.
Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.
www.schulze-holger.de

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 03/14 auf Seite 12.

 


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