Alternative Heilmethoden
WIEDER EINS SEIN MIT DER NATUR
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Frühlingsidylle im Odenwald – die Kirschbäume blühen, an den Buchen werden erste hellgrüne Blätter sichtbar und das Gras auf den Pferde- und Rinderweiden fängt an zu sprießen. Doch was ist das? Da stehen Männer in Hemden und feinen Anzügen samt Krawatte auf einer Pferdekoppel. In dieser Ausstattung könnten sie auch in einer Bank arbeiten ohne aufzufallen. Wären da nicht die Gummistiefel und die Schaufeln und Mistgabeln. Die Männer wirken völlig deplatziert und auch etwas unsicher, aber sie sammeln eifrig die Koppel von Pferdeäpfeln ab und laden ihre Ausbeute in bereitstehende Schubkarren. Ich habe einen Termin auf dem Pferdehof von Landwirtschaftsmeisterin Barbara, die zugleich auch eine heilpädagogische Ausbildung hat. Sie bietet eine sehr junge alternative Heilmethode an, das sogenannte Heilmisten. Erlernt hat sie es in einem mehrmonatigen Kurs in England, wo Heilmisten seinen Ursprung hat. Das liegt nahe, denn dort gibt es jede Menge Pferde und es wird bekanntlich besonders viel Mist produziert. Barbara darf sich nach ihrem bestandenen Examen „zertifizierter internationaler Coach für Heilmisten“ nennen und die Therapie weltweit anbieten.
Die Erdung fehlt Ich möchte wissen, was das für Menschen sind, die hier Pferdeäpfel auflesen und dafür vermutlich eine Menge Geld bezahlen. Sind das da draußen tatsächlich Bankangestellte? Es sind Menschen, die den Kontakt zu „Mutter Erde“ verloren haben, so drückt Barbara es aus. In dieser Gruppe sind es Geschäftsführer und leitende Angestellte. Ein Bankdirektor ist tatsächlich dabei. Sie wissen nicht mehr, wie der Frühling riecht, wie sich Erde zwischen den Fingern anfühlt. Sie haben vergessen, dass auch sie ein Teil der Natur sind. Das macht auf Dauer krank, denn es entzweit Körper und Seele. Heilmisten soll bei den verschiedensten psychischen und körperlichen Beschwerden helfen, denn Heilmisten erdet. Und es wirkt sogar vorbeugend. Dass die Gruppe am ersten Kurstag im Anzug mistet, dient dazu, sie behutsam an den Kontakt mit der Natur heranzuführen. Es darf kein Schock sein. Ab morgen wird die gewohnte Kleidung gegen angemessene ersetzt. Die darf dann auch mal dreckig werden. Barbara bietet auf ihrem Hof ein- und zweiwöchige Kurse an, in ihrem Bauernhaus kann sie bis zu sechs Teilnehmer unterbringen und verpflegen. Unterstützt wird sie von ihrer Familie und von Biologin Franzi, deren Arabo-Haflinger-Stute Sally auch auf dem Hof steht. Franzi zeigt den Teilnehmern, welche Pflanzen auf so einer Koppel wachsen, denn es ist natürlich nicht alles Gras, was grün ist.
Die Stimmung ist entspannt Was beim Heilmisten passiert, möchte ich wissen. Zum einen entschleunigt es, erklärt mir Barbara. Aber es ist auch der ständige Blick zum Boden, der Kontakt mit der Erde, der etwas in Gang setzt. Und natürlich der Pferdemist. Sonst könnte man ja auch einfach den Garten umgraben. Pferdeäpfel bilden die Brücke vom lebenden Organismus zur vordergründig unbelebten Materie im Boden. Der Umgang mit dem Mist, der auch mal mit bloßen Händen aufgesammelt werden darf, macht die Menschen ruhiger, ausgeglichener und zufriedener. Sie erkennen sich selbst im ewigen Kreislauf der Natur. Ob es sie nachhaltig verändert, hängt davon ab, ob sie sich den Blick auf die Erde auch im Anschluss bewahren. Und was halten die Pferde davon? Die kleine Herde besteht aus 16 Tieren, bunt gemischt. Ich sehe Großpferde in allen Farben, deren Rassen ich nicht bestimmen kann. Dazwischen zwei Haflinger, einen Norweger und zwei Isländer. Auch ein prächtiger irischer Tinker ist dabei.
