Wasserhahn © releon8211 / iStock / Getty Images
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Harninkontinenz

WENN DIE BLASE SCHWÄCHELT

Einmal niesen – und schon tröpfelt es. Harninkontinenz hat viele Erscheinungsformen und ist weit verbreitet, viel weiter, als gemeinhin angenommen wird. Und auch die psychosoziale Komponente ist erheblich.

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Rund fünf Millionen Männer und Frauen in Deutschland haben dasselbe Problem: Sie leiden unter unwillkürlichem, unkontrollierbarem Urinverlust. Manchmal sind es nur ein paar Tropfen, manchmal verlässt ein ganzer Schwall die Blase, doch eins ist allen gemeinsam: Der Urin lässt sich willentlich nicht zurückhalten. Und oft genug ist dieser Vorgang den Betroffenen so peinlich, dass sie nicht einmal mit ihrem Arzt darüber sprechen. Da ist es gut, wenn Sie als PTA Bescheid wissen. Harninkontinenz wird grob in vier verschiedene Erscheinungsformen unterschieden.

Bei der Belastungsinkontinenz (früher: Stressinkontinenz) kommt es zum „Überlaufen“ der Blase bei körperlicher Belastung, zum Beispiel Heben, Husten oder Niesen. Die ausgetretene Menge ist meist gering und der Harnverlust kündigt sich nicht durch Harndrang oder andere Vorzeichen an. Immerhin jede zweite inkontinente Frau leidet unter dieser Form.

Der Dranginkontinenz liegt ein unbeherrschbarer, imperativer Harndrang zugrunde. Obwohl die Blase noch gar nicht voll ist, überkommt die Betroffenen überfallsartig und von jetzt auf gleich das Bedürfnis Urin zu lassen – und oft genug schaffen sie es nicht mehr auf die Toilette. Doch manchmal gibt es auch die sogenannte „trockene“ Inkontinenz, und dem Problem liegt eine überaktive Blase zugrunde (früher „Blasenschwäche“).

Sie ist keine Inkontinenz im engeren Sinn, kann aber auch mit Dranginkontinenz verbunden sein und ihre Symptome ähneln einer Blasenentzündung. Eine Dranginkontinenz hat oft krankheitsbedingte Ursachen wie Schlaganfall, Morbus Alzheimer oder Multiple Sklerose. Auch bei der Einnahme bestimmter Medikamente wie Cholinergika und Cholinesterase-Hemmern, Betablockern, Herzwirksamen Glykosiden und Prostaglandinen besteht die Tendenz zur Verschlechterung der Symptome. Zwischen Belastungs- und Dranginkontinenz gibt es häufig Mischformen.

Bei der Überlaufinkontinenz ehen bei voller Blase ständig kleine Mengen Urin ab – die Blase läuft über. Ursache sind häufig Beeinträchtigungen des Urinablaufs – etwa durch eine Prostatavergrößerung beim Mann oder der Erschlaffung des die Blase verschließenden Musculus detrusors beispielsweise aufgrund eines schlecht eingestellten Diabetes mellitus. Wenn die bevorstehende Entleerung der Blase für die Betroffenen nicht mehr spürbar ist, da Reizweiterleitungen der Nervenbahnen beeinträchtigt sind, spricht man von einer Reflexinkontinenz. Diese betrifft häufig Querschnittsgelähmte, Menschen nach einem Schlaganfall oder MS-Patienten. Da ein Rückstau für die Nieren gefährlich werden kann, behilft man sich hier entweder mit Medikamenten oder Katheterisierung.

Drei von zehn Frauen Die weitaus häufigste Inkontinenzform ist die Belastungsinkontinenz. Vor allem Frauen leiden häufig darunter; bei beinahe jeder zweiten liegt sie als alleinige Form vor. Zusammen mit Dranginkontinenz und überaktiver Blase trägt sie auch noch zur Form der Mischinkontinenz bei, die bei rund drei von zehn betroffenen Frauen besteht. Das hat vor allem damit zu tun, dass der weibliche Beckenboden aufgrund seiner Anatomie anfälliger dafür ist – Schwangerschaften und Entbindungen, die für das Muskelgeflecht große Belastungen darstellen, tun ihr übriges.

