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Verhaltensauffälligkeiten Bei Kindern

WENN ESSEN ZUM PROBLEM WIRD

Die Nahrungsaufnahme ist ein lebenswichtiger Vorgang. Daher sollten sich Eltern an einen Arzt wenden, wenn sie den Verdacht haben, dass ihr Kind unter einer Essstörung leidet.

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Schlank und schön möchten weibliche Teenager am liebsten sein, genau wie die Mädchen in der Sendung „Germany´s next Topmodel“. Magersucht und Bulimie zählen daher zu den häufigsten chronischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Die übertriebene „Diät“ kann fatale Folgen haben: Die Knochen erweichen, die Haut wird dünn, die Periode bleibt aus und es kommt schlimmstenfalls zu Organ- und Gehirnschäden.

Hungerwahn Magersucht (Anorexia nervosa) ist die gefährlichste psychosomatische Erkrankung Jugendlicher, weil sie mit Langzeitschäden für Psyche und Körper einhergeht. Vor allem Mädchen, die früh in die Pubertät kommen, mit ihrem Körper unzufrieden sind und in einer Familie aufwachsen, in der Schlankheit eine große Rolle spielt, sind gefährdet, Essstörungen zu entwickeln. Bei der Magersucht hungern Betroffene absichtlich, weil sie eine starke Angst vor dem Dicksein haben. Kuchen, Eis, Süßigkeiten & Co. sind für Betroffene ein absolutes Tabu.

Stationäre Behandlung nötig In den letzten Jahren tritt die Magersucht aufgrund der kulturbedingten Bewunderung für weibliche Schlankheit bei Mädchen im Teenageralter verstärkt auf. Nur etwa zehn Prozent der Betroffenen sind Jungen, etwa die Hälfte von ihnen ist homo- oder bisexuell und lehnt einen kräftigen, muskulösen Körper ab. Obwohl sie bereits stark untergewichtig sind, halten sich Magersüchtige für zu schwer, führen strenge Diäten durch oder treiben exzessiv Sport. Durch die Mangelernährung erscheinen sie sehr blass, haben brüchige Nägel und sind extrem kälteempfindlich. Üblicherweise leugnen sie ihre Störung, was die Therapie sehr schwierig macht. Um eine lebensbedrohliche Unterernährung zu vermeiden, ist daher häufig die Einweisung in ein Krankenhaus notwendig. Die Kombination aus einer Familientherapie mit Medikation zum Abbau von Neurotransmitteranomalitäten und Ängsten gilt als eine erfolgreiche Behandlungsmethode. Die Gefährdung für das extreme Hungern bleibt allerdings ein Leben lang bestehen.

Magersucht, Bulimie und starkes Übergewicht gehören inzwischen zu den häufigsten chronischen Erkrankungen.

Bulimia nervosa Heißhungerattacken, eine sehr schlanke Figur und auffallend schlechte Zähne deuten auf eine Ess-Brechsucht (Bulimia nervosa) hin. Junge Menschen halten dabei strikt Diät oder treiben sehr viel Sport, um sich dann Essattacken zu genehmigen, die im Anschluss durch absichtliches Erbrechen oder die Einnahme von Abführmitteln „ausgeglichen“ werden. Im Gegensatz zu Magersüchtigen haben Bulimiker wegen ihres Essverhaltens Schuldgefühle, sind deprimiert und wünschen sich oft Hilfe, sodass die Ess-Brechsucht leichter behandelbar ist als die Anorexia nervosa. Anxiolytika, Appetitzügler und Antidepressiva sind medikamentöse Optionen, während auch Psychotherapien, die Teilnahme an Selbsthilfegruppen und an einer Ernährungsberatung sinnvoll sind.

