Darm und Darmhirn
PTA-Fortbildung

Signale aus dem Bauch

In China gilt der Darm schon seit jeher als Sitz der Seele. Bei uns wird die Rolle des Bauchhirns erst seit kurzer Zeit intensiv beforscht und wir sind noch dabei zu lernen, die Signale zu verstehen.

20 Minuten

Veröffentlichung der Teilnahmebescheinigung:
01. Mai 2021

Einfluss der Ernährung Es konnte gezeigt werden, dass sich die Menschheit grob in drei Enterotypen einteilen lässt. Abhängig von der Bakteriengattung, die den menschlichen Darm dominiert, wird in Bacteroides (Enterotyp-1), Prevotella (Enterotyp-2) oder Ruminococcus (Enterotyp-3) unterschieden. Dabei gibt es einen Zusammenhang zwischen den Ernährungsgewohnheiten und den vorwiegend im Darm gedeihenden Bakterienarten. Personen mit einem hohen Konsum an Proteinen und gesättigten Fetten in der Ernährung (hoher Fleischkonsum) haben tendenziell mehr Bacteroides in ihrem Mikrobiom. Bei Menschen, die sich sehr kohlenhydratreich mit eher einfachen Zuckern ernähren, fühlen sich Prevotella besonders wohl und produzieren Vitamin B1 und Folsäure.

Ruminococcus werden vor allem bei Personen gefunden, die einen hohen Alkoholkonsum und hohen Anteil an mehrfach ungesättigten Fetten in der Ernährung haben. Ob der ein oder andere Mikrobiom-Typ für den Menschen gesünder ist beziehungsweise im ungünstigen Fall das Risiko für die Entwicklung von Krankheiten erhöht, ist noch unklar. Diskutiert wird beispielsweise, ob Enterotyp-1-Menschen eine Neigung zu Adipositas aufweisen, da die Bakterien besonders gut Ballaststoffe verwerten. Beim Enterotyp-2 wird vermutet, dass er mit der Entstehung eines Reizdarms in Verbindung steht, da die Bakterien den Schleim im Darm abbauen können.

Gestörte Gemeinschaft Verändert sich die Anzahl und Artenvielfalt der Darmbewohner, Dysbiose genannt, sind die Auswirkungen äußerst vielfältig. Nicht nur akute Probleme stellen sich kurzfristig ein. Auch langfristige negative Effekte auf den Stoffwechsel und das Immunsystem sind möglich. So scheint ein aus dem Gleichgewicht geratenes Mikrobiom nicht nur mit Funktionseinschränkungen der Darmschleimhaut und des darmassoziierten Immunsystems verbunden zu sein. Es gibt zahlreiche Hirnweise, dass Veränderungen im Mikrobiom mit einem Risiko für das Auftreten diverser Krankheiten einhergehen können.

Im Vergleich zum Mikrobiom gesunder Menschen wurde bei bestimmten Erkrankungen beobachtet, dass einige Bakterienstämme in zu großer oder zu kleiner Menge vorliegen. Neben den bereits erwähnten vermuteten Zusammenhängen zwischen individueller Darmbesiedlung und dem Auftreten von Fettleibigkeit und Reizdarmsyndrom, scheint es ebenso eine Beteiligung des Mikrobioms bei der Entstehung von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, Diabetes oder Allergien zu geben. Vermutet wird zudem eine Verbindung zur Entwicklung neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen. Beispielsweise nimmt man Zusammenhänge mit dem Auftreten von Autismus, Angststörungen, Depressionen oder eines Parkinson Syndroms an.

Artenvielfalt erwünscht Wie sich die Zusammensetzung der Darmbewohner im Idealfall gestalten sollte, damit der Organismus bestmöglich gesundheitlich profitiert, ist derzeit noch nicht bekannt und Gegenstand intensiver Forschung. Zudem scheinen einige Personen von einem bestimmten Bakterienstamm zu profitieren, während dieser bei anderen keinen Benefit erzielt. Gesichert ist aber die Erkenntnis, dass sich eine große Diversität positiv auf die Gesundheit auswirkt. Je mehr verschiedene Arten unser Organismus beherbergt, desto besser funktioniert die Darmbarriere und desto größer ist ihr Schutz vor schädlichen Stoffen.

Mit zunehmendem Alter nimmt die Artenvielfalt ab. Während in der Jugend noch viele verschiedene Bakterienarten vorliegen, ist später die mikrobielle Diversität deutlich geringer. Auch eine einseitige Ernährung mit einer hohen Zufuhr an Salz, Zucker, Alkohol und Fetten sowie einem Mangel an Ballaststoffen reduziert die Bakterienvielfalt im Darm. Weitere Ursachen für die Abnahme der Diversität können Infektionen oder die Einnahme von Medikamenten (z. B. Antibiotika, Protonenpumpenhemmer, Calciumantagonisten, Antipsychotika) sein. Vor allem beeinträchtigen antimikrobiell wirksame Arzneimittel das Mikrobiom erheblich.

Mikroorganismen für den Darm Um das Gleichgewicht des Mikrobioms im Darm wiederherzustellen, die Diversität der Darmbewohner zu fördern oder einer Fehlbesiedlung entgegenzuwirken, können dem Organismus Kulturen nützlicher Mikroorganismen zugeführt werden. Dazu zählen vor allem Hefen (z. B. Saccharomyces boulardii, Synonym Saccharomyces cerevisiae), Lactobazillen (z. B. Lactobacillus casei Shirota, Lactobacillus rhamnosus GG), Bifidobakterien (z. B. Bifidobacterium infantis 35624, Bifidobacterium animalis DN173010) und Escherichia coli (z. B. E. coli Nissle 1917, E. coli DSM 17252). Inzwischen existiert eine große Anzahl an Präparaten mit den unterschiedlichsten Kulturen.

