© Rosario Scalia / iStock / Getty Images

Wetterfühligkeit

WENN DAS WETTER KRANK MACHT

Wetterfühligkeit ist ein weit verbreitetes Phänomen. Jedoch, die Wissenschaft ist ratlos. Noch hat niemand bewiesen, dass Knochenreißen und Migränehäufigkeit mit dem Wetter zusammenhängen.

Seite 1/1 3 Minuten

Seite 1/1 3 Minuten

Wetterfühlig ist jemand dann, wenn sein vegetatives Nervensystem eine erhöhte Ansprechbarkeit auf Witterungserscheinungen aufweist. Er reagiert dann mit Kopfschmerzen, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen oder Gelenkschmerzen. Es gibt sogar einen Fachausdruck dafür: Meteoropathie. Das ist keine Krankheit, sondern bezeichnet eine verminderte Fähigkeit, mit natürlichen Wetterveränderungen fertig zu werden. Das trifft übrigens auch auf die Seekrankheit zu – und doch schwören die Betroffenen Stein und Bein, dass es sie gibt, dass es sie krank macht. So forscht die Medizin-Meteorologie unablässig nach dem, was wetterfühlig macht.

Dabei unterscheidet man zwischen dieser Reaktion und der so genannten Wetterempfindlichkeit, deren häufigste Vertreter Kopf-, Narben und Amputationsschmerzen sind. Bei einer ganz normalen Wetterreaktion stellt sich der Körper physiologisch auf atmosphärische Umweltreize ein – so zum Beispiel verändert sich die Körperkerntemperatur beim Wechsel der Jahreszeiten. Wetterfühlige Menschen hingegen spüren jedes Gewitter, jede Luftdruckschwankung bis hin zu Krankheitssymptomen. Besonders offenkundig ist das bei einer Föhnwetterlage: Mit dem trockenen Fallwind am Alpenrand geht ein plötzlicher Temperatursprung nach oben einher, verbunden mit erheblichen Luftdruckschwankungen. Dieser plötzlichen Einwirkung auf den menschlichen Körper wird eine Menge angelastet. Depressive Verstimmungen zum Beispiel bis hin zu einem erhöhten Anstieg der Selbstmordrate, Schlafstörungen, Migräne.

Dazu gibt es viele Theorien; am plausibelsten scheint jene, dass die häufige Änderung des Außendrucks verschiedene Körperfunktionen ins Schleudern bringt – besonders bei empfindlichen Menschen. Etwa ein Drittel bezeichnet sich als wetterfühlig, beziehungsweise –empfindlich; bei ihnen können Wetterreize chronische und latente Krankheiten auslösen oder verstärken. Besonders ältere Menschen leiden häufig darunter, ihr Körper kann sich nicht mehr schnell genug an wechselnde Witterungsverhältnisse anpassen.

Erklärungsversuche Einige wenige Erklärungsmodelle gibt es: zu Herz-Kreislauf-Beschwerden beispielsweise. Bei plötzlicher Kälte ziehen sich die Blutgefäße zusammen; der Blut- druck erhöht sich, das Risiko für Herzinfarkte steigt stark an – ein häufig zu beobachtendes Phänomen, wenn ältere Menschen, die direkt aus dem warmen Wohnzimmer kommen, Schnee schippen. Andersherum weiten sich die Blutgefäße, wenn es plötzlich wärmer wird, man wird leichter schlapp und müde („Frühjahrsmüdigkeit“). Rheumatiker spüren ihre Knochen – man vermutet, dass erst bei kälteren Temperaturen die Schmerzschwelle in den Rezeptoren sinkt.

Und auch wenn die Wissenschaft bisher nur einen statistischen und keinen kausalen Zusammenhang zwischen Wetterphänomenen und Wetterfühligkeit herstellen konnte, hat der Deutsche Wetterdienst mit seinem täglichen Biowetter reagiert: In seinen „Gefahrenindizes für Wetterfühlige“ weist er für verschiedene medizinische Formenkreise wie Herzkreislauferkrankungen, rheumatische und Atemwegserkrankungen sowie allgemeine Befindlichkeitsbeeinträchtigungen auf zu erwartenden Wetterstress hin.

Nicht unerwähnt sollen auch die so genannten Sferics bleiben: Die schwachen elektromagnetischen Impulse gehen beispielsweise von Gewittern aus. Doch nach einigen wissenschaftlichen Versuchen gab man diesen Ansatz wieder auf, denn selbst Migränepatienten zeigten dabei keine Symptome. Anders steht es mit den Barorezeptoren im menschlichen Körper, die Druckschwankungen wahrnehmen. „Wenn diese vorgeschädigt sind, kann es sein, dass diese Signale falsch interpretiert werden und zu schmerzhaften Fehlsteuerungen führen“ – das sagt der Meteorologe und Risikoforscher Prof. Peter Höppe.

Ein Schutzreflex? So gibt es für wetterfühlige Menschen eigentlich nur eine Therapie – nämlich die, dass sie sich so häufig wie möglich dem Wetter aussetzen, damit ihr Körper wieder lernt, mit den äußeren Reizen umzugehen. Denn die Medizin-Meteorologen glauben, dass es sich bei der Wetterfühligkeit um einen uralten Schutzreflex handelt, der bei einem Wetterwechsel Mensch und Tier vorwarnte. Dass Tiere Wetter „vorhersagen“ können, schlägt sich in den alten Bauernregeln nieder: „Fliegen die Schwalben niedrig, so gibt es schlechtes Wetter, fliegen sie hoch, kann mit einer Schönwetterperiode gerechnet werden.“

Da Schwalben den Insekten folgen, die bei Tiefdruckgebieten einfach niedriger fliegen, ist da was Wahres dran. Und weil Hochdruckperioden, haben sie sich erst einmal eingestellt, länger bleiben, hat auch dieser Teil des Sprichwortes seine Berechtigung. Jedoch: Warum warmblütige Tiere lange vor einem Unwetter unruhig werden oder manche Menschen mit Knochenbrüchen oder Amputationen Wetter „vorfühlen“ – man ist noch weit davon entfernt, dies zu verstehen. So schlägt sich also das Phänomen der Wetterfühligkeit allenfalls in den Statistiken nieder, bewiesen ist es noch nicht. Engländer und Norweger kennen es trotz vieler Wolken am Himmel kaum, in wirtschaftlichen Notlagen sowie im Krieg soll das Phänomen zudem deutlich zurückgehen. Wetterfühligkeit – ein Zivilisationsproblem? Die Wissenschaft, das ist sicher, wird weiter forschen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 04/2020 ab Seite 96.

Alexandra Regner, PTA und Journalistin

×