© bowie15 / iStock / Getty Images Plus
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Kolumne | Prof. Dr. Aglaja Stirn

BERÜHREN UND BERÜHRT WERDEN

Mögen Sie es auch, berührt zu werden? Natürlich kommt es darauf an von wem, wann und wo. Und nicht nur das, auch die aktuelle Stimmung ist entscheidend.

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Grundsätzlich wirken Berührungen stressmindernd und entspannend, sie haben eine Auswirkung auf gesundheitliche Parameter wie den Blutdruck und das Stresshormon Cortisol. Sie wirken sich auch auf die Ausschüttung von Neurotransmittern wie zum Beispiel Oxytocin aus. Das wiederum kann eine Schmerzreduktion bewirken. Berührung vermittelt Körperbewusstsein und Identität, sie aktiviert das Belohnungszentrum im Gehirn und bedingt das Ausschütten des Glückshormons Dopamin.

Unser Streichelsinn übermittelt Geborgenheitsgefühle und Nähe. Wissenschaftlich belegt ist, dass ein Mangel an Berührungsreizen zu schweren Entwicklungsstörungen führen kann, dazu gehören Magersucht, Depressionen und sogar Hauterkrankungen. Die affektiven Aspekte von Berührungen nehmen wir über die sogenannten C-Tactiles wahr, das sind niederschwellige mechanische Nervenleitungen. C-Tactiles reagieren mit hoher Frequenz auf Stimuli wie langsames Streicheln mit Fingerspitzen.

»Berührung vermittelt Körperbewusstsein und Identität.«

Sie sind vor allem bei langsamen, angenehmen Berührungen involviert, sie vermitteln auch den emotionalen Aspekt der Berührung. Dabei wird nach Streichelgeschwindigkeit und Temperatur beurteilt. Eine Berührung mit etwa ein bis zehn Zentimetern pro Sekunde wird als angenehmes Streicheln empfunden. Die optimale „Wohlfühltemperatur“ an der Oberfläche unserer Haut liegt etwa bei 32 Grad Celsius. Natürlich hängt die Wahrnehmung der Berührung auch vom sozialen Kontext ab. Und – wie so oft – ist auch das Berührungsverhalten kulturspezifisch. Es gibt Kulturen, die sich sehr viel berühren und Kulturen, die hier sehr zurückhaltend sind.

Die Zulässigkeit von Körperberührungen hängt auch von der Art der Berührung ab, der Körperregion, aber auch von der Gruppenzugehörigkeit, dem Geschlecht, dem Alter und den sozialen Beziehungen: In südeuropäischen Kulturen sind Freundschaftsküsse zu Begrüßung und Abschied häufiger als in Japan. Auch das Händeschütteln ist nicht überall gleich: Bei den Deutschen, so heißt es, sei es fest, lebhaft und häufig, bei den Britten moderat, bei den Nordamerikanern fest und selten, bei den Arabern wiederholt und langanhaltend, bei den Koreanern relativ fest und bei den meisten anderen Asiaten eher sanft und selten.

Und es gibt auch die Tabus: So darf man in Indien nicht den Kopf berühren oder den Frauen in Saudi-Arabien die Hand reichen. Und last but not least ist es auch gut, sich selbst zu berühren. Jeder kennt es, dass man sich bei einem plötzlichen Schmerz sogleich die eigene Hand auflegt. In psychischen Anspannungssituationen kommt es zu spontaner Gesichtsberührung, Achten Sie mal darauf. Berührung werden auch therapeutisch eingesetzt, bei dem sogenannten „Therapeutic Touch“ durch Pflegeberufe. In diesem Fall muss natürlich genau reguliert werden, welche Form der Berührungen stattfinden darf. Für Menschen, die zu wenig Berührung im Leben haben, empfiehlt es sich, Begegnungsräume für Berührungen zu finden, seien es beim Sport, Tanzaktivitäten, Massagen oder auch bei sogenannten Kuschelpartys, die extra dafür erfunden wurden.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 08/2020 auf Seite 12.

Zur Person
Professor Dr. Aglaja Stirn ist Direktorin des Instituts für Sexualmedizin und forensische Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Gruppentherapie, Psychoanalyse und Sexualtherapie an der Universität Kiel, Zentrum für Integrative Psychiatrie ZIP.

www.zip-kiel.de

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