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Kolumne | Holger Schulze

ALTE LIEBE ROSTET NICHT

Eine aktuelle Studie berichtet über einen Zusammenhang zwischen sexueller Aktivität im Alter und kognitiven Fähigkeiten. Aber was sollen wir mit diesem Wissen machen?

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»Sex im Alter soll das Hirn fit halten!«

Kennen Sie das auch? Die Tagespresse berichtet über neue Forschungsergebnisse, präsentiert diese als allgemeine Schlussfolgerung, ohne dabei irgendwelche Details der Originalstudie zu nennen, und Sie fragen sich, was an der Sache wirklich dran ist? Mir ist es neulich so ergangen mit mehreren Artikeln, die über angebliche positive Effekte auf das Gehirn von Sex im Alter berichteten. Grundlage war in allen Fällen eine Studie, die unlängst in einem Journal für Gerontologie veröffentlicht wurde (doi:10.1093/geronb/gbx065). Werfen wir doch gemeinsam einen Blick hinein: Tatsächlich zeigt die Studie, dass ältere Menschen, die noch häufiger sexuell aktiv sind, bessere kognitive Fähigkeiten haben also solche, die das nur noch selten oder gar nicht mehr sind.

Getestet wurde eine Mischung aus Gedächtnisleistung, Aufmerksamkeit, sprachlichen und räumlich-visuellen Fähigkeiten. Die Unterschiede zwischen den sexuell mehr oder weniger Aktiven waren zwar statistisch signifikant, allerdings nur im Bereich Redefluss, „fast signifikant“ im Bereich räumlich-visuelle Fähigkeiten und in beiden Fällen absolut betrachtet sehr klein. In einer Vorläuferstudie aus derselben Gruppe (doi: 10.1093/ageing/afv197) lesen wir weiter, dass sexuell aktivere Menschen im Mittel auch höher gebildet, wohlhabender, körperlich aktiver, weniger depressiv und einsam und sogar jünger waren als die sexuell inaktivere Vergleichsgruppe! Bei einer solchen Datenlage kann man also keinesfalls auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen sexueller Aktivität und geistiger Fitness schließen, gezeigt wurde lediglich eine Korrelation.

Es könnte also zum Beispiel auch sein, dass höher gebildete Menschen mehr Sex haben und die höheren geistigen Fähigkeiten allein dadurch schon zu erklären sind. Schlussfolgerungen in der Sekundärliteratur gehen also gerne mal weiter als die Befunde der Primärliteratur! Auf der anderen Seite erscheint der Zusammenhang zwischen sexueller Aktivität und geistiger Leistungsfähigkeit aber durchaus auch neurobiologisch plausibel: Wie an dieser Stelle bereits berichtet (PTA 11/2008) werden beim Sex die Hormone Oxytocin und Dopamin ausgeschüttet, die eine wichtige Rolle bei Lern- und Gedächtnisleistungen spielen. Zusätzlich wissen wir, dass neben geistigem Training auch körperliche Aktivitäten sowie soziale Kontakte dem geistigen Verfall im Alter vorbeugen (vgl. Kolumne „Tanzen“, PTA 4/2012),

Dinge also, die beim Sex in jedem Falle gegeben sein dürften! Wenn Sie also Berichte wie die oben erwähnten lesen – und sagen wir, über 50 sind –, bedeutet das zwar nicht, dass Sie gleich „in die Kiste“ springen müssen aus Angst, sonst früher dement zu werden, denn wenn Sie keine Lust dazu haben wird das mit dem zusätzlichen Dopamin vermutlich auch nichts. Aber wenn Sie die Lust verspüren, dann nutzt Sex neben Ihrem Wohlbefinden und Ihrer Beziehung vielleicht sogar ihrem Gehirn. Eine perfekte Win-Win-Situation ohne Risiko, finden Sie nicht auch?

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 08/17 ab Seite 12.

Zur Person
Prof. Dr. Schulze Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de 

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg. Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens. www.schulze-holger.de 

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