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Dokumentation

VIEL PAPIERKRAM

Als eine der wichtigsten Kernkompetenzen der pharmazeutischen Tätigkeiten unterliegen auch Rezeptur und Defektur einem ständigen Wandel. Die Qualität soll dem aktuellen Wissensstand entsprechen. Hier ist einiges an Dokumentation nötig.

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Viele Mythen ranken sich um die teils versteckten Kämmerchen in denen pharmazeutische Mitarbeiter kleine Wunder vollbringen. Täglich wird gewogen, abgefüllt und etikettiert um die Lücke zu schließen, die auch die modernste Technologie der großen Pharmahersteller nicht zu schließen vermag. Die schnelle Herstellung von zum Teil ganz individuellen Rezepturen ist eines von vielen Beispielen, die zeigen, warum die Apotheke vor Ort unersetzbar ist. Frei nach dem Motto „Wir können alles“ werden zusätzlich zum wuseligen Alltag Rezepturen angefertigt, die immer den höchsten Qualitätsstandards entsprechen. Nun soll diese Qualität auch weiterhin gewährleistet werden und mit dem aktuellen Stand des pharmazeutischen Wissens Schritt halten. Auch wenn der bürokratische Aufwand mehr geworden ist, haben diese Neuerungen Vorteile, durch die das Arbeiten nicht nur sicherer, sondern auch effektiver geworden ist.

Rechtliche Vorgaben Die Geschichte des Apothekengesetzes beginnt am 01. Oktober 1960. Auch wenn sich seitdem einiges geändert hat, bleibt der grundsätzliche Zweck bestehen. Den Apotheken obliegt die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung. Um diese Aussage mit Leben zu füllen, ermächtigt Paragraph 21 Apothekengesetz das Bundesministerium für Gesundheit durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates eine Apothekenbetriebsordnung zu erlassen. Hier findet sich auch die Legitimation der Vorgaben, die speziell für Apotheken gelten. Viele Neufassungen der Apothekenbetriebsordnung werden von den pharmazeutischen Mitarbeitern nur am Rande oder gar nicht wahrgenommen.

Es werden Details geregelt, die meist nur spezielle Apotheken oder andere pharmazeutische Bereiche betreffen. Änderungen des Paragraph sechs, sieben oder acht Apothekenbetriebsordnung hingegen machen sich sehr deutlich im Alltag der meisten öffentlichen Apotheken bemerkbar. In diesen Paragraphen werden allgemeine und spezielle Vorschriften für Herstellung und Prüfung von Rezepturen und Defekturen vorgegeben. Um den hier festgelegten Standards gerecht werden zu können, wurde einschlägige Literatur festgelegt, die in der Apotheke vorhanden sein muss. Abgesehen vom europäischen, deutschen und homöopathischen Arzneibuch sind in der Rezeptur vorrangig der Deutsche-Arzneimittel-Codex (DAC) und das Neue-Rezeptur-Formularium (NRF) von besonderer Bedeutung.

Diese beiden Loseblattsammlungen, die im Jahre 2013 fusioniert und digitalisiert wurden, sollen Lücken in der Rezeptur schließen, die von den vorgegebenen Arzneibüchern nicht abgedeckt werden. Um diese fusionierte Loseblattsammlung auf dem neuesten Stand zu halten, erscheint halbjährlich eine Aktualisierung. Als besonders praxisrelevant gilt der Bereich im Teil des NRF, in dem die Standardrezepturen (NRF-Rezepturen) zusammengefasst werden. Im Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL) werden Herstellungsvorgaben erarbeitet und Lösungen für eventuell auftretende Probleme gefunden, die sonst durch lange Recherchearbeit jedes einzelnen Mitarbeiters selbst hätten gelöst werden müssen. Die Standardrezepturen erleichtern zwar den Arbeitsaufwand, aber ersetzen nicht alle Dokumentationen, die seit der Änderung der Apothekenbetriebsordnung im Jahre 2012 von der Empfehlung zur Pflicht wurden.

