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Politik

ZUZAHLEN, MEHR ZAHLEN, NICHT ZAHLEN

Die Zuzahlung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine seit Jahren genutzte Form der finanziellen Selbstbeteiligung. Sie fällt zusätzlich zu den Beitragszahlungen an, unter anderem für ärztliche Behandlung, Zahnersatz, Arznei- und Hilfsmittel.

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Die Selbstbeteiligung ist keine neue Erfindung des Gesetzgebers. Im Arzneimittelbereich hat sie sogar eine lange Tradition, sie gab es schon zu Zeiten der Reichsmark. Ende der 1970er-Jahre betrug die Zuzahlung eine DM pro Rezept. Je nach „Kassenlage” wurde die Regelung nachjustiert.

Ende der 1980er wurde eine DM pro verordnetes Arzneimittel fällig. Innerhalb von zehn Jahren verdreifachte sich dieser Betrag. Zugleich wurden die Bestimmungen komplexer. Vor zwanzig Jahren wurde dann mit dem Gesundheitsstrukturgesetz erstmals eine gestaffelte Zuzahlung eingeführt, zunächst preisgestaffelt, wenig später gestaffelt nach Packungsgrößen. Und stets standen die Apotheken und ihre Mitarbeiter in der ersten Reihe, mussten die Neuregelungen den Patienten erklären und oft auch den Unmut über sich ergehen lassen.

Neuregelung Mit der großen GKVReform im Jahr 2004, dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz, wurden die Zuzahlungsregelungen abermals modifiziert. Günstiger wurde es für die Patienten dadurch nicht. Die Packungsgrößen-abhängige Zuzahlung wurde von einer prozentualen Beteiligung abgelöst. Patienten zahlen seither zehn Prozent, mindestens jedoch fünf und höchstens zehn Euro. Sozial abgefedert ist die Zuzahlung durch eine Härtefallregelung, die für chronisch Kranke die jährliche Belastungsgrenze bei einem Prozent, bei allen anderen erwachsenen Versicherten bei zwei Prozent der Einnahmen festsetzt.

Anwendung findet diese Zuzahlungsregelung unter anderem auch auf Rezepturen, Einzelimporte, Verbandsstoffe und Pflaster, apothekenpflichtige Medizinprodukte, Kompressionsstrümpfe und Diätetika. Es liegt im Übrigen nicht im Belieben der Apotheken, ob sie die Zuzahlung verlangen oder darauf verzichten. Vielmehr sind sie gesetzlich verpflichtet, die Zuzahlung vom Patienten zu verlangen und an die Krankenkassen weiterzuleiten, nachzulesen im neunten Abschnitt des Sozialgesetzbuchs V.

Ausgenommen sind lediglich Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, weibliche Versicherte der Primär- und Ersatzkassen für Verschreibungen im Rahmen der Mutterschaftshilfe, Unfallversicherte bei Leistungen zu Lasten von Berufsgenossenschaften, Angehörige der Bundeswehr, der Polizei und des zivilen Ersatzdienstes sowie nicht in einer gesetzlichen Krankenkasse versicherte Asylbewerber.

Arzneimittel, deren Preis mindestens um dreißig Prozent niedriger als der entsprechende Festbetrag liegt, können seit Inkrafttreten des Arzneimittelversorgungswirtschaftlichkeitsgesetzes, kurz AVWG genannt, vom GKV-Spitzenverband von den Zuzahlungen freigestellt werden. Nach dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz von 2007 kann eine Krankenkasse die Zuzahlung für solche Arzneimittel um die Hälfte reduzieren oder ganz erlassen, für die durch eine Rabattvereinbarung Einsparungen erzielt werden. Ohne Apothekensoftware wären die komplexen Regelungen nicht zu handhaben.

Kostenersparnis Durch die Selbstbeteiligung werden die Kassen jährlich um rund zwei Milliarden Euro entlastet. Das ist auch in Anbetracht der Gesamtausgaben der der Gesetzlichen Krankenversicherung von 32 Milliarden Euro im Jahr 2010 viel Geld. Deshalb hält der Gesetzgeber aus rein finanziellen Erwägungen an der Zuzahlungsregelung fest.

»Wenig in Anspruch genommen wird die Mehrkostenregelung, wonach Versicherte statt des Rabattarzneimittels ein anderes Präparat gegen Aufzahlung erhalten können.«

Trotz ihrer langen Historie ist jedoch bis heute unklar, ob die Eigenverantwortung der Versicherten gefördert und die Gesamtausgaben tatsächlich gesenkt werden. Denn die Nachfragesteuerung durch Zuzahlung könnte zumindest in niedrigen Einkommensschichten durch eine zu späte Inanspruchnahme von Leistungen auch zu Mehrausgaben führen.

Problemfall in der Apotheke Was aber macht man, wenn ein Kunde die fällige Zuzahlung nicht leisten kann oder will? Schließlich obliegt den Apotheken die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln. Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. Ausschließlich bei Pharmazeutischen Bedenken darf die Apotheke die Abgabe von verordneten Arzneimitteln verweigern.

Sie darf sich bei der Entscheidung also nicht von finanziellen oder wirtschaftlichen Erwägungen leiten lassen. Zudem ist die Zuzahlung rechtlich lediglich eine Forderung der Krankenkasse, die von der Apotheke eingezogen wird. Gegebenfalls geht diese Forderung auf die Kasse über.

(Besser situierte) Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung können seit Inkrafttreten des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes 2011 in der Apotheke auf Wunsch auch ein anderes als das rabattierte Arzneimittel bekommen. Sie zahlen in diesem Fall in der Apotheke zunächst den vollen Preis und rechnen anschließend mit ihrer Krankenkasse ab. Im Versorgungsalltag spielt die Mehrkostenregelung bislang nur eine geringe Rolle. Nicht erlaubt ist Apotheken im Übrigen, teilweise oder gänzlich auf die gesetzliche Zuzahlung oder auf die Zahlung der Mehrkosten durch den Versicherten zu verzichten oder damit zu werben.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 06/12 ab Seite 96.

Dr. Michael Binger, Hessisches Sozialministerium

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