© andriano_cz / iStock / Getty Images
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Krankheiten im Kindesalter

ZUM GLÜCK NUR NOCH SEHR SELTEN

Seit Einführung der Impfung sind invasive Infektionen mit Hämophilus influenzae b stark zurückgegangen. Wenn sie doch auftreten, ist eine schnelle Diagnostik und Therapie essenziell.

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Was genau ist eigentlich Hämophilus influenzae b, kurz Hib? Dass das viele Eltern heutzutage nicht mehr so genau wissen, liegt daran, dass invasive Hib-Infektionen mit der Einführung der Impfung ausgesprochen selten geworden sind. Sie wird hierzulande seit 30 Jahren als Standardimpfung für alle Säuglinge empfohlen. Aber was für eine Krankheit löst Hämophilus influenzae b eigentlich genau aus? Und hat sie etwas mit der Grippe zu tun?

Der Erreger Hämophilus influenzae sind gramnegative Stäbchenbakterien, von denen bekapselte und unbekapselte Stämme unterschieden werden. Erstere besitzen eine Kapsel aus Polysacchariden. Von ihnen gibt es insgesamt sechs, die mit den Buchstaben a bis f bezeichnet werden. Die unbekapselten Stämme werden synonym auch als nicht typisierbar bezeichnet. Um es gleich zu sagen: Mit der Grippe hat keiner etwas zu tun. Aber als man den Erreger entdeckte, dachte man, den Erreger der Influenza gefunden zu haben und gab ihm einen entsprechenden Namen. Obwohl sich das im Nachhinein als Irrtum herausgestellt hat, ist die irreführende Bezeichnung dennoch beibehalten worden.

Verschiedene Erkrankungen Hämophilus influenzae b kann eine ganze Reihe von ernsten und schwerwiegenden Krankheiten verursachen. Wenn der Erreger in die Zerebrospinalflüssigkeit oder in die Blutbahn gelangt, spricht man von invasiven Infektionen, konkret von einer Meningitis beziehungsweise einer Blutvergiftung/Sepsis. Außerdem kann Hämophilus influenzae b auch eine lebensbedrohliche Kehldeckelentzündung (Epiglottitis) auslösen. Seltener verursacht es Pneumonien, Osteomyelitis, Pharyngitis, Otitis media, septische Arthritis oder Endokarditis.

Gefährdet sind vor allem Kinder unter fünf Jahren. Vor der Einführung der Impfung war Hämophilus influenzae b der häufigste Erreger der bakteriellen Meningitis in dieser Altersgruppe. Die Sterblichkeit in Industrieländern liegt auch heute noch bei etwa fünf bis zehn Prozent. Weitere zehn bis fünfzehn Prozent der Patienten behalten bleibende Schäden zurück. Während Meningitis und Sepsis besonders bei Säuglingen und Kleinkindern auftreten, sind von einer Epiglottitis eher etwas ältere Kinder bis zum Grundschulalter betroffen. Hier können die oberen Atemwege innerhalb von wenigen Stunden so stark anschwellen, dass Tod durch Ersticken droht.

Gesunde Überträger Hämophilus-influenzae-Bakterien können im Nasen-Rachen-Raum einer Person siedeln, ohne dass sie erkrankt. Vor der Einführung der Impfung waren etwa drei bis neun Prozent der Kinder unter fünf Jahren von Hämophilus influenzae b kolonisiert. Mit Einführung der Impfung hat diese Rate stark abgenommen, sodass heute vermutlich vor allem ältere Kinder und Erwachsene als Erreger-Reservoir dienen. Die Übertragung erfolgt als Tröpfcheninfektion beim Niesen oder Husten. Auch der direkte Kontakt mit Sekreten aus den Atemwegen kann zur Ansteckung führen. Ein erhöhtes Risiko, an einer Hämophilus-influenzae-b-Infektion zu erkranken, haben Babys und kleine Kinder, vermutlich, weil ihr Immunsystem noch nicht ausgereift ist. Ein erhöhtes Risiko haben außerdem Menschen mit Sichelzellanämie und solche mit einer anatomischen oder funktionellen Funktionsunfähigkeit der Milz (Asplenie). Der Nachweis des Erregers erfolgt meist aus Blut oder Liquor und ist nach Infektionsschutzgesetz meldepflichtig.

