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Interview

BEGLEITUNG IN DER TRAUER

Der Verlust eines geliebten Menschen kann einen aus der Bahn werfen. Wer sie in dieser schwierigen Phase unterstützen kann, erklärt Christian Fleck vom Bundesverband Trauerbegleitung e.V.

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Trauerbegleitung, was versteht man darunter?
Sie ist, wie es das Wort sagt, die Begleitung von Menschen im Prozess ihrer Trauer.

Wer benötigt sie – und wie lange?
Das ist individuell verschieden. Viele Menschen möchten das Zurechtkommen in einer Trauersituation mit sich alleine ausmachen, viele holen sich das, was sie brauchen aus ihrem familiären und sozialen Umfeld. Manche benötigen vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Geschichte und Umstände „Trauerbegleitung” im expliziten Sinn, hier soll besonders davon die Rede sein. Die Dauer ist auch je nach Situation und Person verschieden.

Je nach Situation kann auch eine weitergehende therapeutische Begleitung sinnvoll sein, wenn zum Beispiel durch die oder in der Trauersituation zusätzlich zum Verlust tieferliegende belastende psychische Probleme aktuell beziehungsweise akut werden. Es gibt auch verschiedene Formen von Trauerbegleitung – die der Einzelbegleitung, die einer Gruppe , sowie die Form von Veranstaltungen (Seminare in der Dauer von einem bis mehrere Tage).

Was genau macht ein Trauerbegleiter?
In einer Begleitung geht in erster Linie um ein authentisches Da-Sein, um ein offenes wertschätzendes Zuhören, auch um ein Nichts-Sagen, ein Nicht-Gleich-Reagieren, ein Nicht-Werten, ein (Mit-)Aushalten von Ohnmacht, von verrückt und chaotisch erscheinendem Erleben.

Seit wann gibt es Ihren Verband?
Im Jahr 2010 wurde der Bundesverband Trauerbegleitung e.V. als Verein gegründet. Ein Großteil der Mitglieder arbeitete bereit zuvor etwa zehn Jahre lang in der damaligen Bundesarbeitsgemeinschaft Trauerbegleitung zusammen. Damals wurden die Standards für die Basisqualifizierung entwickelt. Welches Ziel hat er? Der Bundesverband Trauerbegleitung e.V. (BVT) versteht sich als Fachverband von lehrenden Fachkräften, die qualifizierte Fortbildung anbieten und durchführen, für Menschen, die mit der Begleitung Sterbender und Trauernder im Beruf, im ehrenamtlichen Engagement oder ihrem persönlichen Umfeld konfrontiert sind.

Dazu hat sich der BVT die Aufgabe gegeben Standards zu entwickeln, kontinuierlich weiter zu entwickeln, umzusetzen und zu veröffentlichen, um die besondere Qualität der Angebote seiner Mitglieder zu sichern. Auch werden über den Bereich Trauerbegleitung hinaus Impulse in den öffentlichen Diskurs eingebracht, aktuelle Erkenntnisse aus der Trauer- und Lernforschung gesichtet und integriert sowie fachpolitische und gesellschaftliche Entwicklungen diskutiert.

Ist Trauerbegleitung in anderen Ländern schon länger etabliert?
Als eigene Profession ist sie nicht „etabliert”, ähnlich wie in Deutschland wird sie im Rahmen von verschiedenen Feldern (Therapie, Beratung Seelsorge, Sozialer Arbeit, Hospizbegleitung) von beruflich und ehrenamtlich Tätigen in verschiedenen Sozialformen (Einzelbegleitung, Gruppe, Seminar) angeboten. Mir ist momentan bekannt, dass zum Beispiel im Kontext von Palliative Care und Hospizarbeit auch in der Schweiz, Österreich, Großbritannien und den USA Qualifizierungen in Trauerbegleitung angeboten und sowohl von ehrenamtlichen HospizbegleiterInnen, wie auch Fachkräften aus Pflege, Medizin und Sozialer Arbeit, wahrgenommen werden.