DEFINITIONEN

+Rezeptur: Das Arzneimittel wird auf Anforderung durch das Vorliegen einer ärztlichen Verordnung oder einer Rezepturanforderung durch einen Kunden direkt für eine bestimmte Person hergestellt. Die Anzahl der täglichen Herstellungen ist nicht von Bedeutung, sondern nur die personenbezogene Herstellung auf Anfrage.
+ Defektur: Das Arzneimittel wird aufgrund entsprechender Nachfrage im Voraus produziert. Die Nachfrage wird durch die Anfertigung von Rezeptkopien dokumentiert. Nicht verschreibungsfähige Arzneimittel dürfen nicht als Defektur produziert werden, da keine Rezepte als Beleg für die Anfrage aufbewahrt werden können. Es dürfen nicht mehr als 100 Einheiten täglich produziert werden. Eine Lagerung kann entweder in den jeweiligen Abgabegefäßen oder als Bulkware erfolgen. Die Kennzeichnungsregeln bei der späteren Abgabe an den Patienten richten sich nach der Aufbewahrung.

Nach welchen Regeln wird hergestellt? Um den neuen Regeln der Apothekenbetriebsordnung gerecht zu werden, müssen zunächst die Fachtermini geklärt werden. Vor der Herstellung sollte klar sein, welche Protokolle vorgeschrieben sind. Die Unterscheidung zwischen Rezeptur und Defektur hängt von der Anforderung durch den Kunden ab, nicht durch die Anzahl der Herstellungen. Wird auf Anforderung produziert, so läuft die Herstellung unter den Rezepturvorgaben. Bei einer Defektur wird aufgrund von Erfahrung im Voraus für unbekannte Empfänger produziert. Je nachdem welche Abfüllung gewählt wird, können Defekturen direkt in ihr späteres Abgabegefäß gefüllt oder in Standgefäßen aufbewahrt werden. So können individuell variierende Mengen bedient werden.

Zu beachten ist die Mengenbegrenzung bei der Vorratsherstellung, da Defekturarzneimittel anders als Rezepturarzneimittel unter die Regelungen der Fertigarzneimittel fallen, die von der Zulassungspflicht ausgenommen sind. Bis zu 100 Einheiten pro Tag sind aufgrund nachweislich häufiger, ärztlicher Verschreibung möglich (Hunderter-Regel). Als Nachweis kann die Sammlung von Rezeptkopien dienen, auf denen die Rezeptur verordnet wurde. Zu beachten ist, dass nicht verschreibungsfähige Rezepturen für eine Herstellung im Rahmen der Defektur nicht infrage kommen, da keine Nachweise zur Häufigkeit gesammelt werden können. Aufgrund dieser Nachweispflicht beginnt jede zukünftige Defektur als eine Rezeptur, die sich bei Ärzten in der Umgebung als nützlich erwiesen hat.

Plausibilitätsprüfung Ein Patient kommt mit einer ärztlichen Verordnung einer Rezeptur in die Offizin. Nach kurzer Recherche wird festgestellt, dass diese Art von Rezeptur noch nicht angefertigt wurde. Der Patient willigt ein, sein Arzneimittel zu einem späteren Zeitpunkt abzuholen und verlässt die Apotheke. Der Prozess der Herstellung kann nun mit der Kontrolle der Plausibilität beginnen. Dieser Schritt nimmt die vorgegebene Rezeptur auseinander. Alle Komponenten werden auf ihre Verträglichkeit und Unbedenklichkeit geprüft. Hinzu kommt auch die Kontrolle unerwünschter Wechselwirkungen der einzelnen Bestandteile untereinander.

Nur wenn diese Prüfung mit der notwendigen Sorgfalt ausgeführt wird, sind alle potenziellen Stolpersteine in den weiteren Schritten aus dem Weg geräumt. Auch wenn die Abzeichnung am Ende durch den Apotheker oder Pharmazieingenieur zu erfolgen hat, wird die Plausibilitätsprüfung meist von PTA durchgeführt, da sie durch ihre Ausbildung die Wirkstoffe und Hilfsstoffe von ihren chemischen Eigenschaften her schnell einordnen können. So reicht nach etwas Übung ein geschulter Blick um die üblichen Verdächtigen auch unter Synonymen herauszufiltern und eventuell sogar direkt durch besser verträgliche Hilfsstoffe zu ersetzen. Im Gegensatz zu Hilfsstoffen darf der Austausch von Wirkstoffen ausdrücklich nur nach ärztlicher Rücksprache erfolgen.

