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VERBRENNUNGEN UND ENTZUG

Sie gilt als eine der bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikerinnen und Prosaschriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts – Ingeborg Bachmann. Wie innerlich zerrissen sie war, wurde erst nach ihrem Tod deutlich.

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Ihr Name ist vielen ein Begriff (spätestens durch den Ingeborg- Bachmann-Preis, einem der wichtigsten literarischen Auszeichnungen im deutschsprachigen Raum), ihr Leben weniger. Mit ihren Werken, Gedichten, Erzählungen, Hörspielen, Opernlibretti („Der Prinz von Homburg“, „Der junge Lord“), ihrem freien und mutigen Umgang mit literarischen Gattungen und Formen, ihrem einzigen zu Lebzeiten veröffentlichten Roman „Malina“, dem Prosazyklus „Todesarten“, der das Schreiben ihres letzten Lebensjahrzehnts beherrschte, dürfen sich Generationen von Abiturienten auseinandersetzen. Geboren am 25. Juni 1926 in Klagenfurt als erstes Kind des Schuldirektors Mathias Bachmann sowie dessen Frau Olga, geborene Haas, verbrachte Ingeborg ihre Kindheit und Jugend in Kärnten. Früh fing sie an Musik zu komponieren, Gedichte zu schreiben, studierte schließlich Philosophie, Psychologie, Germanistik und Rechtswissenschaften in Innsbruck, Graz und Wien.

 

Sieben Wiener JahreHans Weigel (1908 bis 1991), den österreichischen Schriftsteller und Theaterkritiker jüdischer Herkunft, lernte die Nachwuchsliteratin bei einem Interview mit knapp 20 Jahren kennen, als sie aus der Kärtner Provinz in das kriegszerstörte Wien umzog. Er erkannte sofort die Begabung der jungen Autorin, wurde zu ihrem Mentor und unterstützte sie zunächst sowohl finanziell als auch durch die Bereitstellung wichtiger Kontakte. So verbrachte Ingeborg Bachmann 1946 bis 1953 in Wien, stürzte sich dort nach den Traumata der Kriegszeit voller Lebens- und Liebeshunger in das intellektuelle und künstlerische Milieu von Österreichs Hauptstadt. Sie studierte dort Philosophie, promovierte, arbeitete für den im amerikanischen Sektor betriebenen Sender Rot-Weiß-Rot (rasend erfolgreiche Dialoge für die Soap „Die Radiofamilie“) und gehörte Weigels literarischem Diskussionzirkel im Café Raimund beim Volkstheater an. Auch ihr Liebesleben war ein „Tanz auf dem Vulkan“, sie wurde Teilzeitgeliebte Weigels, verstrickte sich gleichzeitig aber in eine Liaison mit dem Poeten Paul Celan (1920 bis 1970, Schöpfer der „Todesfuge“). Aus beiden Beziehungen wurde jedoch nichts langfristiges. Weigel heiratete 1951 ohne Umschweife die Schauspielerin Elvira Hofer (1927 bis 1995 in Tel Aviv), Paul Celan 1952 die adelige Grafikerin Gisèle Lestrange (1927 bis 1991). Dieser existenzielle Doppelschlag traf die junge Schriftstellerin ins Mark, das zauberhaft verzauberte Wien wurde für sie zum Totenhaus der Gefühle und sie wollte nur noch weg: nach Deutschland, nach Italien.

Preise über Preise Sie verwirklichte zielstrebig ihre Träume von einer freien Autorenexistenz, lebte bis 1957 mit ihrer Schwester Isolde zusammen in Italien. Bachmanns früher spektakulärer Ruhm gründet auf der Lyrik. 1954 erhielt sie den Preis der „Gruppe 47“, einem von Hans Werner Richter von 1947 bis 1967 ins Leben gerufenen deutschsprachigen Schriftstellertreffen, das in den 1950er Jahren zu einer öffentlichen Institution wurde. Danach verschrieb sie sich nach und nach mehr der Prosa. Bachmann erhielt viele Preise für ihre Werke, übersiedelte 1957 zurück nach München als Dramaturgin beim Bayerischen Fernsehen. Im Juli 1958 lernte sie Max Frisch (Schweizer Schriftsteller und Architekt, 1911 bis 1991, „Biedermann und die Brandstifter, „Andorra“) kennen und lieben, lebte mit ihm bis 1962 abwechselnd in Zürich und Rom. Vier Jahr lang galten sie als das „Traumpaar der deutschen Literatur“. Doch Ende 1962 endete auch diese Beziehung – für sie traumatisch. „Tatsache ist, dass ich tödlich verletzt bin und dass diese Trennung die größte Niederlage meines Lebens bedeutet“, „In mir ist die Hölle los“ und „Es war Mord“, sagte Ingeborg Bachmann damals. Verkraften konnte sie es nicht. Immer wieder katastrophal gescheiterte Beziehungen hinterließen ihre Spuren, in ihrer schriftstellerischen Verarbeitung und auch in ihrem persönlichen Leben. Mehrmals musste sie sich in Krankenhäuser (Nervenzusammenbruch, Depressionen, Alkoholabusus) einweisen lassen. Ihre Ruhigstellung mit Schlafmitteln (Barbituraten), Schmerzmitteln (Morphin) hatte jedoch wiederum ernsthafte Konsequenzen. Heute würde man dies als medizinische Fehlbehandlung bezeichnen, denn was folgte, war ein Jahrzehnt der Medikamentenabhängigkeit und -sucht.

