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Urtikaria

WENN KÄLTE KRANK MACHT

Bald naht der Winter! Eisige Temperaturen, zugefrorene Seen und tanzende Schneeflocken können so schön sein. Doch wer unter einer Kälteurtikaria leidet, für den kann der Aufenthalt im Freien zur Qual werden.

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Beim Kontakt mit kalten Gegenständen oder eisiger Luft müssen Betroffene mit schweren Folgen rechnen: Ihre Haut beginnt zu jucken, zu schmerzen und es entstehen brennende Quaddeln. Wintersport ist für diese Personen somit unmöglich, stattdessen müssen sie sich draußen mit dicker Kleidung, Schal, Sturmhaube, Mütze und Handschuhen ausreichend schützen. Auch das Auftragen spezieller, wirkstofffreier Kälteschutzsalben kann sinnvoll sein.

Gefahr im Winter Die Kälteurtikaria ist eine Erkrankung, die durch physikalische Reize , hervorgerufen wird. Daher spricht man auch von einer physikalischen Urtikaria. Die Vermeidung entsprechender Auslöser ist zwar wünschenswert, aber nicht immer praktikabel.

»Die Schwellentemperatur, bei der Betroffene mit unangenehmen Beschwerden zu rechnen haben, ist individuell.«

Generell ist die Urtikaria eine heterogene Gruppe von Erkrankungen, die alle ein charakteristisches Hautreaktionsmuster gemein haben, nämlich die Entwicklung von Quaddeln und Angioödemen. Letztere sind durch plötzlich auftretende Schwellungen der tieferen Dermis und Subkutis, durch eine Beteiligung der Schleimhäute sowie durch Schmerzen (selten Juckreiz) charakterisiert. Die Rückbildung kann bis zu 72 Stunden andauern. Eine Quaddel hingegen hat drei typische Merkmale: Die Haut ist nur oberflächlich geschwollen, juckt und ist gerötet. Dieses Erscheinungsbild verschwindet in der Regel in einem Zeitraum von bis zu 24 Stunden wieder.

Lebensgefährlicher Zustand Die Schwellentemperatur, bei der Patienten mit Kälteurtikaria mit den unangenehmen Beschwerden zu rechnen haben, ist individuell. Betroffene müssen deshalb nicht nur im Winter Acht geben, sondern auch im Sommer auf den Sprung ins kalte Wasser sowie auf kalte Speisen verzichten. Letztere können zu Schwellungen im Rachenbereich führen und Schluckbeschwerden, Atemnot oder etwa einen kompletten Verschluss der Atemwege zur Folge haben. Der Sprung ins kalte Wasser ruft bei Patienten mit Kälteurtikaria eine Schockreaktion hervor, aus der ein Blutdruckabfall, Bewusstlosigkeit und unter Umständen sogar Ertrinken resultieren.

Übeltäter Histamin Werden die Mastzellen stimuliert, degranulieren (zerfallen) diese, sodass große Mengen an Histamin sowie weitere entzündungsfördernde Mediatoren (Prostaglandine, Leukotriene, Interleukine oder Chemokine) freigesetzt werden. Aufgrund des Histamins werden die Blutgefäße weit gestellt (Vasodilatation). Gleichzeitig wird ihre Permeabilität erhöht, sodass Flüssigkeit in das umliegende Gewebe austritt. Als Folge erscheinen Quaddeln und Schwellungen unterschiedlicher Größe und Anordnung, die aussehen, als hätte man in eine Brennnessel gegriffen.

Die Anwesenheit des Histamins hat weitere Konsequenzen: Das Gewebshormon aktiviert sensorische Nervenbahnen und verursacht dadurch den unangenehmen Juckreiz sowie die Ausschüttung von Neuropeptiden, welche für die Rötungen verantwortlich sind.

Diagnose leicht gemacht Eine Kälteurtikaria festzustellen, ist nicht schwierig. Mit Hilfe von Eiswürfeln, die für eine bestimmte Zeit auf die Haut aufgebracht werden, durch eine Kältekammer oder durch Wasserbäder können die Reaktionen der Haut ermittelt werden. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, die Diagnostik mit einem elektronischen Testgerät (bestehend aus metallischen Kühlelementen) durchzuführen. Dieses erzeugt eine Hautprovokationen durch Temperaturen, die im Beriech von 0 bis 45 °C liegen, sodass sich Schwellentemperatur und -zeit präzise definieren lassen.