Abartiges Essen Das Pica (lat.: Elster)-Syndrom ist eine seltene Essstörung, bei der Betroffene ungenießbare und ekelerregende Dinge verspeisen. Dazu gehören etwa Sand, Haare, Seife, Steine, Papier, Erde, Asche, Staub, Abfall oder gar Exkremente. Laut DSM-IV liegt die Erkrankung vor, wenn a. die Substanzen ohne Nährwert über mindestens einen Monat gegessen werden. b. dieses Verhalten nicht dem geistigen Entwicklungsstand entspricht. c. das Essverhalten keiner kulturellen Norm zuzuordnen ist. d. die Störung so schwerwiegend ist, dass sie eine besondere Beachtung erfordert (bei gesundheitlichen Beeinträchtigungen wie etwa Vergiftungen oder Schädigungen des Verdauungstraktes). Wird das Pica-Syndrom rechtzeitig erkannt, helfen in der Regel psychotherapeutische und medikamentöse Maßnahmen. Zu den verhaltenstherapeutischen Methoden zählen beispielsweise die positive und negative Verstärkung sowie der Aufbau alternativer Verhaltensweisen. Hat sich die Störung auf der Grundlage einer Depression, Psychose, Zwangserkrankung oder des frühkindlichen Autismus entwickelt, gelten Neuroleptika oder Antidepressiva als wirksam.

Tipps für besorgte Eltern In einigen Fällen sind Angehörige unsicher, ob bei ihren Schützlingen tatsächlich eine Essstörung vorliegt. Als Faustregel zur Orientierung gilt: Verlieren Mädchen oder Jungen innerhalb von drei Monaten sechs Kilogramm oder sogar noch mehr Gewicht, ist die Konsultation eines Arztes ratsam. Deshalb sollten Eltern ihre Kinder, die möglicherweise unter einer Essstörung leiden, von einem Besuch beim Arzt oder Therapeuten überzeugen. Häufig stoßen sie mit dem Vorschlag von Seiten der Heranwachsenden auf Abwehr, weil diese sich nicht krank fühlen und die Sorge als Eingriff in ihre Privatsphäre interpretieren. Am besten begleiten Mutter und/oder Vater ihr Kind zu dem Termin und berichten über ihre Sicht der Gegebenheiten. Auch wenn Angehörige häufig nicht nachvollziehen können, warum Betroffene nichts essen, sollten sie dennoch versuchen, die Probleme des Kindes zu verstehen und diese ernst nehmen. Es ist auch sinnvoll, die eigenen Sorgen und Ängste zu äußern und der Person zu zeigen, dass man über das gestörte Essverhalten hinaus Interesse an ihr hat. Wichtig ist, die Problematik nie bei den Mahlzeiten zu thematisieren, weil Essgestörte dann ohnehin angespannt sind.

Übergewicht bei Heranwachsenden Von 2003 bis 2006 wurden in der Kinder- und Jugendgesundheitsstudie Daten erhoben: 15 Prozent der Sieben- bis Zehnjährigen waren übergewichtig, bei den 14- bis 17-Jährigen waren es sogar 17 Prozent. Überernährung und Bewegungsmangel sind auch in jungen Jahren die Hauptursachen für Übergewicht und Adipositas (Fettleibigkeit). Von Letzterer spricht man, wenn ein Übergewicht von mehr als 20 Prozent vorliegt, gemessen am Body-Mass-Index (BMI), eine aus Gewicht (Kilogramm) geteilt durch die Körpergröße (Quadratmeter) errechnete Verhältniszahl. Die erfolgversprechendste Intervention setzt in der Familie an und zielt auf eine Verhaltensänderung ab. Kinder und Eltern sollten ihre Essgewohnheiten hinterfragen und sich regelmäßig bewegen. Derartige Programme, die sich auf den Lebensstil und die Ernährung fokussieren, können bei Heranwachsenden eine dauerhafte Gewichtsabnahme induzieren. Da etwa ein Drittel der täglichen Kalorienzufuhr in der Schule stattfindet, kann auch dieses Setting zur Reduzierung von Adipositas beitragen, indem gesünderes Essen und Bewegungsmöglichkeiten angeboten werden. 

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 08/17 ab Seite 114.

Martina Görz, PTA und Fachjournalistin

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