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Giftpflanzen

WEISSER GERMER

Die Giftpflanze ist vor allem auf Weiden unerwünscht. Aber nicht nur für das Vieh ist der Weiße Germer toxisch. Auch beim Menschen kann der versehentliche Verzehr tödlich enden.

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Veratrum album L. ist ein eindrucksvolles Gewächs auf feuchten Böden mittel- und südeuropäischer Hochgebirge, das vor allem auf spät im Jahr und wenig genutzten Weiden in Höhen zwischen 300 und 2600 Metern anzutreffen ist.

Großblättrige Gebirgspflanze Die mehrjährige krautige Pflanze aus der Familie der Germergewächse erreicht Wuchshöhen von 50 bis 150 Zentimetern und hat einen dicht behaarten Stängel, der wechselständig beblättert ist. Der Weiße Germer entwickelt in den ersten Jahren nur Blätter, die sich durch ausgeprägte parallel verlaufende Blattnerven auszeichnen und bis zu 30 Zentimeter lang, elliptisch, nach oben hin lanzettlich geformt und unterseits flaumig behaart sind.

Die zahlreichen weißen bis gelblich-grünen Trichterblüten gaben der Pflanze ihren Artnamen album, der lateinisch weiß bedeutet. Sie erscheinen erst nach circa acht Jahren zwischen Juni bis August und sitzen endständig büschelweise in einer großen Rispe. Besonders bei intensiver Sonneneinstrahlung strömen sie einen aufdringlichen Duft aus, worauf sich auch der deutsche Name Germer beziehen soll, der vom althochdeutschen hram = Marterwerkzeug kommt.

Toxisch durch Alkaloide Der Weiße Germer ist sowohl im frischen als auch im getrockneten Zustand stark giftig. Er zählt zu den Pflanzen, die auch bei Aufnahme geringer Mengen an Pflanzenmaterial mittelschwere oder schwere Vergiftungen verursachen können. Daher ist das Gewächs auf der offiziellen Liste der giftigen Pflanzenarten aufgelistet, die im Bundesanzeiger veröffentlicht ist. Darauf befindliche Pflanzen sollen nicht an Plätzen angepflanzt werden, die Kindern als Aufenthalts- oder Spielort dienen. Der weiße Germer enthält in allen Pflanzenteilen toxische Steroidalkaloide, wobei ihr Gehalt in der Wurzelknolle und in den Wurzeln am höchsten ist.

Wichtige Vertreter sind Protoveratrin A und B. Als tödliche Dosis gelten für Erwachsene 10 bis 20 Milligramm Alkaloide, was circa einem bis zwei Gramm Wurzeln entspricht. Die Zusammensetzung und Menge der Alkaloide ist vor allem vom Standort und der Vegetationsphase abhängig. So nimmt ihr Gehalt mit zunehmender Höhe und fortschreitendem Entwicklungsstadium ab. Folglich ist die Giftstoffkonzentration auch in den Blättern zur Blütezeit wesentlich geringer. Zu Verwechselungen und Vergiftungen kommt es allerdings in der Regel in der blütefreien Zeit, wenn private Sammler anstelle der Blätter des Gelben Enzians die des Weißen Germers zur Schnapsherstellung ernten.

Toxische Nieswurz Die Giftstoffe werden schnell über die Schleimhäute resorbiert. Sie können auch durch unverletzte Haut in den Körper eindringen. Als Erstes lösen sie einen starken Niesreiz aus, woher das gebräuchliche Synonym Weiße Nieswurz für den Weißen Germer rührt, obwohl die Pflanze nicht zur Gattung Nieswurz (Helleborus) aus der Familie der Hahnenfußgewächse (Ranunculaceae) zählt. Ebenso stammt der lateinische Gattungsname Veratrum von lat. verus = wahr vom Niesen ab, weil man früher meinte, Niesen schärfe den Verstand und bestätige, dass ein wahres Wort gesprochen wird.

»In der Volksmedizin diente der Weiße Germer lange als Antihypertonikum und Mittel gegen Cholera.«

Die Alkaloide binden an Natriumkanäle und verzögern so die Repolarisation der Zelle. Folgen am Herzen sind eine Stimulation des Parasympathikus und eine Hemmung des Sympathikus. Ein prickelndes Gefühl, eine spätere Betäubung von Zunge und Rachen sowie blutiges Erbrechen, Durchfälle, Muskelzucken und ein Kältegefühl am ganzen Körper sind typische Vergiftungserscheinungen.

Bei fortschreitender Intoxikation kommt es zu starkem Blutdruckabfall und einer Senkung der Herzfrequenz. Schließlich kann nach drei bis zwölf Stunden der Tod durch Herzstillstand und Atemlähmung eintreten.

Gift- und Heilmittel Früher wurde die toxische Wirkung als Fraß- und Kontaktgift gegen Flöhe und Läuse genutzt. Natürliche Insektizide waren bereits im Altertum bekannt. So beschreibt Plinius der Ältere ein Rezept, bei dem das toxische Gewächs gerieben und mit Milch gemischt wurde, um Fliegen abzutöten. Damals wurde der Weiße Germer auch als Pfeilgift und für Giftmorde verwendet. Das frühe Ableben Alexander des Großen soll auf eine schleichende Vergiftung mit der Giftpflanze zurückzuführen sein.

Die alten Griechen schätzten sie zudem als Brechmittel und versuchten, mit ihr psychische und geistige Störungen zu heilen. Auch im Mittelalter wurde die Pflanze als Brech- und Abführmittel und zur Bekämpfung des Wahnsinns eingesetzt. Zudem sollte sie unter anderem bei Krämpfen, Fieber, Husten und Augenschmerzen helfen. In der Volksmedizin diente der Weiße Germer lange als Antihypertonikum und Mittel gegen Cholera. Heute ist er nur noch in der Homöopathie vor allem gegen Kreislaufstörungen, niedrigen Blutdruck, Depressionen, Migräne, Neuralgien und Bronchitis gebräuchlich.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 05/14 ab Seite 74.

Gode Meyer-Chlond, Apothekerin

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