Aufklärung nötig Zunächst einmal ist es wichtig, Betroffene über ihre Erkrankung zu informieren und ihnen Verhaltenstipps zu geben, sodass sie in der Lage sind, schädliche Reize zu vermeiden und sich ausreichend zu schützen. Patienten sollten sich stets darüber bewusst sein, dass auch lebensbedrohliche Situationen (Sprung ins kalte Wasser oder Schwellungen im Halsbereich durch den Genuss von kalten Speisen) möglich sind. Generell ist es ratsam, ein Notfallset mit Medikamenten mit sich zu führen, mit dem sich schwere Urtikariaschübe dann kontrollieren lassen.

GETEILTES LEID IST HALBES LEID
Urtikaria verursacht nicht nur eine Einschränkung der Lebensqualität, sondern beeinflusst auch die Leistungsfähigkeit bei der Arbeit und in der Schule. Somit zählt sie zur Gruppe der schweren allergischen Erkrankungen. Für Urtikariapatienten gibt es die Möglichkeit, sich in Selbsthilfegruppe oder Foren mit anderen Betroffenen auszutauschen. Auch das „urticaria network e.v.“ setzt sich für Personen mit Nesselsucht ein und informiert die Menschen über ihre Erkrankung. Wer möchte, kann beim Deutschen Allergie- und Asthmabund e.V. (DAAB) Mitglied werden, ein Verband für Kinder und Erwachsene mit Allergien, Asthma, COPD und Neurodermitis. Der DAAB überprüft Produkte für Allergiker, kommuniziert mit Betroffenen und informiert durch sein Gesundheitsmagazin über Neues aus der Forschung.

Medikamentöse Therapie Können kausale Faktoren der Urtikaria nicht beseitigt werden, ist eine effektive symptomatische Behandlung notwendig. Diese erfolgt mit Antihistaminika wie Cetirizin, Loratadin, Desloratadin, Mizolastin oder Ebastin. Manchmal wird die Dosis dabei wesentlich höher verordnet als üblich. Da Leukotriene an der Entstehung von Verengungen der Atemwege mitwirken, kommen Leukotrienantagonisten wie Montelukast manchmal zum Einsatz, da sie die Effekte der entzündungsfördernden Leukotriene aufheben. Sie sind allerdings nicht in dieser Indikation zugelassen.

Im Falle einer zugrunde liegenden Infektion ist eine antibiotische Therapie indiziert: Selbst wenn bei der Untersuchung kein Hinweis auf eine Infektion entdeckt wurde, bestehen meist gute Ansprechraten. Ciclosporin A hat ebenfalls eine moderate direkte Wirkung auf die Freisetzung der Mastzellenmediatoren, kann jedoch aufgrund der Nebenwirkungen nicht als Standardtherapie empfohlen werden. Mit Omalizumab (Anti-IgE) konnten inzwischen hervorragende Einflüsse bei einzelnen therapierefraktären Patienten mit Kälte-, Wärme- und cholinergischer Urtikaria gezeigt werden. Obendrein kommen Glukokortikoide insbesondere bei der Notfallbehandlung zur Anwendung.

Es gibt ausdrückliche Empfehlungen, dass die Anwendung aufgrund des schlechten Nebenwirkungsprofils über einen längeren Zeitraum zu vermeiden ist. Ein weiterer Ansatz ist die Behandlung mit dem Alkaloid Capsaicin. Dabei entleeren sich die Neurotransmitter aus den Nervenendigungen, sodass Juckreiz und Quaddelbildung verhindert werden.

Der Nachteil dieser Medikation besteht jedoch darin, dass die Substanz relativ häufig appliziert werden muss, zudem ist die Anwendung im Gesicht problematisch. Heikel und in Diskussion geraten ist auch die sogenannte Hardening-Therapie, bei der die Patienten zum Beispiel durch kalte Bäder versuchen, den Körper an die geringen Temperaturen zu gewöhnen.

Auch Wärme kann jucken Zu den thermisch ausgelösten Urtikariaformen gehört auch die Wärmekontakturtikaria. Dabei treten die Quaddeln und der Juckreiz dort auf, wo die Haut mit Wärme in Berührung kommt. Das kann beispielsweise ein heißer Autositz im Sommer sein oder eine Wärmflasche, die man sich auf den schmerzenden Bauch legt.

Diese Form der Nesselsucht ist sehr selten und muss von der cholinergischen Urtikaria (Schwitzurtikaria), bei der die Reaktionen aufgrund einer Erhöhung der Körperkerntemperatur entstehen, unterschieden werden. Letztere kann durch Schwitzen, körperliche Anstrengung, scharfe Speisen oder emotionale Erregung hervorgerufen werden.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 11/14 ab Seite 142.

Martina Görz, PTA und Fachjournalistin (FJS)

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