Lineale im Gesicht einer Frau © deniskomarov / iStock / Thinkstock
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Schönheit

VORTEIL SCHÖNHEIT

Schönheit liegt im Auge des Betrachters: Was die einen als schön empfinden, muss anderen noch lange nicht gefallen. Doch wie entwickeln sich die unterschiedlichen Geschmäcker?

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Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ – so lautet die Frage der bösen Königin im Märchen Schneewittchen. Dass Schneewittchen plötzlich schöner sein soll als die Königin, entfacht deren heftigen Neid. Verständlich, denn hübsche Menschen haben es im Leben leichter, profitieren von positiven Vorurteilen und erhalten meist viel Aufmerksamkeit. So wusste bereits Johann Wolfgang von Goethe, dass „Schönheit ein überall gar willkommener Gast ist“. Und obwohl keine nachweisbaren Zusammenhänge zwischen der Attraktivität einer Person und deren Eigenschaften existieren, gilt für viele Menschen implizit die Regel: „Was schön ist, muss auch gut sein.“

Schönen liegt die Welt zu Füßen Blättern Sie einmal Ihre Lieblingszeitschrift durch und betrachten Sie die darin abgebildeten Menschen: Dort werden Sie zahlreiche Hinweise darauf finden, dass in unserer Gesellschaft dünne und langbeinige Frauen sowie große, muskulöse und breitschultrige Männer als attraktiv gelten. Physische Attraktivität hat häufig einen entscheidenden Einfluss, zum Beispiel beim Entfachen einer Freundschaft. Die Auswertung von zahlreichen Studien zeigte die Wirkung von körperlicher Attraktivität auf die verschiedensten Beurteilungen: Attraktive Menschen werden für sozial kompetenter, geselliger, ehrlicher, intelligenter, freundlicher und fleißiger gehalten. Sie erhalten häufiger Zuneigung, während unattraktiven Personen im Umkehrschluss negative Charakterzüge zugesprochen werden.

Halo-Effekt Die Welt ist ungerecht: Während Schöne es ihr Leben lang (etwa in punkto Schulnoten oder Karrierechancen) leichter haben, gehen diese Vorteile an Unattraktiven meist vorüber. Dieser Attraktivitätsstereotyp macht sich bereits im Kindesalter bemerkbar: Attraktivere Babys werden von ihren Müttern häufiger geküsst und es finden insgesamt mehr Interaktionen mit dem Säugling statt. Entsprechende Kinder bekommen in der Schule bessere Noten, sind beliebter und haben mehr Freunde. Psychologisch lässt sich die Tatsache, dass hübschen Menschen bessere Eigenschaften zugeschrieben werden, mit dem sogenannten Halo-Effekt erklären. Unter diesem Phänomen versteht man die Tendenz von Personen, sich auf ein bestimmtes Merkmal zu fokussieren und andere Eindrücke nicht mehr zu bemerken. Gutes Aussehen führt zu diesem Halo-Effekt, sodass attraktive Menschen gleichzeitig als erfolgreich oder vertrauenswürdig angesehen werden.

Durchschnitt ist schön Als hübsch werden in der Regel Menschen mit symmetrischen Gesichtern bezeichnet, während Merkmale, die auf Krankheiten und Gebrechen hinweisen, als unattraktiv gelten. Außerdem ist bekannt, dass sich Attraktivität aus verschiedenen Merkmalen zusammensetzt, zu denen auch Mimik, Körpergeruch, Bewegungsabläufe, die Haut- und Haarqualität gehören. Der deutsche Verhaltensforscher und Evolutionsbiologe Karl Grammer fasste die verschiedenen Merkmale zu acht Säulen der Schönheit zusammen: Jugendlichkeit, Symmetrie, Durchschnittlichkeit, Geschlechtshormonmarker, Körpergeruch, Bewegung, Hautfarbe und Hauttextur.

Davon ist die Durchschnittlichkeit vielleicht ein für den Laien verblüffendes Attraktivitätsmerkmal: Werden mehrere Gesichter fotografisch oder computertechnisch (über das Morphing = Überlagerung von Bildern) übereinander gelegt, wird das resultierende Durchschnittsgesicht als schöner empfunden als die meisten Einzelgesichter, aus denen es generiert wurde. Durchschnittlich bedeutet weiterhin, dass keine sichtbaren Makel (wie eine Warze) vorliegen, die Ohren nicht zu weit abstehen oder kein Bestandteil des Gesichts in seiner Größe abweicht.

