Ist in unserem Darm die Antwort auf die Frage nach dem Auslöser von Multipler Sklerose zu finden? © ChrisChrisW / iStock / Getty Images Plus

Autoantigen | Multiple Sklerose

AUSLÖSER DER MULTIPLEN SKLEROSE ENDLICH GEFUNDEN?

Schweizer Forscher haben möglicherweise den lang gesuchten Auslöser der Multiplen Sklerose (MS) entdeckt. Ein Autoantigen, Abschnitte auf dem Enzym GDP-L-Fucose-Synthase, soll schuld sein.

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Bislang suchte man des Rätsels Lösung in den Myelinscheiden der Nervenfasern des Zentralen Nervensystems, da sie schließlich Angriffsziel der körpereigenen T-Zellen darstellen. Doch fanden sich bislang keine Myelin-Bestandteile, auf die T-Zellen im Laborversuch reagiert hätten. Daher beschloss das Team um Mireia Sospedra von der Universität Zürich andere Moleküle zu untersuchen – und sie wurden fündig. 200 Mischungen aus Milliarden kleiner Proteinfragmente wurden systematisch untersucht, T-Zellen von einer an MS gestorbenen Patientin dienten dabei als Sensor. Und bei zwei Fragmenten landeten die Forscher einen Treffer: beide stammen aus der GDP-L-Fucose-Synthase. Das Enzym wird zur Produktion von Fucose benötigt und findet sich im Gehirn. Die gebildete Fucose ist dabei unter anderem an der Zell-Zell-Kommunikation beteiligt. Die Hypothese: Die T-Zellen greifen das Enzym an, woraufhin weniger Fucose für die Zell-Zell-Kommunikation zur Verfügung steht. Die Myelinscheiden werden daraufhin zu einem sekundären Angriffsziel des Immunsystems. Dies erklärt, warum auf Myelinscheiden bisher keine spezifischen Angriffsziele ausgemacht werden konnten.

Um auszuschließen, dass es sich nicht nur um einen Einzelfall handelt, untersuchte das Team daraufhin die T-Zell-Reaktion 31 weiterer Patienten – 12 von 31 reagierten auf die Enzym-Fragmente. Die Forscher dachten weiter: Das Enzym wird auch von einigen Darmbakterien gebildet, findet die Autoimmunreaktion gar im Darm statt? Eine kürzlich veröffentlichte Studie lässt diese Hypothese zu. Ein Forscherteam von der Universität von Kalifornien in San Francisco untersuchte die Darmflora von MS-Patienten und fand dort viermal häufiger Acinetobacter und Akkermansia und viel seltener Parabacteroides als bei der Kontrollgruppe. Die Darmzellen konnten in einem Experiment die Immunzellen gesunder Patienten in aggressive Entzündungszellen verwandeln. Durch die geringere Konzentration von Parabacteroides, die zur Produktion regulatorischer T-Zellen beitragen, konnte dieser Aggressivität weniger entgegengesetzt werden. Züchtet man diese Darmbakterienzusammensetzung in sterilen Mäusedärmen an, entwickeln die Versuchstiere eine höhere Wahrscheinlichkeit an einer MS-ähnlichen Enzephalomyelitis zu erkranken. Die Vermutung liegt nahe, dass die Darmflora eine entscheidende Rolle bei der T-Zellaktivierung innehat und als Auslöser für MS diskutiert werden könnte.

Die Ergebnisse der Studie von Mireia Sospedra könnten zum einen die Frühdiagnostik verbessern, da T-Zellen, die auf das Enzym GDP-L-Fucose-Synthase reagieren, gezielt ermittelt werden könnten. Zum anderen steht mit der Ermittlung eines potenziellen Antigens die Basis für eine spezifische Immuntherapie: Werden die Antigene in steigender Dosis appliziert, könnte dies das Immunsystem Schritt für Schritt davon abbringen, die GDP-L-Fucose-Synthase zu attackieren und dadurch eine Autoimmunreaktion gegen die Myelinscheiden auszulösen, ähnlich einer Desensibilisierung bei Heuschnupfen.

Farina Haase,
Apothekerin, Volontärin

Quelle: Ärzteblatt

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