Meist gehen Frauen und Männer, die an Inkontinenz leiden, nicht zuerst zum Arzt – sondern in die Apotheke. Und hier gibt es ein ganzes Arsenal an Hilfsmitteln, die das Leben mit dieser Miktionsstörung erleichtern. Vorlagen in verschiedenen Saugstärken, Einmal-Höschen und Inkontinenz-Slips sind in jeder Form und Größe erhältlich. Für Männer gibt es Kondom-Urinale. Sie sind sowohl als OTC-Produkt zu haben als auch als Krankenkassenleistung über eine Hilfsmittelverordnung.

Hier ist zu beachten, dass einige Kassen Lieferverträge mit Herstellern von Inkontinenzprodukten haben, die direkt zum Kunden nach Hause liefern. Doch für Menschen ohne ärztliche Verordnung, die häufig mit „zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“ begründet wird, oder mit einem momentanen Engpass ist es ratsam, immer einige Produkte auf Lager zu haben. Ein Rat an den Kunden sollte auch sein, keine Monatsbinden für eine Inkontinenz zu benutzen. Diese Art von Vorlagen ist nicht dafür gemacht, größere, schwallartige Flüssigkeitsmengen aufzunehmen und bietet außerdem kaum eine Geruchsbindung.

Anticholinergika und Migrabenon Beinahe niemand muss mit einer Inkontinenz, die sich kontinuierlich ausweitet, leben. Zum einen gibt es die medikamentöse Therapie. Anticholinergika (Muskarin-Rezeptorantagonisten) gelten als Mittel der ersten Wahl bei der überaktiven Blase. Die Wirkstoffe dieser Gruppe binden an den Muskarinrezeptor und dadurch kann sich der Botenstoff Acetylcholin nicht mehr anlagern. Seine Wirkung – die Übertragung von Erregungssignalen der Blasennerven auf die glatte Muskulatur der Blasenwand – lässt dann deutlich nach und eine überaktive Blase verkrampft sich nicht mehr so stark.

Relativ neu auf dem Markt ist darüber hinaus der Wirkstoff Migrabenon. Er entspannt ebenfalls die Muskulatur der Blase, erhöht ihre Kapazität und lindert Drangbeschwerden. Migrabenon ist auch in Kombination mit Anticholinergika einsetzbar. Sind alle nicht-operativen Möglichkeiten ausgeschöpft, gibt es eine Reihe von Operationsmethoden, die das Leben mit einer Inkontinenz erträglicher machen. Mit einer Botox-Injektion in die Blase blockiert der Arzt teilweise die Erregungssignale von den Nervenzellen zu den Muskeln, was zur Folge hat, dass der Harndrang und etwaige Blasenkrämpfe nachlassen.

Da der Körper das Toxin nach und nach abbaut, hält seine Wirkdauer nur sechs bis zwölf Monate vor und die Injektion muss dann wiederholt werden. Doch in dieser Zeit gehen die Inkontinenzanfälle bei den meisten Patienten deutlich zurück oder verschwinden ganz. Eine andere gängige Form der physikalischen Behandlung besteht in der Schlingen-Operation. Hier ist Voraussetzung, dass der Blasen-Schließmuskel noch einigermaßen funktioniert. Der Arzt setzt dabei in einem minimal-invasiven Verfahren eine kleine Kunststoffschlinge ein, die den Blasenverschluss verbessert. Für Männer gibt es auch die Möglichkeit eines künstlichen Schließmuskels, die wie eine Manschette die Harnröhre umschließt.

Die PTA als Wegweiser Da das Thema Inkontinenz so sensibel ist, kommt der Apotheke hier eine Schlüsselrolle zu. Sie zeigt Wege auf, wie Betroffene in der für sie belastenden Situation Hilfe bekommen und ihre Lebensqualität erhalten bleibt.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 09/18 ab Seite 124.

Alexandra Regner, PTA und Journalistin

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