© M. Schuppich / fotolia.com

Ernährung

ZWISCHEN WUNDER UND WAHRHEIT

Es soll Immunsystem, Herz und Kreislauf stärken, schlank und fit sowie eine schönere Haut machen und gleichzeitig noch vor Krankheiten und Alterserscheinungen schützen. Superfood ist das Essen mit Lifestyle-Faktor.

Seite 1/1 4 Minuten

Seite 1/1 4 Minuten

Rein pflanzlich und besonders gesund – so könnte man die nicht genau definierte Gruppe der Lebensmittel, die oft als Superfood bezeichnet werden, vielleicht grob beschreiben. Viele davon sind exotischen Ursprungs. Meist gelten die Samen, Beeren oder Algen als besonders gesund, weil sie einen hohen Gehalt an Vitaminen und anderen Nährstoffen, insbesondere an sekundären Pflanzenstoffen aufweisen, also etwa von Polyphenolen, wie die Pflanzenfarbstoffe aus der Gruppe der Flavonoide oder Anthocyane, wie sie auch in Trauben, Rotwein und Granatapfel vorkommen. Beworben wird im Besonderen ihr großes antioxidatives Potenzial.

Gesunde Inhaltsstoffe Dass etwa Chia-Samen, Açai- und Goji-Beeren eine Menge potenziell gesunder Inhaltsstoffe enthalten, ist unbestritten. All die erhofften positiven Effekte, wie zum Beispiel eine präventive Wirksamkeit von Kakao, was Krebs oder Gefäßkrankheiten angeht, sind allerdings längst nicht nachgewiesen.

Labortests und Beobachtungen bei Tieren können nicht einfach auf die Situation beim Menschen übertragen werden; auch Berichte über das Fehlen dieser oder jener „Volkskrankheit“ bei Naturvölkern, die sich von Superfood ernähren, lassen selbstverständlich nicht auf eine Kausalität schließen. In Interventionsstudien erzielte man teilweise positive Effekte – allerdings handelt es sich dabei um Untersuchungen von meist kurzer Dauer an oft kleiner Probandenzahl.

Meist wurden Testmahlzeiten oder Präparate mit standardisiertem Gehalt an dem jeweils untersuchten Pflanzenstoff verabreicht. Die untersuchten Mengen werden in der Regel bei normalem Konsum der Lebensmittel nicht erreicht. Wichtig ist, welche Variablen in den Studien untersucht wurden: Man hat zum Beispiel die Veränderung von bestimmten Laborwerten der Probanden untersucht, die als für die Gefäßgesundheit wichtig gelten, weil sie beispielsweise für die endotheliale Funktion mitverantwortlich sind.

Oder es wurden Parameter gemessen, welche den antioxidativen Status anzeigen sollen, Größen also, bei denen man davon ausgeht, dass sie für die Entwicklung respektive den Schutz vor Krankheiten relevant sind.

Schutz vor Krankheiten? Wissenschaftler geben zu bedenken, dass bei Messung solcher sogenannter Surrogatmarker Annahmen zu bestimmten Zusammenhängen zugrunde gelegt werden, deren tatsächliche Bedeutung für die menschliche Gesundheit erst noch durch große, randomisierte Placebo-kontrollierte Studien bewiesen werden müssten. Schließlich hängt etwa die Entwicklung chronischer Erkrankungen wie der Arteriosklerose in der Regel nicht von einer einzigen Stoffwechselveränderung ab, sondern ist häufig Ergebnis mehrerer ungünstiger ineinandergreifender Prozesse.

So ist eigentlich nicht verwunderlich, dass sich die Annahmen nicht immer in der Realität wiederfinden, so zum Beispiel bei den Polyphenolen aus Früchten und Gemüse. Zu dieser Stoffgruppe gehört unter anderem das oft besprochene Resveratrol der Weintrauben. Ihnen wird nachgesagt, dass sie die Entwicklung verschiedener chronischer Erkrankungen hemmen könnten; Studienergebnisse dazu sind jedoch teilweise widersprüchlich.

Ein anderer Faktor, der die Sache kompliziert, ist die variierende Bioverfügbarkeit der Stoffe, die von individuellen Voraussetzungen ebenso wie auch von der Nahrungsmatrix abhängt, also den anderen Bestandteilen der verzehrten Produkte. Açai-Beeren etwa werden insbesondere wegen ihres hohen Gehalts an Anthocyanen geschätzt. Der Körper kann diese Stoffe allerdings nur schlecht nutzen: die Bioverfügbarkeit beträgt rund ein Prozent.