Weibliche und männliche Schönheitsideale Bei Frauengesichtern gelten kindliche Merkmale wie große, runde Augen, eine winzige Nase und ein kleines Kinn sowie eine große gewölbte Stirn als hübsch, schließlich gilt Jugendlichkeit als attraktiv und fruchtbar. Allerdings sollte das schöne Gesicht auch Reifekennzeichen aufweisen, wie zum Beispiel hoch ausgeprägte Wangenknochen. Dagegen soll ein maskulines Gesicht einen kräftigen, kantigen Unterkiefer haben, dünne Lippen, dicke, tief liegende Augenbrauen sowie tief liegende Augen. Der kräftige Unterkiefer weist auf einen hohen Testosteronspiegel hin, während die dünnen Lippen als Zeichen für einen niedrigen Estrogenspiegel dienen.

Von Frauen werden diese männlichen Gesichter, die auf ein optimales Hormonverhältnis hindeuten, als besonders anziehend empfunden. Das Schönheitsideal differiert allerdings zwischen den unterschiedlichen Kulturen: Afroamerikaner beispielsweise assoziieren weniger negative Persönlichkeitseigenschaften bei Fettleibigkeit als Angloamerikaner. Im Vergleich zu Mädchen afroamerikanischer und lateinamerikanischer Abstammung haben weiße Mädchen häufiger das kulturbedingte Ideal weiblicher Attraktivität verinnerlicht, sodass die meisten von ihnen dünner sein wollen.

Auch Erfahrung zählt Doch alleine durch die gleichmäßigen Gesichtszüge lässt sich das Schönheitsempfinden nicht erklären. Die Wissenschaftler um Lisa Germine vom Massachusetts General Hospital in Boston (USA) haben herausgefunden, dass auch persönliche Erfahrungen bei der Bewertung von Attraktivität eine Rolle spielen, im Gegensatz zu den Genen. In ihrer Studie bewerteten eineiige und zweieiige Zwillingspaare die Schönheit von verschiedenen Gesichtern mit Hilfe einer Skala von 1 bis 7. Dabei stimmten eineiige Zwillinge nicht häufiger in ihrem Urteil überein, als es bei zweieiigen Geschwistern der Fall war.

Die Forscher schlossen daraus, dass die Genetik keinen Einfluss auf die Bewertung von Attraktivität nimmt, sondern die Umwelt und persönliche Erfahrungen (zum Beispiel die Erinnerung an das schöne Gesicht einer verhassten Person oder das Gesicht eines angehimmelten Schauspielers) das individuelle Empfinden prägen. Die eigene Lebensgeschichte ist somit die treibende Kraft für die individuelle Präferenz für Gesichter. Die Autoren der Studie bewerteten dies als bemerkenswert, weil andere Fähigkeiten (beispielsweise das Wiedererkennen von Gesichtern) genetisch bedingt seien. Aus den Ergebnissen einer weiteren Untersuchung, bei der 35 000 Teilnehmer auf der Website der Wissenschaftler Gesichter beurteilten, schlossen die Forscher, dass die individuellen optischen Vorlieben mit den Präferenzen der Mitmenschen zu 50 Prozent übereinstimmen und sich zu 50 Prozent unterscheiden.

Der biologische Sinn von Schönheit Individuen werden bei der Partnerwahl von ihren Instinkten gesteuert. Die Attraktivität eines Menschen gibt Auskunft über seine Gen-Ausstattung, während die Partnerwahl darüber entscheidet, welche Genvarianten sich verbreiten. Bevorzugen Männchen bestimmte weibliche Merkmale, können genau diese sich in der Regel evolutionär durchsetzen. Ausgewählt werden insbesondere diejenigen physischen Eigenschaften, die auf gute Gene hinweisen und die Wahrscheinlichkeit für einen gesunden Nachwuchs erhöhen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 07/18 ab Seite 98.

Martina Görz, PTA und Fachjournalistin

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