Für alle Mitarbeiter, die noch am Anfang ihrer Erfahrung stehen, gilt der alte Spruch: „Man muss nicht alles wissen, aber man muss wissen, wo alles steht.“ Seit 2012 hat sich einschlägige Literatur auf dem Markt etabliert, die in verschiedenen Tabellen die neusten Standards der Stoffeinteilung zusammenfasst. Auch Computersoftware wurde entwickelt, mit der die Stoffe auf Unverträglichkeiten geprüft werden können. Trotzdem sollte der Menschenverstand nicht außer Acht gelassen werden. Der Zeitaufwand, der benötigt wird um übersehene Unverträglichkeiten zu retten, ist wesentlich größer als den eigenen pharmazeutischen Sachverstand bei der Plausibilitätsprüfung einzusetzen.

Sobald die Prüfung erstellt wurde, gibt die Apothekenbetriebsordnung keinen genauen Zeitraum vor, wann diese erneuert werden muss. Mit der Aktualisierung der Literatur sollte allerdings stichpunktartig kontrolliert werden, ob es Veränderungen bei Eigenschaften bestimmter Stoffe gegeben hat. Als Orientierungspunkt gelten circa drei Jahre nach der letzten Plausibilitätsprüfung. Zu den gängigsten Änderungen gehören Anpassungen des rezeptierbaren pH-Bereichs oder neue Erkenntnisse über die therapeutischen Konzentrationen.

Rezepturherstellung Nachdem die Plausibilität erfolgreich festgestellt oder nach ärztlicher Absprache angepasst wurde, muss als nächster Punkt ein einheitlicher Prozess für die Herstellung gefunden werden. Zukünftige neue Kollegen werden es dankend anerkennen, wenn eine festgelegte Reihenfolge der einzelnen Schritte schriftlich festgehalten wurde. Auch wenn halbfeste Rezepturen oft einen ähnlichen Herstellungsablauf haben, können mit gut geschriebenen Herstellungsanweisungen Fehler vermieden werden, die Zeit und Geld kosten. Bei einfachen Rezepturen sieht die Apothekenbetriebsordnung eine Erleichterung vor.

Standardisierte Herstellungsanweisungen, in denen Herstellungstechnik, Ausrüstungsgegenstände und Inprozesskontrollen aufgeführt sind, müssen nicht wie die Plausibilitätsprüfung und Herstellungsprotokolle von Grund auf in der Apotheke selbst erstellt werden. Sie können von verschiedenen Verlagen vorgefertigt erworben werden, um die aufwendige Erstellung mehrerer Anweisungen für eine Darreichungsform zu umgehen. Diese Pflicht entsteht, wenn beispielsweise Cremes sowohl mit der Hand als auch mit automatischen Rührsystemen hergestellt werden können. Sollte die Zusammensetzung leicht verändert oder die Endmenge variiert werden, ist keine neue Anweisung zu erstellen, solange sich an der Herangehensweise nichts ändert.

Sind die Plausibilitätsprüfung und die Herstellungsanweisung durch den Apotheker oder Pharmazieringenieur kontrolliert und freigegeben, sind die Grundlagen der Rezeptur erstellt. Diese können nun immer herangezogen werden und müssen nicht bei jeder weiteren Anforderung neu erarbeitet werden. Den letzten Schritt der Dokumentation von Rezepturen stellt das Herstellungsprotokoll dar. Dieses muss bei jeder Herstellung neu ausgefüllt werden und beinhaltet alle wichtigen, die Herstellung betreffenden Arbeitsschritte. Dazu gehören insbesondere die Angabe der herstellenden Person, die Einwaagen und Chargen der Ausgangsstoffe.

Defekturarzneimittel Hat sich eine Rezeptur bewährt, kann es passieren, dass diese bevorzugt in die Feder von verschreibenden Ärzten gelangt. Um auch die Laufkundschaft entsprechend schnell versorgen zu können, bietet sich ab einer gewissen Anfragemenge an, eine Rezeptur als Defektur schon vorab herzustellen. Auch wenn die freie Apothekenwahl oberstes Gebot bleibt, wissen die Patienten im Regelfall, dass sie ihre Spezialarzneimittel bei Apotheken im Umkreis ihres Facharztes direkt erwerben können. Diese Tatsache gilt auch für Rezepturarzneimittel. Um diese Patienten, die meist aus anderen Stadtteilen oder Ortschaften stammen, bedienen zu können, muss die Rezeptur direkt verfügbar sein oder innerhalb weniger Minuten beschaffbar sein.

