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Welch ein Name

VIRCHOW, DIE CHARITÉ UND BERLIN

Er steht in einer Reihe mit den berühmten Wissenschaftlern seiner Zeit: Rudolf Virchow gab der Leukämie ihren Namen und ein Teil der Charité, an der er 46 Jahre lang wirkte, wurde nach ihm benannt.

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Von Bakterien hielt er nicht viel. „Die Menschen sterben an Tuberkulose und nicht an so kleinen Dingern“, sagte er sinngemäß, womit die Rivalität zu seinem Kollegen Robert Koch klar abgesteckt war. Virchow, der auch ein begeisterter Anthropologe war, schätzte zudem das Frühmenschen-Skelett, das im Neandertal gefunden wurde, falsch ein. Er meinte, es sei vom Homo sapiens. Auch der Lehre von Charles Darwin „Über die Entstehung der Arten“ konnte er nicht viel abgewinnen.

Altruistische Motive Die oben aufgeführten Fakten verstellen ein wenig den Blick auf Rudolf Virchow, der 1821 im pommerschen Schivelbein geboren wurde; sie lassen ihn als Kleingeist und, in Bezug auf Koch, als Neidhammel erscheinen. Doch dies war nur eine ganz kleine Facette seines Wesens. Virchow stellte als Typ einen der letzten Universalgelehrten dar; er interessierte sich nicht nur für die Medizin und hier insbesondere die Pathologie; er war auch Anthropologe und – Politiker. Er handelte aus altruistischen Motiven und sah den Arztberuf auf einer ideellen, ethischen Grundlage. Er wollte sein Können stets in den Dienst der Gemeinschaft stellen: „Ein Arzt sollte stets natürlicher Anwalt der Armen sein.“

Der Sozialpolitiker Der Sohn eines einfachen Kaufmanns fällt früh durch seine Begabung auf. An der Militärärztlichen Akademie in Berlin absolviert er sein Medizinstudium, promoviert „Über den Rheumatismus, insbesondere die Hornhaut“, arbeitet als Militärarzt, legt den Grundstein für die Pathologie über langjährige Arbeit im Leichenschauhaus. Doch der aus einfachen Verhältnissen stammende Virchow ist kein elitärer Mensch. Er ist vielmehr ein Schwärmer und Rebell, hält mit seinen politischen Ansichten nicht hinterm Berg; er beschimpft die „feudale Aristokratie“, fordert demokratische Verhältnisse. Auslöser ist eine Typhusepidemie in Oberschlesien, zu der Virchow als behördlich bestellter Arzt geschickt wird. Er sieht Hunger und Elend und eine große, aus Kraftlosigkeit gespeiste Lethargie der Bevölkerung.

Der Staat, die vielgerühmte preußische Verwaltung, hat sie im Stich gelassen; die Krankheit kann sich unter den Armen ungehindert ausbreiten. Zeitlebens wird dies Virchows sozialpolitische Ansichten prägen: Typhus, Skorbut und Tuberkulose nennt der 27-Jährige „künstliche Krankheiten“, er fordert den „sozialen Wandel“, geht für seine politischen Überzeugungen buchstäblich auf die Barrikaden des deutschen Vormärz. 1848 missfällt dies den Behörden so sehr, dass er seine Stellung und die dazugehörige Dienstwohnung an der Charité verliert. Die Chance lässt die Universität Würzburg sich nicht entgehen. Sofort hat Virchow ein neues Betätigungsfeld: das des Professors an der Pathologischen Anatomie. Er beschäftigt sich mit der später weltberühmten „Zellularpathologie“, heiratet und zeugt mit seiner Frau Rose Mayer vier seiner sechs Kinder. Sechs Jahre später holt ihn die Charité zurück, er bekommt sein eigenes Institut.

Kläranlage und Fleischbeschau Doch Virchow hat nicht vergessen, was ihn prägte. Er ist nicht nur ein überragender Wissenschaftler und Arzt, sondern auch ein Sozialreformer. Er setzt durch, das die grottenschlechte Kanalisation von Berlin modernisiert wird; fortan dienen der Riesenstadt außerhalb gelegene Rieselfelder als Kläranlage. Virchow ist als Mitglied des Reichstages auch verantwortlich für die nach jeder Schlachtung vorzunehmende behördliche Fleischbeschau; der Befall der Bevölkerung mit Parasiten wird somit ausgeschlossen. Schließlich sei die Medizin doch, so stellte Virchow fest, immer auch eine „sociale Wissenschaft“. Durch sein großes Herz und der Hingabe an die Belange der „kleinen Leute“ erwirbt sich Virchow große Verehrung in der Bevölkerung.

