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Politik

WAS KANN DIE APOTHEKE BEITRAGEN?

Am 17. September war der Welttag der Patientensicherheit. Es gibt ja für alles einen Welttag, aber diesen Tag zu kreieren, lässt die beteiligten Berufsgruppen innehalten. Geht denn so viel schief, dass dieser Welttag notwendig ist?

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Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat veröffentlicht, dass weltweit einer von vier Patienten bei einer ambulanten Versorgung einen Schaden erleidet. In dieser Zahl sind auch die Medikationsfehler enthalten. Die WHO beziffert die Kosten, die diese Schäden verursachen auf jährlich 42 Milliarden Dollar (das entspricht ungefähr 35 Milliarden Euro). Auch deutsche Krankenkassen untersuchen von Zeit zu Zeit die Schäden, die durch Behandlungsfehler entstehen. Die Barmer Ersatzkasse hat erst kürzlich einen Arzneimittel-Report veröffentlicht, in dem sie zu dem Schluss kommt, dass Patienten mit mehr als fünf Medikamenten besonders gefährdet sind durch einen Medikationsfehler einen Schaden zu erleiden.

Kommunikation ist wichtig Eine Lösung liegt darin, die Apotheke stärker in die Versorgung einzubinden. Es gibt etliche Studien, die zeigen, dass sich damit die Zahl der Fehler senken ließe und damit verbunden auch eine Kostenreduktion für die Krankenkassen erreicht werden könnte. An der Universität von Sydney forscht eine Professorin speziell auf dem Gebiet der Optimierung des Arzneimittelgebrauchs. Sie ist mitverantwortlich für einen neuen Leitfaden des Weltapothekerverbandes mit dem Titel „Patient safety – Pharmacists‘ role in „Medication without harm“ – auf Deutsch: „Sicherheit für den Patienten – die Rolle der Apotheker bei der Versorgung mit Medikamenten ohne Schaden zu verursachen“.

Seit etlichen Jahren kümmern sich die Bundesapothekerkammer und einzelne Organisationen in den Ländern um AMTS (Arzneimitteltherapiesicherheit)-​Programme, die die Versorgung gerade bei einer Polymedikation optimieren sollen. Dabei wird vor allem an einer Optimierung der Kommunikation zwischen den Professionen gearbeitet. Fehler können überall passieren, wichtig ist daraus zu lernen und keine Kultur der Schuldzuweisungen aufzubauen.

Aus Fehlern lernen Ein wichtiger Baustein in der Aufarbeitung von Fehlern ist CIRS (Critical Incident Reporting System) – ein Berichtssystem, das kritische Vorfälle sammelt oder frei übersetzt: Wir lernen aus Fehlern und jeder Fehler zählt. Dieses Berichtssystem gibt es in Einrichtungen im Gesundheitswesen und in der Luftfahrt. Eingeführt wurde es ursprünglich von einem englischen Psychologen, der bei großen Katastrophen das Zusammenspiel zwischen latenten und akuten Fehlern beobachtet hat. Jedes Krankenhaus muss seit 2004 ein Fehlermanagement und Beschwerdemanagement für Patienten einrichten.

Dabei geht es besonders bei den Fehlermeldungen darum, dass man aus den Fehlern lernt und diese in Zukunft durch spezielle Maßnahmen vermeidet und nicht darum jemanden anzuklagen. Daher ist das Fehlermeldesystem CIRS anonym. Man will die gerade im Gesundheitswesen eher kümmerlich ausgeprägte Fehlerkultur verbessern und aus den Fehlern lernen, woraus sich der Leitsatz „Jeder Fehler zählt‘ ableiten lässt. Dabei geht es nicht um Schadensersatzansprüche oder eine gegebenenfalls strafrechtliche Bewertung eines Vorfalles. Beispiele für CIRS findet man auf der Homepage der Landesapothekerkammern oder auf der Seite www.​jeder-fehler-zählt.de. Die Beispiele für solche Fehler sind beindruckend und da kommt schon Mal die Frage auf, ob man selbst den Fehler entdeckt hätte.

Mögliche Fehlerquellen In einem Fall wurde ein starkes Schmerzmittel mit 10 mg Morphinsulfat als Retardkapsel mit der Dosierung 6 x 1 verordnet. Gemeint war aber die unretadierte und schnellfreisetzende Akutvariante, die in dieser Dosierung gegen Durchbruchsschmerzen oder zum Auftitrieren des Wirkstoffes eingesetzt wird. Der Apothekerin ist glücklicherweise aufgefallen, dass die Retardform so nicht dosiert werden darf. Häufige Fehlerquellen sind Entlassbriefe und deren Medikationspläne. Bei der Übertragung der Medikation in den Bundeseinheitlichen Medikationsplan BMP beim Hausarzt können in der Hektik sehr schnell Übertagungsfehler passieren. So ist zum Beispiel vergessen worden die Abendgabe des Thrombozytenaggregationshemmers nach Einsatz eines Stents einzutragen. Das hatte glücklicherweise keine Konsequenzen für den Patienten, aber es hätte auch schiefgehen können.

Ein weiterer Problembereich sind Verordnungen, die versehentlich ein anderes, günstigeres Präparat enthalten. Die Austauschkriterien sind durch die gesetzlichen Vorgaben eben nicht mehr streng auf Wirkstoff und Arzneiform beschränkt und so kann durch einen einfachen Klick ein großer Fehler passieren. Durch die Rabattverträge sind die Patienten ständig andere Packungen gewöhnt und sind oft nicht mehr in der Lage ihre Arzneimittel präzise zu identifizieren. Dies trägt nicht zur Arzneimittelsicherheit bei. Umso wichtiger ist der Abgleich bei jeder Abgabe mit den gespeicherten Arzneimitteln aus der persönlichen Datei der Patienten (so sie denn mit der Speicherung ihrer Daten einverstanden sind). Auch in den Apotheken wäre es nicht schlecht ein anonymes Fehlermeldesystem zu installieren. Es geht nicht um Whistleblower, sondern nur darum aus Fehlern zu lernen – zur Sicherheit unserer Kunden.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/2020 auf Seite 54.

Mira Sellheim, Apothekerin und Delegierte der LAK Hessen

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