Immer wieder haben Untersuchungen gezeigt, dass es mit Blick auf die Gesundheit nicht auf einzelne Stoffe ankommt, sondern neben der Zusammensetzung der Ernährung als Ganzem noch auf viele weitere Einflussfaktoren sowie natürlich auf die jeweilige Genausstattung. Auch Superfood ist nicht frei von den allgemeinen Problemen landwirtschaftlicher Produktion: Goji-Beeren aus China sind in Untersuchungen des öfteren stark mit Pestiziden belastet aufgefallen.

Über die langen Transportwege, beziehungsweise die verschiedenen Verarbeitungsschritte, die nötig sind, weil die Frucht als ganzes diese Reise nicht gut überstehen würde, wie dies bei der Açai-Beere der Fall ist, könnte ein Gutteil der wertvollen Inhaltsstoffe verloren gehen, wenden Kritiker weiter ein.

Ernährungsfachleute betonen daher immer wieder, dass man einen ähnlichen Reichtum an Nährstoffen in heimischen oder traditionell verwendeten Gemüsen, Früchten und Beeren wie Heidelbeeren, roten Trauben, Rotkohl, Zwiebeln, Kohlarten, Nüssen und Leinsamen mit seinen hohen Konzentrationen an Omega-3-Fettsäuren findet. Dennoch: An der gelegentlichen Bereicherung des Speiseplans mit dem Trend- Food ist sicher nichts falsch; nur zu hohe Erwartungen sollte man daran nicht knüpfen.

Worauf man achten sollte Wie einige andere Nahrungsmittel kann auch der Konsum von Goji-Beeren zu Wechselwirkungen mit Arzneimitteln führen: Es sind Fälle von Interaktionen mit Vitamin-K-Antagonisten wie Phenprocoumon oder Warfarin bekannt, bei denen das Blutungsrisiko im Zusammenhang mit dem Genuss der Beeren innerhalb kurzer Zeit dramatisch anstieg.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte rät daher Patienten unter gerinnungshemmender Medikation, Goji-Beeren und alle Zubereitungen daraus zu meiden.
Erklären Sie Ihren Kunden, dass es wegen der starken Quellfähigkeit von Chia-Samen wichtig ist, ausreichend Flüssigkeit zuzuführen – bei eingeweichten, insbesondere aber bei Genuss der trockenen Körner.

Freie Radikale – immer „böse“? Freie Radikale beziehungsweise sogenannte reaktive Sauerstoffspezies (ROS) entstehen im Zuge der normalen Zellatmung, aber auch vermehrt unter dem Einfluss bestimmter Noxen wie UV-Strahlen, Luftschadstoffe oder Tabakrauch. Sie sind hoch reaktiv und vermögen wichtige zelluläre Moleküle zu oxidieren und damit zu schädigen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn sie überhand nehmen und die Balance mit den zelleigenen antioxidativen Mechanismen gestört ist.

Der dann resultierende oxidative Stress scheint beteiligt an der Entstehung verschiedener Erkrankungen sowie an Alterungsprozessen. Vielfach werden freie Radikale ganz grundsätzlich als toxisch angesehen. Heute sind viele Wissenschaftler aber überzeugt, dass es sich nicht ganz so einfach verhält: Immerhin spielen die reaktionsfreudigen Moleküle auch eine Rolle bei der Infektabwehr. Und nach neueren Erkenntnissen sind sie offenbar an zentraler Stelle an noch weiteren physiologischen Aufgaben beteiligt, nämlich an der Steuerung von Genen, die wiederum für eine Reihe von Zellfunktionen, darunter auch den Schutz der Zelle verantwortlich sind.

Grundsätzlich ohne besonderen Anlass so viele Radikalenfänger wie möglich zu geben, könnte ein Irrweg sein, finden daher immer mehr Forscher. Unterdrückt man die Radikale durch „blinde“ regelmäßige Gabe von Gegenspielern, könnte dies auch unerwünschte Folgen haben. Man denke etwa an die Studien, in denen unter Vitamin-Präparaten sogar mehr Krebsfälle auftraten – statt des eigentlich erhofften Schutzes davor. Es scheint, wie so oft in der Medizin: je individueller und auf den speziellen Fall bezogen angewandt, umso eher macht die Gabe von Antioxidanzien Sinn.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/16 auf Seite 172.

Waldtraud Paukstadt, Dipl. Biologin

×