Stecknadeln © michaklootwijk / fotolia.com
© michaklootwijk / fotolia.com

Fibromyalgie

WENN DER GANZE KÖRPER SCHMERZT

Häufig als „Psychofälle“ oder gar als Simulanten abgestempelt, ist die Erkrankung für die Betroffenen aber ein reales Problem – mit der Aussicht auf ein Leben unter Schmerzen ohne Heilung.

Seite 1/1 4 Minuten

Seite 1/1 4 Minuten

Fibromyalgie bedeutet „Faser-Muskel-Schmerz“. Damit ist das Hauptsymptom der geheimnisvollen Krankheit umrissen: Die Patienten haben starke Muskel-, aber auch Gelenkschmerzen, die an verschiedenen Körperstellen auftreten können. Hinzu können ständige Abgeschlagenheit, Schlafstörungen und Kopfschmerzen kommen, was alles letztlich dazu führt, dass die Betroffenen ihre Lebensqualität als sehr eingeschränkt einstufen.

Häufig treten auch psychische Probleme wie depressive Verstimmungen auf. Ob sie jedoch die Folge oder womöglich sogar die Ursache der Fibromyalgie sind, ist bisher nicht geklärt. Die Krankheit ist nicht wirklich zu fassen, was es für die Patienten noch schwieriger macht, damit umzugehen.

Es handelt sich hierbei nicht um eine organische Krankheit, sondern eine funktionelle Störung. Sie ist nicht tödlich, kann aber unter Umständen die Lebensqualität so stark beeinträchtigen, dass die Betroffenen suizidgefährdet sind. Viele werden darüber hinaus arbeitsunfähig, was zusätzlich zum Leidensdruck beiträgt. Umso wichtiger ist es, diese Schmerzpatienten ernst zu nehmen und ihnen Möglichkeiten des Krankheitsmanagements aufzuzeigen.

Ursache geklärt? Bisher war nicht genau klar, warum sich eine Fibromyalgie entwickelt. Einige sehen in ihr sogar eine eingebildete Krankheit, vor allen Dingen, weil sie oft mit Depressionen einhergeht. Überdurchschnittlich viele Patienten leiden unter psychischen Erkrankungen, einige haben zudem sexuellen Missbrauch erlebt. Daher wurde häufig diskutiert, inwieweit es sich bei der Fibromyalgie um eine psychosomatische Erkrankung handelt, zumal sich für die Schmerzen keine organischen Gründe finden ließen.

Doch ein Würzburger Forscherteam um die Neurologin Claudia Sommer hat nun eine solche Ursache gefunden: Unter dem Mikroskop konnten die Ärzte eindeutige Schädigungen kleiner schmerzleitender Nervenfasern nachweisen. Die Annahme, dass eine Fibromyalgie durch eine fehlerhafte Schmerzverarbeitung und eine unnatürlich niedrige Schmerztoleranzgrenze ausgelöst wird, scheint nun gesichert. Möglicherweise ist die Entstehung der Krankheit aber multifaktoriell.

Schmerzmanagement ist das A und O
Ursächlich heilen kann man die Fibromyalgie nicht. Die Patienten müssen also lernen, ihre Krankheit in den Griff zu bekommen. Da sich die Symptome unter Stress verschlimmern, ist Stabilität im Alltag das Wichtigste. Die Schmerzen, die Unsicherheit über die Entwicklung der Krankheit und der andauernde Schlafentzug lösen ebenfalls Stress aus – dieser Teufelskreis muss durchbrochen werden. Dazu sind Entspannungstechniken von elementarer Bedeutung. Die Psychosomatik spielt ebenfalls eine wichtige Rolle, um Techniken zur Krankheitsbewältigung zu erlernen und eventuell zugrunde liegende oder durch die Krankheit entstandene psychischen Störungen zu behandeln.