Die Pferde leben in einer sogenannten Offenstallhaltung, das heißt, sie sind das ganze Jahr über draußen – im Sommer auf einer der vielen Koppeln rund um den Hof, im Winter auf einer großen befestigten Fläche direkt am Stall – und haben stets die Möglichkeit einen der Unterstände aufzusuchen, um sich vor Sonne oder Unwetter zu schützen. Im Winter gibt es im Stall eine von außen durch zwei Eingänge zugängliche, große Laufbox, in der sich die Pferde bei Bedarf aufwärmen oder einfach mal ins Stroh legen können. Jetzt ist die Herde zusammen mit den Männern auf der selben Koppel. Sie stören sich nicht an den Anzügen und Krawatten. Auch das ist Teil der Therapie, hat Barbara offenbar meine Gedanken erraten. Den Pferden ist es egal, welche Kleider jemand trägt oder welche Position er im Geschäftsleben einnimmt. Sie sehen, riechen und hören nur den Menschen. Und auf den sind sie neugierig. Gerade nimmt der noch sehr junge und verspielte Haflingerwallach Franzerl Kontakt zu einem der Männer auf und beschnuppert ihn. Und auch Malin, die Norwegerstute ist interessiert. Sie hält sich stets in der Nähe des Bankdirektors auf. Die beiden Isländer Spoi und Gloi halten sich dezent im Hintergrund, haben die Männer aber immer im Auge. Gefüttert wird auf der Weide übrigens nicht. Das ist verboten, denn sonst lassen die Pferde den Männern keine Ruhe und es könnte Gerangel zwischen den Vierbeinern geben.
Heilmisten hilft allen Für heute sind die Männer fertig mit Misten. Wir setzen uns alle auf Barbaras Terrasse und stärken uns mit Kaffee oder Tee und selbstgebackenem Kuchen. Auch diese Ruhephasen sind wichtig, erklärt Barbara. Ich möchte von Karl, dem Bankdirektor wissen, wieso er hier ist. Er erzählt mir, dass er sich nur noch mit Zahlen beschäftigt hat und mehr in Excel-Tabellen als in der richtigen Welt gelebt hat. Er hat es selbst nicht einmal gemerkt, aber sein kleiner Sohn hat plötzlich geweint, wenn er ihn auf den Arm nehmen wollte. Damit hat er deutlich gezeigt, dass etwas nicht stimmt. Durch einen Kollegen, der auch schon hier auf dem Hof war und als neuer Mensch zurückkam, ist er dann auf die Therapie aufmerksam geworden. Kinder spüren es, wenn Seele und Körper nicht mehr im Einklang sind, sagt Karl. Inzwischen hat sich auch Silja, Besitzerin eines der Islandpferde, zu uns gesetzt. Was sie vom Heilmisten hält, frage ich sie. Sie findet, es hilft allen Beteiligten. Die Teilnehmer gehen entspannt und glücklich nach Hause, die Pferdebesitzer müssen nicht mehr selber misten und obendrein verdient Barbara damit genug Geld, dass sie die Stallmiete um die Hälfte reduzieren konnte.