Welche Voraussetzungen muss jemand haben, der Trauerbegleiter werden will?
Zunächst – die Profession „Trauerbegleiter” gibt es nicht. Es ist nicht so, dass durch eine Qualifizierung jemand etwas wird, was er vorher nicht war, nämlich „Trauerbegleiter” wird. Die prozessorientierte Art und Weise des Lernens (so z. B. in einer Qualifizierung) integriert alles, was ein Mensch in seinem Leben bisher gelernt und erfahren hat. Als Voraussetzung für die Qualifizierungskurse wird im Rahmen der Standards des BVT erwartet:

  • in der Regel ehren – oder hauptamtliche Erfahrung im Praxisfeld Trauer
  • Mindestalter 24 Jahre
  • Bereitschaft zur Selbsterfahrung
  • psychische Belastbarkeit
  • Schlüsselkompetenzen für die Arbeit mit Trauernden, aber nicht zwingend eine Berufsausbildung
  • Respekt vor Menschen verschiedener Weltanschauungen.

Die für die Tätigkeit nötigen Kompetenzen, die in den Qualifizierungen gefördert und weiter entwickelt werden, lassen sich in drei Bereiche gliedern:

Fachkompetenz

  • Abgrenzung und Unterscheidung von Trauerund Sterbebegleitung
  • Auftragsklärung
  • Grenzen zwischen Therapie und Beratung benennen
  • Grundwissen über Trauerprozesse
  • Wissen um Übertragung und Gegenübertragung im Trauerprozess

Selbstkompetenz

  • Achtung vor der eigenen Entscheidungsfähigkeit und den eigenen Werten des Trauernden
  • Haltungen und Einstellungen reflektieren zu unterschiedlichen religiösen Hintergründen und zu unterschiedlichen Arten von Verlust
  • Reflexion
    – der eigenen Weltanschauung
    – Rollenreflexion
    – Selbstreflexion
    – Rollenreflexion und Selbstreflexion
  • Selbstfürsorge

Handlungskompetenz

  • Gesprächsführung
  • Prozessgestaltung:
    – Erstgespräch
    – Kontrakte, Kontraktgestaltung
    – Abschlussgestaltung
  • Umgang mit Ressourcen und Grenzen
    – der Begleitenden
    – der Begleiteten.

In Großen Basisqualifizierungen kommen in den drei Bereichen noch weitere Facetten hinzu.

Müssen Trauerbegleiter eine religiöse Einstellung haben, gibt es dazu „Vorgaben”?
Eine religiöse Einstellung im Sinne einer konfessionellen Bindung ist nicht nötig, sehr wohl setzen die Standards ausdrücklich die Achtung und Respekt vor der eigenen Entscheidungsfähigkeit und den eigenen Werten des Trauernden voraus. Dazu gehören auch dessen individuelle persönliche Prägungen und Ausdrucksformen der Spiritualität. Die Arbeit ist nicht möglich, ohne Haltungen und Einstellungen zu unterschiedlichen religiösen Hintergründen und zu unterschiedlichen Arten von Verlust auch ständig zu reflektieren, die Reflexion der eigenen Weltanschauung gehört da mit dazu.

»Bei der Trauerbegleitung geht in erster Linie um ein authentisches Da-Sein.«

Gibt es auch bereits muslimische Trauerbegleiter?
Meines Wissens noch nicht, ich schließe es aber nicht aus.

Existieren „schwarze Schafe” auf dem Anbietermarkt?
Unseriöse Anbieter gibt es in jedem Bereich des Lebens, es ist nicht alles Gold, was glänzt – sagt ein Sprichwort. Oft sind sie nicht leicht zu erkennen. Als Anhaltspunkte können helfen, dass seriöse Begleitende über sich erzählen können, was sie wo gelernt haben. Eine Zertifizierung der Ausbildung (z. B. durch den BVT) kann zwar keine Garantie über eine Person sein, aber eine unter Umständen. Hilfreiche Information über deren Ausbildungshintergrund. Unrealistische Versprechungen beziehungsweise hohe finanzielle Preislagen lassen normalerweise aufhorchen. In der Regel wird man ähnlich wie bei Ärzten und Therapeuten sich umhören nach Menschen, die Erfahrungen mit den jeweiligen Personen gemacht haben.