Zehn Jahre Selbstzerstörung1963 wurde Ingeborg Bachmann sogar für den Literaturnobelpreis nominiert, nahm im Frühjahr die Einladung der Ford-Foundation zu einem einjährigen Schreibaufenthalt in Berlin an, wo sie bis 1965 blieb. Berlin wurde für sie zu einem „Ort für Zufälle“ (so der spätere Titel ihrer Dankesrede zur Verleihung des Georg Büchner-Preises 1964), zur Chiffre für Krankheit und Zerstörung, wo sich persönliche Krisenerfahrungen mit der historischen Krise zwischen Ost und West verschränkten. 1965 zog Ingeborg Bachmann schließlich zurück nach Rom, veröffentlichte nur noch sporadisch, litt weiter unter Alkohol-, Nikotin- und Tablettenabhängigkeit. Doch ihr Roman „Malina“ (1971) erschien ebenso wie ihr Erzählband „Simultan“ (1972), der einerseits mit dem Anton-Wildgans-Preis ausgezeichnet wurde, von Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki (1920 bis 2013), einem Teilnehmer der „Gruppe 47“ hingegen als „preziös- anachronistische Prosa“ verrissen wurde. Auf Leserreisen nach Deutschland und Polen (Mai 1973) mussten die Veranstalter bereits für die Autorin Apotheken zur Medikamentenbeschaffung aufsuchen. Ein Freund, der Ingrid Bachmann noch Anfang August zurück in Rom besuchte, berichtete entsetzt: „Ich war zutieft erschrocken über das Ausmaß ihrer Tablettensucht. Es müssen an die 100 Stück pro Tag gewesen sein, der Mülleimer ging über von leeren Schachteln. Sie hat schlecht ausgesehen, war wachsbleich. Und am ganzen Körper voller Flecken. Ich rätselte, was es sein konnte. Dann, als ich sah, wie ihr die Gauloise, die sie rauchte, aus der Hand glitt und auf dem Arm ausbrannte, wusste ich´s: Brandwunden, verursacht von herabfallenden Zigaretten. Die vielen Tabletten hatten ihren Körper schmerzunempfindlich gemacht.“

Tod auf Raten Genau dies könnte zu ihrem Tod maßgeblich mit beigetragen haben, denn: Am 17. Oktober 1973 starb Ingeborg Bachmann mit 47 Jahren in Rom in der Klinik Sant` Eugenio an den Folgen schwerer Brandverletzungen, die sie in der Nacht vom 25. auf den 26. September erlitten hatte. Sie war – so wurde rekonstruiert – mit einer brennenden Zigarette in der Hand eingeschlafen. Erst in der Früh rief sie ihre Haushälterin Maria Teofili an, die angesichts der schweren Verletzungen unverzüglich Rettungskräfte verständigte. Die Brandverletzungen waren schwer, aber nicht tödlich. Die Tablettenabhängigkeit und ihre Schmerzunempfindlichkeit durch das Morphin waren sicherlich mitursächlich für den Unfall. Da die Ärzte aber nichts von ihrer Beruhigungsmittel- Morphin-Abhängigkeit wussten, starb sie drei Wochen später tatsächlich an tödlichen Entzugserscheinungen (Konvulsionen, die epileptischen Anfällen glichen). Ihr Grab befindet sich auf dem Zentralfriedhof in Klagenfurt, Österreich.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 12/16 ab Seite 98.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin und Fachjournalistin

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