Frühzeitige Antibiotika-​Therapie und Prophylaxe Weil die schweren Erkrankungen wie Meningitis oder Sepsis schnell voranschreiten, ist eine frühe Antibiotika-Behandlung mit Ceftriaxon oder Cefotaxim essenziell. Eine alleinige Therapie mit Ampicillin wird wegen verbreiteter Resistenz des Erregers nicht empfohlen. In der Regel ist eine intensivmedizinische Betreuung nötig. Eine Impfung gegen Hämophilus influenzae b wird seit 1990 als Standardimpfung von der Ständigen Impfkommission für alle Kinder empfohlen. Als Antigen dienen im Impfstoff dabei die aufgereinigten und an ein Trägerprotein konjugierten Polysaccharide der Bakterienkapsel. Der Impfstoff schützt ausschließlich gegen Hämophilus influenzae b.

Als Teil der Sechsfach-Impfung besteht die Grundimmunisierung aus vier Teilimpfungen im zweiten, dritten und vierten Lebensmonat sowie am Ende des ersten Lebensjahres (11.–14. Lebensmonat). Bei unvollständiger Impfung soll bis zum einem Alter von vier Jahren eine Nachholimpfung erfolgen. Seit Einführung der Impfung sind die Fallzahlen stark gesunken. Schwere Erkrankungen an Meningitis oder Epiglottitis treten nur noch bei ungeimpften oder nicht vollständig geimpften Kindern auf. Im vergangenen Jahr wurden dem Robert Koch-Institut aus ganz Deutschland insgesamt 27 Fälle von invasiven Hämophilus-influenzae-b-Erkrankungen gemeldet, davon vier bei Kindern. Ab einem Alter von fünf Jahren ist keine Impfung gegen Hämophilus influenzae b mehr vorgesehen, mit Ausnahme von Personen mit Asplenie.

Um Ausbrüchen vorzubeugen, wird nach engem Kontakt mit einem Patienten mit einer Hämophilus-influenzae-b-Infektion eine Chemoprophylaxe mit Rifampicin empfohlen, und zwar für alle Haushaltsmitglieder ab einem Alter von einem Monat, wenn sich dort ein ungeimpftes oder unzureichend geimpftes Kind im Alter bis zu vier Jahren oder eine Person mit relevanter Immundefizienz beziehungsweise -suppression befindet. Eine Chemoprophylaxe sollen außerdem ungeimpfte, in Gemeinschaftseinrichtungen exponierte Kinder bis vier Jahre erhalten. Schließlich sollen auch alle Kinder unabhängig vom Impfstatus und Alter sowie Betreuerinnen derselben Gruppe einer Gemeinschaftseinrichtung für Kleinkinder eine Chemoprophylaxe erhalten, wenn dort innerhalb von zwei Monaten zwei oder mehr Fälle aufgetreten sind und in der Einrichtung nicht oder nicht ausreichend geimpfte Kinder betreut werden.

Anstieg bei unbekapselten Hämophilus-influenzae-Fällen Seit etwa 2005 steigt die Anzahl aller gemeldeten invasiven Infektionen mit den verschiedenen Hämophilus-influenzae-Stämmen von unter 100 Fällen pro Jahr auf mittlerweile über 950 Fälle pro Jahr kontinuierlich an – ein Trend, der auch europaweit beobachtet wird. Für gut 700 Fälle davon wurden im vergangenen Jahr die Erreger genauer untersucht. Es zeigte sich, dass 80 Prozent dieser untersuchten Fälle durch unbekapselte Hämophilus-influenzae-​Stämme verursacht wurden, und zwar ganz überwiegend bei älteren Personen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 06/2020 ab Seite 72.

Dr. rer. nat. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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