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Politik

WOHIN STEUERN WIR?

Antibiotikaresistenzen gefährden die menschliche Lebenserwartung. Umso mehr erstaunt die Schlagzeile der letzten Tage: Pharmafirmen forschen nicht an neuen Antibiotika. Ist es an der Zeit, dass die Politik einschreitet?

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Seit Jahren diskutiert die Fachwelt über Antibiotikaresistenzen. MRSA (Methicillin- oder auch multiresistenter Staphylococcus aureus), VRSA (Vancomycinresistenter Staphylococcus aureus), MRGN (multiresistente gramnegative Bakterien) und Multiresistenzen bei Mykobakterien beherrschen die Schlagzeilen – man befürchtet, dass eine große Gefahr auf die Bevölkerung zurollt.

Ende der Erfolgsgeschichte Mit der Entdeckung und Entwicklung der Antibiotika begann eine Zeit, in der den Menschen viel Leid und Elend erspart wurde. Schon Ende des 19. Jahrhunderts begannen Ärzte die ersten Entdeckungen im Bereich der Pilze zu machen. 1910 entwickelte Paul Ehrlich den ersten Stoff, der zwar noch nicht breit wirksam war, aber den Namen Antibiotikum – anti: gegen und bios: das Leben – verdiente. 1928 entwickelte Alexander Fleming das Penicillin, wofür er 1944 den Nobelpreis erhielt. 1935 folgte Gerhard Domagk mit der Synthese der Sulfonamide. Bahnbrechend an der Entwicklung der Antibiotika waren nicht nur die Behandlungsmöglichkeiten vieler Infektionskrankheiten, sondern auch die enorm gestiegene Lebenserwartung, die damit einherging.

Die Tuberkulose bedeutete noch Anfang des 20. Jahrhunderts oft schweres Siechtum und den sicheren Tod. Heute gilt sie als gut behandelbar. Durch die wachsenden Zahlen der Migranten, die aus Ländern ohne konsequente Durchimpfung kommen, steigen auch in Deutschland die Tuberkulosefälle wieder. Es ist doch sehr erschreckend, wenn man von immer mehr resistenten Mykobakterien liest, die eine erfolgreiche Behandlung verhindern. Auch in der Apotheke hören wir immer öfter den Satz, dass das verordnete Medikament bei Weitem nicht das erste ist, da die vorher verordneten Antibiotika nicht gewirkt hätten.

Woher kommen diese Probleme? Auf der einen Seite wurde lange Zeit sehr sorglos und viel verschrieben – auch bei viralen Erkrankungen, bei denen Antibiotika nicht wirken können. Auf der anderen Seite haben wir einen falschen Umgang mit den Stoffen: Zu früh abgesetzt wird die Resistenzbildung begünstigt. In den Krankenhäusern wurde allzu oft ein sorgloser Umgang mit Antibiotika und Desinfektionsmitteln gepflegt, was nun zum Verhängnis wird. Doch nicht nur bei den Menschen macht der Antibiotikagebrauch Probleme: Die in den Industrienationen verbreitete Massentierhaltung macht den Einsatz von Antibiotika unumgänglich; dort ist die Resistenzentwicklung entsprechend hoch.

Dies führte dann zu dem drastischen Schritt, dass der Versand von verschreibungspflichtigen Tierarzneimitteln verboten wurde, um dem unsachgemäßen Gebrauch einen Riegel vorzuschieben. Noch dramatischer ist die Situation in Indien. Der enorme Kostendruck in Deutschland hat da- zu geführt, dass die Produktion der Antibiotika praktisch nur noch in Indien stattfindet. Laxe Sicherheitsvorkehrungen in den indischen Betrieben haben dazu geführt, dass die in der Umgebung befindlichen Gewässer mit multiresistenten Keimen belastet sind. Erschwerend kommt hin- zu, dass Antibiotika in Indien (wie auch in vielen anderen Ländern) rezeptfrei zu erwerben sind. Der sorglose und unkritische Umgang hat zur Folge, dass zwei Drittel der indischen Bevölkerung multiresistente Keime in sich tragen. In Europa schätzt man die Zahl auf zehn Prozent – mit der Folge, dass an Antibiotikaresistenzen ungefähr 33 000 Menschen pro Jahr sterben.

Was kann man tun Etliche Politiker haben sich des Themas angenommen und wollen eine EU-weite Lösung erreichen. Die Keime machen schließlich nicht an Grenzen halt und in Zeiten großer Mobilität werden die Erreger auch aus Indien zu uns kommen. Die Forderung an die Industrie lautet: Es muss mehr geforscht werden! Dem wird erwidert, dass es kein Interesse an der Erforschung neuer Antibiotika gebe, da damit nichts verdient würde. Ganz so einfach ist es allerdings nicht. Selbstverständlich unterliegt auch die pharmazeutische Industrie den Gesetzen der Marktwirtschaft und kann es sich nicht leisten, die Entwicklungskosten nicht wieder zu verdienen.

Aber man sieht an Entwicklungen der neueren Impfstoffe, wie Shingrix® gegen Herpes Zoster, oder Sofosbuvir zur Heilung von Hepatitis C, dass es durchaus neue Arzneistoffe gibt, die langjährige Folgekosten und den Verdienst durch den Absatz von Medikamenten verhindern. Das Problem liegt darin, dass die Forschung zwar wirksame neue Antibiotika hervorbringen soll, aber diese nicht in den breiten Verkauf gelangen, sondern sozusagen auf die Reservebank gesetzt werden. Das ist auch richtig, um im Ernstfall noch etwas in der Hinterhand zu haben. Diesen Spagat gilt es zu lösen, was mittlerweile zu einer Angelegenheit mit globalem Interesse geworden ist – hierzulande hieße das, nur gemeinsam unter den Staaten der Europäischen Union.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/19 ab Seite 68.

Mira Sellheim, Apothekerin und Deligierte der Landesapothekerkammer Hessen

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