Sie werden als Probiotika bezeichnet, die laut Definition der Weltgesundheitsorganisation als lebende Mikroorganismen dem Wirt einen gesundheitlichen Vorteil bringen, wenn sie in ausreichender Menge aufgenommen werden. Die Menge an Mikroorganismen ist durch die Angabe der koloniebildenden Einheiten (KBE) ersichtlich. Nur Präparate mit ausreichender Keimzahl können eine angemessene Besiedlung im Dickdarm und damit auch eine Wirkung entfalten. Probiotische Präparate verfügen über eine galenische Formulierung, die dafür sorgt, dass die Mikroorganismen unversehrt die aggressiven Magen-und Verdauungssäfte passieren und sich dann in aktiver Form an die Darmwand anheften können.

Allerdings sind Probiotika nicht in der Lage, sich dauerhaft anzusiedeln. Um einen positiven Effekt auf die Gesundheit ausüben zu können, müssen sie regelmäßig zugeführt werden. Auch wenn bislang noch nicht alle der gesundheitsfördernden Mechanismen bereits im Detail bekannt sind, werden beispielsweise folgende Effekte angenommen: Probiotische Mikroorganismen

  • aktivieren verdauungsfördernde Enzyme im Darm,
  • hemmen das Wachstum vieler durchfallfördernder Bakterien wie Clostridium difficile,
  • produzieren organische Säuren wie Milchsäure und senken damit den pH-Wert ab und hemmen so unerwünschte Keime am Wachstum,
  • konkurrieren mit pathogenen Keimen um Bindungsstellen an der Darmschleimhaut und verhindern so deren Eindringen in die Darmzellen,
  • interagieren mit Rezeptoren im Darm und verringern somit die Freisetzung von Entzündungsmediatoren,
  • metabolisieren antibiotische Substanzen,
  • stabilisieren die Darmwand,
  • regen das Immunsystem an.

Verschiedene Einsatzgebiete Es hat sich gezeigt, dass Probiotika auf diese Weise die eigentliche Darmgesundheit verbessern. Vor allem üben sie damit einen positiven Einfluss auf die Darmbarriere und das darmeigene Immunsystem aus. Studien konnten zudem demonstrieren, dass Probiotika bei bestimmten Erkrankungen über gesundheitsfördernde Effekte verfügen. Manche der Indikationen haben sich schon lange etabliert. So werden probiotische Zubereitungen schon seit vielen Jahren zur Unterstützung des Immunsystems, zur Prävention und Therapie von Durchfallerkrankungen, zur Wiederherstellung der physiologischen Besiedlung in Vagina oder Darm nach Antibiotikagabe sowie beim Reizdarmsyndrom eingesetzt.

Weitere Anwendungsgebiete kommen laufend hinzu und werden intensiv beforscht (z. B. bei Leberfunktionsstörungen). Nicht immer ist sofort ersichtlich, welche Indikationen die Präparate ausloben. Da Probiotika weniger als Arzneimittel zugelassen sind, sondern vorzugsweise als Nahrungsergänzungsmittel, bilanzierte Diäten oder Medizinprodukte vertrieben werden, dürfen die meisten weder krankheitsbedingte Aussagen treffen noch sich auf Indikationen festlegen. Lediglich nährwert- und gesundheitsbezogene Aussagen sind verzeichnet, die nicht unbedingt weiterhelfen.

Manchmal sind auch nur Abkürzungen im Produktnamen aufgeführt, die es zu entschlüsseln gilt (z. B. SR 9 für Stress Repair). Weitere Beispiele der Einsatzgebiete, bei denen Probiotika helfen sollen, sind: Unterstützung beim Abnehmen, Vorbeugung von Allergien, Verminderung von Dauer und Häufigkeit der Symptome bei Atemwegserkrankungen, Behandlung einer Migräne oder Neurodermitis, Verdauungsbeschwerden oder entzündlichen Darmerkrankungen.

DARMBARRIERE

Der Darm übernimmt als Teil der physiologischen Darmbarriere eine wichtige Aufgabe bei der Aufrechterhaltung der Gesundheit. Als selektive Barriere entscheidet sie, welche Stoffe aus dem Darm in den Blutkreislauf und damit in den Körper gelangen können. Gleichzeitig verhindert sie ein Eindringen pathogener Substanzen. Zudem beheimatet sie die 70 Prozent der Abwehrzellen des gesamten Organismus und ist somit Sitz des darmassoziierten Immunsystems, das auch unter dem Begriff GALT (good associated lymphoid tissue) bekannt ist. Von außen nach innen betrachtet besteht die Darmbarriere aus den folgenden drei Komponenten: Mikrobiom, Schleimschicht (Mucus) und Darmschleimhaut.

Die zahlreichen Darmbewohner bilden als mikrobielle Barriere die äußerste Schutzschicht. Die darunter liegende dicke Schleimschicht fungiert als zweiter Schutzwall, der die Mikroorgansimen von der Epithelschicht der Darmschleimhaut fernhält. Zudem wehren die sich in der Schleimschicht befindenden Defensine schädliche Bakterien ab. Die dritte Verteidigungslinie stellt die Darmschleimhaut dar, die den Darm von innen auskleidet. Eine wesentliche Rolle spielen dabei ihre Epithelzellen, die einen engen Zellverband bilden.

Die verbleibenden kleinen Zwischenräume, die die einzelnen Zellen voneinander trennen, werden von speziellen Schlussleisten (tight junctions) abgedichtet. Sie verhindern ein Durchdringen von Teilchen, Wasser und Mikroorganismen durch das Epithel. Darüber hinaus üben die dort ansässigen Immunzellen eine immunologische Barrierefunktion aus.

×