Er plädiert für die Errichtung von öffentlichen Krankenhäusern und den Ausbau der staatlichen Gesundheitsfürsorge. Er entwickelt dabei eine solche Verve, dass dies dem konservativen Reichstagsabgeordneten Otto von Bismarck missfällt. Der fordert ihn nach einer erregten Budget-Debatte zum Duell. Glücklicherweise greifen hier besonnene Menschen ein und verhindern das – sonst hätte die Medizingeschichte einen anderen Verlauf genommen.

Rudolf Virchow
… wird am 13. Oktober 1821 in Schivelbein in der preußischen Provinz Pommern geboren. Virchow hat sich nicht nur als langjähriger Leiter der Pathologie an der Berliner Charité einen Namen gemacht, sondern auch als Sozialreformer und Politiker: So plädiert er zum Beispiel für den Ausbau des öffentlichen Gesund- heitswesens. Er stirbt am 5. September 1902 an den Folgen eines Unfalls.

Medizinischer Bestseller Frustriert vom zähen Verlauf seiner politischen Mühen zieht sich Virchow immer öfter ins Labor zurück. Er entdeckt Bedeutendes auf dem Gebiet der Bluterkrankungen – die Leukämie – und zeichnet präzise die bis heute beständigen Ursachen und Entstehungen von Thrombosen nach. Er schreibt „Die „Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre“ – ein medizinischer Bestseller, denn bisher war man der Ansicht, Zellen entstünden aus einem unförmigen Urschleim. Doch „Zellen entstehen aus Zellen“ serviert Virchow seinen Studenten den leicht zu merkenden Kernsatz.

Deshalb lehnt er auch den Quatsch vom einstigen Schüler Robert Koch ab: Bakterien? Gibt es nicht. Deshalb braucht man sich auch die Hände nicht zu waschen, wie es der Kollege Ignaz Semmelweis fordert. Die Hartnäckigkeit Rudolf Virchows galt leider auch seinen Irrtümern. Auch als alter Mann stürzt sich der Wissenschaftler immer noch auf die verschiedensten Bereiche: Heinz Schliemann, der Entdecker Trojas, ist sein Freund. Er begleitet ihn bei den Grabungen und redet so lange auf ihn ein, dass der seine trojanische Sammlung schließlich der Stadt Berlin überlässt. Er gründet eine Anthropologische Gesellschaft und eine Zeitschrift für Ethnologie. Er veranlasst eine Untersuchung der deutschen Schulkinder auf Haut-, Haar- und Augenfarbe; die Ergebnisse lassen Virchow triumphieren: Es gibt gar keine „reinen“ Rassen in Deutschland (dies wird später seinem Sohn erhebliche Schwierigkeiten mit den Nationalsozialisten bereiten). Daneben gründet Virchow auch noch das Märkische und das Völkerkundemuseum in Berlin.

Arbeit als Wohltat Der mit Ehrungen, Preisen und Medaillen überhäufte Wissenschaftler gönnt sich nie einen Tag Pause. Sein Lebenselixier ist die Arbeit und das (selbst gewählte) Thema seines Abituraufsatzes scheint Programm: „Ein Leben voller Arbeit und Mühe ist keine Last, sondern eine Wohltat“. Rudolf Virchow ist auf dem Weg zu einem Vortrag, als er in der Eile aus einer noch fahrenden Straßenbahn springt. Der 81-Jährige bleibt mit dem Fuß hängen und erleidet ei- nen Oberschenkelhalsbruch. Monatelang laboriert er daran und erholt sich nicht mehr: Am 5. September 1902 stirbt der Wissenschaftler, Anthropologe und Sozialreformer an den Folgen des Unfalls. 

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 05/17 ab Seite 98.

Alexandra Regner, PTA, Journalistin und Redaktion

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