Das ist nur gerecht, denke ich mir. Schließlich produzieren die Pferde der Einsteller ja den Mist, um den es sich hier dreht. Bevor ich mich verabschiede, werde ich eingeladen, im Sommer nochmal wiederzukommen. Dann wird nicht nur gemistet, sondern es werden auch die abgefressenen Weiden gepflegt. Ich lerne, dass die Pferde so ziemlich alle Kräuter fressen, selbst Brennnesseln, wenn man sie abmäht und antrocknen lässt. Nur der stumpfblättrige Sauerampfer schmeckt ihnen nicht. Vermutlich wegen seines hohen Oxalsäuregehalts. Die Bauern hier im Odenwald nennen die Pflanze „Halbgaul“. Der muss, wenn die Weide abgefressen ist, ausgestochen werden, hat aber einen langen und tiefgehenden Wurzelstock, was das „Halbgaulstechen“ recht mühselig macht. Da arbeitet man mehr in als auf der Erde. Auch das ist Therapie. Ich erfahre noch, dass in der nächsten Woche eine Gruppe Informatiker ankommt. Für sie habe ich zwei Wochen eingeplant, sagt Barbara lachend, sie müssen erstmal ans Sonnenlicht gewöhnt werden. Dann verlasse ich den Hof und die immer noch deplatziert wirkenden Männer in ihren Anzügen und fühle mich auch ein wenig entspannter und ausgeglichener, irgendwie geerdet.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 04/19 ab Seite 56.
Sabine Breuer, Apothekerin/Chefredaktion
April, April!
Es hat tatsächlich funktioniert: Mit einer Reportage übers „Heilmisten“ , der alternativen Therapieform, mit der gestresste Manager wieder gelassen werden, haben wir einige Leser in den April geschickt. Die Reaktionen gingen von Entsetzen und Unverständnis bis zu ernstgemeinten Anmeldungen für den nächsten Kurs. Viele haben sich aber einfach auf den Scherz eingelassen und toll gekontert. So wurde zu einer Aktion „Misten gegen rechts“ aufgerufen und ein Apotheker behauptete, in seiner Apotheke Pferdeäpfel im Sixpack im Sonderangebot zu haben. Für die Vor- oder die Nachbereitung des Kurses.
Aber leider gibt es die Therapie „Heilmisten“ gar nicht oder vielleicht noch nicht. Wer weiß? Der Rest der Geschichte ist echt: der kleine Reiterhof im Odenwald; Barbara, die Hofbesitzerin; Franzi, die Biologin; Silja, die Islandpferdebesitzerin und natürlich die Pferde. Auch den neugierige Haflinger Franzerl, die schon etwas ältere Norwegerstute Malin, die Isländer Gloi und Spoi und alle anderen, die nicht namentlich genannt wurden, die gibt es dort wirklich.
Und entstanden ist die Idee so: Malin ist mein Pferd, ich gehöre zu Barbaras Einstellern. Jeder in der Gemeinschaft beteiligt sich an den anfallenden Arbeiten. Dazu gehört auch das Misten. Das ist tatsächlich eine ziemliche Plackerei, wenn man bedenkt, dass jedes Pferd alle 60 bis 90 Minuten einen Haufen fallen lässt. Bei insgesamt 16 Pferden ergibt das einiges. Auf der letzten Weihnachtsfeier kam uns zu vorgerückter Stunde die Idee, die lästige Arbeit als etwas Großartiges anzupreisen und damit noch Geld zu verdienen. Die passende Klientel war schnell gefunden: überarbeitete Manager kurz vor dem Burnout. Sehr lustig war auch das Foto-Shooting mit dem angeblichen Bankdirektor Karl. Die beiden Männer auf den Fotos gehören ebenfalls zur Stallgemeinschaft und haben sich auf der Weihnachtsfeier spontan bereiterklärt, den Spaß mitzumachen und mit Anzug und Krawatte sowie Gummistiefeln Pferdeäpfel aufzulesen.
Die Message der Geschichte, dass es nämlich manch einem, der zu sehr in der digitalen Welt lebt und den Bezug zur Natur verloren hat, gut täte, mal die Mistgabel oder Schaufel in die Hand zu nehmen und eine Koppel abzuäppeln, ist aber durchaus ernst gemeint. Wahrscheinlich täte es aber auch ein Waldspaziergang, eine Fahrradtour oder ein bisschen Gartenarbeit. Dass es jedoch Bedarf gibt für ein bisschen mehr „Erdung“, haben uns die Reaktionen gezeigt. Und was meint Barbara dazu? „Wir brauchen ein Konzept!“ ;-)
Sabine Breuer Apothekerin, Chefredaktion