Es wird angenommen, dass die Patienten auch zu wenig Serotonin produzieren, einen Botenstoff, der die Schmerzverarbeitung im Gehirn reguliert. Ebenso wird ein Mangel an Substanz P vermutet, eines weiteren hieran beteiligten Botenstoffs. Fibromyalgie tritt zudem häufig familiär gehäuft auf, sodass auch eine genetische Prädisposition möglich ist. Neuere Studien konnten im Urin von Patienten darüber hinaus einen auffallend geringen Spiegel des Stresshormons Cortisol nachweisen, das im Körper vielfältige Aufgaben übernimmt.

Schleichender Beginn Zuerst haben die Betroffenen Schlafstörungen, fühlen sich müde und abgeschlagen. Meist wird das noch ignoriert oder auf den stressigen Alltag geschoben. Dann kommen immer häufiger gastrointestinale Störungen hinzu. Auffallend sind schließlich Schmerzen im Lendenbereich, manchmal auch in der Halswirbelsäule, die danach in Arme und Beine wandern. Dies ist meist der Punkt, an dem Betroffene den Arzt aufsuchen. Doch bis eine Fibromyalgie zu ihrer vollen Ausprägung gelangt, können Jahre vergehen, wobei Phasen der Ruhe mit neuen Schüben abwechseln.

Es gibt keine Methoden, mit denen die Erkrankung sicher diagnostiziert werden könnte. Bildgebende Verfahren geben keine Hinweise, da die Muskeln, Gelenke und Knochen nicht wie etwa bei einer rheumatoiden Arthritis verändert sind. Auch die Laborwerte sind unauffällig, bis auf den verminderten Kortisolspiegel, der aber noch erforscht wird und dadurch in der klinischen Diagnostik noch nicht überall angekommen ist. Aufgrund der unauffälligen Blutwerte können Krankheiten mit ähnlichen Symptomen differenzialdiagnostisch zumindest schnell ausgeschlossen werden, so Hyperkalzämie , Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) oder Muskelerkrankungen (erhöhter Kreatininwert).

Diagnose auf Verdacht Sie wird daher meist nach eingehender körperlicher Untersuchung und Anamnese gestellt. Patienten weisen eine hohe Druckempfindlichkeit der Haut auf. Kann der Arzt mindestens 11 von 18 definierten Druckschmerzpunkten ausmachen, kann das auf die Erkrankung hinweisen. Klagen die Betroffenen dazu über immer wiederkehrende Schmerzen an verschiedenen Körperstellen, anhaltende Schlafstörungen, ständige Abgeschlagenheit oder auch eine depressive Verstimmung, sollte man an die Verdachtsdiagnose Fibromyalgie denken.

Antidepressiva mit guten Ergebnissen Bisher wurden verschiedene Psychopharmaka in der Behandlung der Fibromyalgie eingesetzt, wobei es die meisten Erfahrungen mit dem trizyklischen Antidepressivum Amitriptylin gibt. Duloxetin, das ebenfalls als Serotonin-Signalverstärker wirkt, wird seit einiger Zeit ebenfalls verschrieben. Allerdings gibt es auch gute Erfolge mit dem Antiemetikum Tropisetron, das häufig in der Chemotherapie eingesetzt wird und auf den Schmerzsinn wirkt.

In einer Studie zeigte die Hälfte der Patienten einen Rückgang der Schmerzen um bis zu 50 Prozent. Diese Wirkung hielt nach einmaliger Einnahme von Tropisetron neun Monate lang an. Ebenfalls zugelassen sind die Antiepileptika Pregabalin und Gabapentin. Sie regulieren die Kalziumversorgung der Nervenenden und bewirken so eine erhöhte Ausschüttung von schmerzregulierenden Neurotransmittern wie Substanz P.

Die medikamentöse Therapie wird immer nur zeitlich begrenzt eingesetzt, zum einen, um das Risiko von Nebenwirkungen so gering wie möglich zu halten, zum anderen, um einer Sucht vorzubeugen, denn gerade chronische Schmerzpatienten laufen Gefahr, von Schmerzmitteln abhängig zu werden.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 09/13 ab Seite 74.

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist

×