Das Anlegen einer Defektur ist nicht nur aus deshalb wirtschaftlich, weil mehr Rezepte beliefert werden können, sondern auch, da in diesem Fall günstiger eingekauft und in einer Charge mehr hergestellt werden kann. Noch dazu freuen sich die Stammapotheken der Laufkundschaft, da sie nicht für eine seltene Individualrezeptur kostenintensive Ausgangsstoffe einkaufen zu müssen. Um eine Defektur offiziell an Lager legen zu dürfen, benötigt es zwar einiger neuer Protokolle, die sich aber auf lange Sicht lohnen. Die Mehrarbeit am Anfang rentiert sich, weil bei der späteren Abgabe der Defektur keine weitere Dokumentation mehr stattfinden muss.

Da die Plausibilität schon im Zuge der ersten Rezeptur erstellt wurde, entfällt dieser Prozess. Das erste neue Protokoll ist eine angemessene Herstellungsanweisung. Zusätzlich zur Herstellungsanweisung für die Rezeptur kommen weitere Arbeitsmaßnahmen, Lagerungsbedingungen und Vorsichtmaßnahmen hinzu. Hier muss auch zwischen den zwei Möglichkeiten im Rahmen der Aufbewahrung unterschieden werden. Zum einen kann eine bestimmte Menge der Defektur produziert werden und in einem Standgefäß zwischengelagert werden. Bei Bedarf wird die verordnete Menge in ein Abgabegefäß überführt und nach den Regeln der Rezeptur laut Paragraph 14 Apothekenbetriebsordnung beschriftet. Eine zweite Variante ist die Produktion eines direkt abgepackten Fertigarzneimittels.

Für die Abgabe ist diese Variante einfacher, da die entsprechende Menge direkt an den Kunden abgegeben werden kann und nicht erst aufwendig für den individuellen Bedarf abgefüllt werden muss. Bei Defekturen wird zusätzlich zwischen den qualitativen und quantitativen Zusammensetzungen der Bestandteile unterschieden. Anders als bei Rezepturen ist es nicht möglich verschiedene Mengen über dieselbe Anweisung herzustellen. Sobald andere Endmengen oder verschiedene Wirkstoffkonzentrationen benötigt werden, muss auch eine neue Herstellungsanweisung angefertigt werden. Als nächster Schritt kommen wieder Herstellungsprotokolle ins Spiel. Wichtige Angaben sind die herstellende Person und welche Chargen der Ausgangsstoffe verarbeitet wurden.

Hinzu kommen bei Defekturen die Gesamtausbeute, das Verfalldatum und wenn möglich das Nachtestdatum. Die Freigabe durch den Apotheker oder Pharmazieringenieur kann hier nicht direkt erfolgen. Für Defekturarzneimittel sind weitere Protokolle vorgeschrieben. Zu jeder erstellten Herstellungsanweisung, gibt es eine entsprechende Prüfanweisung. Bei Rezepturen reicht eine organoleptische Prüfung aus. Die im Regelfall kleinen, direkt zur Abgabe bestimmten Mengen bieten keinen großen Platz für nicht auffallende Qualitätsmängel. Bei Defekturen muss diese Qualität einer Prüfung standhalten. Wie bei anderen Fertigarzneimitteln auch muss mindestens eine analytische Prüfung bestanden werden. Um einen guten Ablauf zu sichern, muss durch die Prüfanweisung die Probeentnahme, die Prüfmethode und die Art der Prüfung erkennbar sein.

Entsprechende Arbeitshilfen und vorgefertigte Prüfanweisungen stehen bei bekannten Verlagen zur Verfügung. Als letztes ist ein Prüfprotokoll vorgesehen. Wie das Herstellungsprotokoll muss es ebenfalls zu jeder Charge erstellt werden. Hier muss erkennbar sein, dass alle Vorgaben der Anweisungen umgesetzt wurden und die Qualität gesichert ist. Sind alle Protokolle abgezeichnet, können diese vier zusätzlichen Protokolle bei Defekturen unzählige Herstellungsprotokolle ersetzen, die jede einzeln angefertigte Rezeptur mit sich bringt. Um die Defektur weiterhin produzieren zu dürfen, sollte bei jeder Abgabe das entsprechende Rezept kopiert und abgeheftet werden. Der Bedarf kann so ohne viel Aufwand nachgewiesen werden und hält auch der nächsten Kontrolle durch den Pharmazierat stand.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 04/2021 ab Seite 14.

Manuel Lüke, Apotheker und PTA-Lehrer für Gefahrstoffkunde

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