Welche Ausbildung bieten Sie an?
Mitglieder des BVT bieten Qualifizierungen verschiedener Art und verschiedenen Umfangs an:

  • Orientierungskurse, die an die Inhalte der Basisqualifizierung heranführen und die persönliche Disposition klären helfen sollen, zugleich aber keine Zugangsvoraussetzung zu Kursen der Basisqualifizierung darstellen,
  • „Kleine Basisqualifizierung” für bestimmte, an einen speziellen Kontext (z. B. Ehrenamtliche in der Hospizbewegung) gebundene Gruppen (Umfang mindestens 80 Unterrichtseinheiten à 45 Min.)
  • „Große Basisqualifizierung” die offen ausgeschrieben werden, (Umfang mindestens 200 Unterrichtseinheiten, im Verlauf von ein bis zwei Jahren). Diese beiden Kursformen werden durch die Mitglieder des BVT zertifiziert.
  • Vertiefungskurse zu speziellen Themen nach einer Teilnahme an einer Basisqualifizierung k weitere verschiedene Fortbildungsformate von unterschiedlichem Umfang und organisationellem Rahmen, zum Teil im Rahmen von Fortbildungen für Therapeuten, Berater, Ärzte und andere.

Ist Trauer ein Tabu hier zu Lande?
Bei aller Offenheit der Gesellschaft weist manches darauf hin, dass dies so ist. Manchmal kann man große Hilflosigkeit gegenüber Trauernden wahrnehmen, Unsicherheit, wie mit ihnen umzugehen ist. Was ist „richtig”, was „falsch”? Wie viel „Normalität”, wie viel Schonung, welche Form von Rücksicht, wie viel Direktheit, wie viel Abstand und Nähe, die Situation anzusprechen sind nötig und hilfreich? In jeder einzelnen Situation kann das anders sein.

reifbedeckte holzbrücke im nebel
Viele Menschen möchten das Zurechtkommen in einer Trauersituation mit sich alleine ausmachen, manche holen sich das, was sie brauchen aus ihrem familiären und sozialen Umfeld – und andere wiederum benötigen vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Geschichte und Umstände „Trauerbegleitung“.

Allgemein kann auch beobachtet werden, dass nach dem Tod von Personen, die für viele Menschen eine besondere emotionale Bedeutung hatten (z. B. Lady Di, Mutter Teresa, Johannes Paul II), Trauer als kollektives Phänomen auch einer größeren Gruppe auftritt. Zusätzlich kann hier noch mehr aus der eigenen Geschichte betrauert werden, das ohne diese Situation nicht so deutlich zum Ausdruck kommen kann.

Gibt es „das” Trauern oder trauert jeder anders?
Bei aller Vergleichbarkeit von beschreibbaren Phänomenen trauert doch jeder Mensch anders, in anderer Form, einem anderem „Tempo”, mit anderen Ressourcen, mit anderen Risikofaktoren.

Stichwort DSM V – nach zwei Wochen soll anhaltende Trauer als „krankhaft” gelten?
Gesundheit und Krankheit sind gesellschaftlich konventionierte Begriffe, man einigt sich darüber, wo die Grenzen sind. Es ist ein Dilemma: Ohne „Krankschreibung” eines Trauernden ist eine durch das Gesundheitssystem refinanzierte Hilfe nicht möglich. Andererseits ist Trauer als solche keine Krankheit, eine solche Zuschreibung wird von manchen Trauernden auch als kränkend empfunden.

Ob und wie zeitliche Fristen nach einem Trauerfall der jeweiligen individuellen Situation gerecht werden können ist die Frage. Auch: Was würde eine solche Grenze zur Folge haben, eine Definition der Arbeitsunfähigkeit? Für manche ist es eine Hilfe, wenn sie mit ärztlicher Krankschreibung aus ihrem normalen Ablauf für eine gewisse Zeit herausgenommen werden. Für mache – und das können die gleichen Menschen sein – bedeutet Arbeit gleichzeitig auch eine Verbindung zum Leben, eine Stütze, das Band zur Realität (Sigmund Freud). Beides kann eine Hilfe sein.

In der Fachdiskussion taucht als ungefähre zeitliche Frist die von mehr oder weniger 13 Monaten auf. Sie bekommt diese Bedeutung, weil ein Trauernder alle Ereignisse eines Jahres ein Mal ohne die verstorbene Person erlebt hat, danach bereits zum zweiten Mal. Das macht oft einen Unterschied.

Welche Erfahrungen haben Sie – wer nimmt Trauerbegleitung in Anspruch?
Der große Querschnitt durch die gesamte Gesellschaft.

