Verschiedene Medikamente gestapelt auf hellem Untergrund.
Seit der EU-Verordnung über Arzneimittel für seltene Leiden (Jahr 2000) sind laut EMA rund 160 Medikamente gegen solche Krankheiten zugelassen worden. © Daniil Dubov / iStock / Getty Images Plus

Faktencheck | seltene Leiden

ARZNEIMITTEL UND SELTENE ERKRANKUNGEN: MYTHEN UND FAKTEN

Seit der Jahrtausendwende passiert viel in der Arzneimittelentwicklung gegen seltene Erkrankungen. Allein zwischen 2018 und 2020 wurden 34 Arzneimittel mit neuem Wirkstoff in Deutschland zugelassen. Grund dafür ist unter anderem die EU-Verordnung EG 141/2000. Doch es hagelt Kritik.

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Heute, am 28. Februar, ist Tag der seltenen Erkrankungen, also von Erkrankungen, an denen höchstens 5 von 10 000 Menschen leiden. Der Tag ist eine Mahnung, dass trotz aller Fortschritte noch viel zu tun ist. Es gibt zwar seit der EU-Verordnung über Arzneimittel für seltene Leiden so viele zugelassene Medikamente wie noch nie, dennoch stehen Pharmaunternehmen in der Kritik, sie würden die Regelungen missbrauchen. Die Verordnung hat nämlich die Rahmenbedingungen geschaffen, damit sich die Entwicklung von Therapien auch für privat organisierte Unternehmen refinanzieren lässt. Denn bestimmte Leiden treten so selten auf, dass die Kosten für die Entwicklung und Zulassung eines Arzneimittels durch den zu erwartenden Umsatz des Mittels nicht gedeckt werden würden, heißt es in der Verordnung.

Wir klären Mythen, die sich um die sogenannten Orphan Drugs drehen, für Sie auf.

Mythos eins: Weniger Patient*innen, weniger Aufwand, weniger Kosten

Fakt: Das stimmt nicht, da es für den Entwurf von klinischen Studien gegen eine seltene Erkrankung selten eine „Blaupause“ gibt. Meist müssen Forscher die Studien neu entwickeln, manchmal sogar die Diagnosemöglichkeiten und die Methoden. Demnach sind laut der Boston Consulting Group und dem Pharmaverband vfa die Kosten pro Patient in einer klinischen Studie für eine seltene Erkrankung oft deutlich höher als für eine häufigere Erkrankung. Es müsste also eher heißen „Weniger Patient*innen, gleicher Aufwand, pro Person höhere Kosten“.

Mythos zwei: Arzneimittel gegen seltene Krankheiten lassen sich schneller entwickeln.

Fakt: Diese Aussage ist unwahr: Um statistisch verwertbare Aussagen zu treffen, müssen genügend Betroffene an Studien teilnehmen. Dafür ist eine globale Koordinierung notwendig. Dazu kommt, dass nur wenige klinische Zentren für die Durchführung in Frage kommen. Außerdem können Menschen zwar an der gleichen Erkrankung leiden, aber höchst unterschiedliche Ausprägungen aufweisen. So komplex wie das Krankheitsbild oft ist, so komplex ist auch die Entwicklung der Medikamente.

Mythos drei: Unternehmen rechnen häufige Krankheiten zum eigenen Vorteil klein.

Fakt: Es ist ein Mythos ohne Substanz, denn die Zulassungsbehörde EMA erlaubt das nicht. Lungenkrebs zum Beispiel ist keine seltene Krankheit. Aber die verschiedenen Arten des Lungenkrebses haben teilweise nur kleine Patientengruppen, für die wiederum entsprechende Medikamente entwickelt wurden. Diese Patientengruppen würden per Definition der EU an einer seltenen Krankheit leiden, da sie bei maximal fünf von 10 000 Menschen in der EU auftritt. Dennoch haben die dafür entwickelten Medikamente keinen Orphan-Drug-Status.

Mythos vier: Für Orphan Drugs gelten eigene, laxere Regeln.

Fakt: Für die Zulassung von Medikamenten gegen seltene Erkrankungen gelten die gleichen Regeln wie für jedes andere Arzneimittel auch. Allerdings muss die Entscheidung über die Sicherheit und Wirksamkeit zwangsläufig auf einer kleineren und damit unsicheren Datenbasis erfolgen. Wenn eine Krankheit schwerwiegend ist und es kaum Behandlungsoptionen gibt, kann die EMA trotz der geringen Datenlage eine bedingte oder befristete Zulassung erteilen. Für die Entscheidung wägt die Behörde Nutzen und Risiko ab. Doch auch bei Orphan Drugs wird alles getan, damit die Medikamente sicher sind.

Mythos fünf: Orphan Drugs sind erhebliche Kostentreiber.

Fakt: Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für Orphan Drugs steigen seit Jahren. Eine wachsende Zahl von Behandlungsmöglichkeiten führt in der Folge zu Mehrausgaben. Und ja, Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen kosten Geld und sind in der Regel deutlich teurer als solche gegen häufige Krankheiten. Das liegt unter anderem an den hohen Entwicklungskosten. Für die forschenden Unternehmen bedeutet das: hohe Kosten, hohes Risiko, geringe Absatzmengen.

Sabrina Peeters,
Redaktionsvolontärin

Quellen:
https://www.pharma-fakten.de/news/details/1045-arzneimittel-gegen-seltene-erkrankungen-mythen-und-was-dahintersteckt/
https://www.pharma-fakten.de/news/details/1047-tag-der-seltenen-erkrankungen-selten-sind-viele/

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