Zahlt die Krankenkasse diese Hilfe?
Kassen kommen für die Behandlung von Krankheiten auf. Trauer ist an sich keine Krankheit, Trauerbegleitung im Allgemeinen keine Therapie. Somit ist die Kassenfinanzierung normalerweise nicht möglich. In speziellen Fällen, zum Beispiel im Rahmen von einer genehmigungsfähigen Therapie beziehungsweise Reha-Maßnahme, ist eine Finanzierung nach den jeweiligen Kriterien der Kostenträgern von Therapie/Rehabilitation möglich. Das wird dann aber als das bezeichnet, was es ist, nämlich als Therapie oder Reha-Maßnahme.

HINTERGRUND
Am 25.01.2007 hat der Bundesverband Trauerbegleitung e.V. (damals noch unter dem Namen „Bundesarbeitsgemeinschaft zur Qualifizierung der Trauerbegleitung”) die nachfolgenden Qualitätsstandards für Große und Kleine Basisqualifikationen zur Trauerbegleitung einstimmig
verabschiedet. Die Mitglieder des BVT e.V. haben sich zur Einhaltung dieser Standards verpflichtet. Auf dem Hintergrund der sich ausdifferenzierenden Begleitungs- und Therapieangebote für
trauernde Menschen wird eine Erweiterung der verbindlichen Standards in den kommenden Jahren
kontinuierlich stattfinden. Die Vergabe von Zertifikaten nach BVT-Standards setzt Fortbildungen voraus, die verbindlich und dokumentiert die unten beschriebenen Kriterien erfüllen.
Einige Institute werben mittlerweile damit, dass sie ihre Weiterbildungen den Standards des Bundesverbandes entsprechend anbieten.

Ähnliches ist bekannt bei einigen Maßnahmen im Rahmen des Kinder-und Jugendhilfe-Rechts. Nachdem unter bestimmten Umständen Trauer auch krank machen kann, so kann Trauerbegleitung auch im Sinne einer Prävention gesehen werden. Die Unterstützung durch Kostenträger von Präventionsmaßnahmen in speziell begründeten Fällen wird momentan in Fachkreisen diskutiert, vor dem Hintergrund der Vermeidung von unnötigen größeren Krankheitskosten wäre das zu begrüßen.

Fließen wissenschaftliche Erkenntnisse in Ihre Standards mit ein, veranstalten Sie auch Kongresse oder geben Sie Publikationen heraus?
Mitglieder des BVT arbeiten bei verschiedenen wissenschaftlichen Studien im Umfeld der Themenbereiche „Trauer” wie „Trauerbegleitung” mit und nehmen die Ergebnisse anderer Studien auf, ebenso arbeiten die Mitglieder bei Tagungen und Kongressen mit. Bisher hat der BVZ selbst regelmäßige Fachtagungen, aber noch keine Kongresse durchgeführt. Verschiedene Mitglieder des BVT publizieren in unterschiedlichen Formen unter anderem auch in der Zeitschrift „Leidfaden”. Eine Auswahl der Veröffentlichungen, wie nähere Informationen zum Verband findet sich im Internet auf www.bv-trauerbegleitung.de.

VITA
Christian Fleck, verheiratet, zwei erwachsene Töchter, Diplom- Theologe, M.Sc. in Supervision, Pastoralreferent, Krankenhausund Altenheimseelsorger, Supervisor (DGfP, DGP), diplomierter TZI-Gruppenleiter (ruth-cohninstitut international), Psychotherapie HPG, außerdem tätig in Supervision und Fortbildung (u. a. in Hospizarbeit, Palliative Care und Trauerbegleitung), Gründungs- und Vorstandsmitglied im Bundesverband Trauerbegleitung e.V.,

Mitarbeit im Projekt Erschwerte Trauer (veröffentlicht in: Chris Paul (Hg.) Neue Wege in der Sterbe- und Trauerbegleitung, ergänzte Neuauflage, Gütersloh 2011, Seite 69 bis 84).

Publikationen: unter anderem (zusammen mit Christine Fleck-Bohaumilitzky) Du hast kaum gelebt, Stuttgart 2006, und „Wenn Kinder vor ihren Eltern sterben“, Stuttgart 2008.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 09/12 ab Seite 106.

Das Interview führte Dr. Petra Kreuter, Redaktion

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