© DIE PTA IN DER APOTHEKE

Berühmte Apotheker

UR-GRÜNDER EINES WELTKONZERNS

Seine Innovation war der revolutionäre Fortschritt in der Behandlung von Hautkrankheiten – das Guttapercha-Pflaster. Das persönliche Schicksal von Paul Carl Beiersdorf war dagegen tragisch.

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Sich pharmazeutisch auf unbekanntes Terrain vorzuwagen, Neues zu verfolgen, sich flexibel den Gegebenheiten anzupassen und womöglich etwas Großes zu schaffen – das war seine Vision. Die wohl genialste Idee hatte er, als er beschloss, Pflaster und Wundsalbe zu kombinieren. Nicht immer erwies er sich allerdings als sehr geschäftstüchtig. Und private Unglücke machten dem beruflichen Erfolg schließlich einen Strich durch die Rechnung. Doch der Reihe nach…Am 26. März 1836 kam Paul Carl Beiersdorf in Neuruppin, Brandenburg, auf die Welt, verbrachte dort Kindheit und Jugend.

Nach der elften Klasse verließ er allerdings das Gymnasium und machte ab1853 erst einmal eine Apothekerlehre. Daran schloss sich das Pharmaziestudium an der Universität Berlin an, das er 1860 mit dem Staatsexamen bestand. Nach seiner Approbation übernahm er die Leitung einer Galvanisieranstalt in Moskau und lernte dort auch seine spätere Frau kennen. 1864 ging er zurück nach Berlin, wo er Mitinhaber einer Firma für optische Geräte (Schmidt & Haensch) wurde. Seine umfassenden physikalischen Kenntnisse stammen aus dieser Zeit. 1871 heiratete er die in Moskau geborene Antonie Maria Mauß, die ihm kurz darauf eine Tochter sowie bis 1887 drei Söhne gebar.

Mit Apotheken wenig erfolgreich Knapp zehn Jahre blieb Beiersdorf bei Schmidt & Haensch in Berlin, bevor er – aus unbekannten Gründen – der Stadt den Rücken kehrte und 1874 in Bärwalde im Kreis Königsberg-Neumark eine Apotheke erwarb. Damit kehrte er zu seinen Wurzeln, der Pharmazie, zurück. Ob erfolgreich, sei dahingestellt, denn schon nach nur knapp zwei Jahren veränderte er sich schon wieder, kaufte nun die Löwen-Apotheke in Grünberg, Schlesien. Auch hier blieb er nicht lange, verkaufte diese 1879 wieder und antwortete kurzentschlossen auf eine Verkaufsannonce einer Apotheke in Hamburg. Mit dem Kauf dieser Apotheke nahe der St. Michaelis-Kirche, einem der Wahrzeichen in Hamburg, sollte der Traum der Selbständigkeit in einer Großstadt Wirklichkeit werden. Das Geschäft ging schnell über die Bühne.

Besondere Nachforschungen zur Rentabilität der Apotheke stellt der damals 44-jährige Beiersdorf nicht an. Er verließ sich auf die Ausführungen des Verkäufers, eines südamerikanischen Berufskollegen, den es zurück in die Neue Welt zog. Dieser versprach ihm gute Geschäfte in dieser dicht besiedelten Gegend nahe dem Hamburger Hafen. Es war eine Kleine-Leute-Gegend, die heute so berühmte Speicherstadt war noch nicht einmal gebaut. Pferdekutschen und -karren holperten über die Straßen. Und entsprechend holprig begann auch die Zeit in Hamburg. Denn sein Vorgänger war mit seiner südamerikanischen Art bei den umliegenden Ärzten nicht sonderlich beliebt oder gar anerkannt gewesen. Die Ärzte schickten ihre Patienten deshalb nicht die Mühlenstraße, sondern zu anderen Apotheken der Umgebung. Auch nach dem Inhaberwechsel änderte sich dies zunächst nicht. Die Geschäfte liefen schlecht.

Start-Up Apothekenlaboratorium Klinkenputzen bei den Ärzten war angesagt. Beiersdorf besuchte als erfahrener Apotheker mit umfangreichen physikalischen Kenntnissen, die Mediziner und bot ihnen seine Dienste an – physiologische und nahrungsmitteltechnische Untersuchungen. Seine Fähigkeiten sprachen sich herum, sein Kundenkreis vergrößerte sich. Darunter befand sich auch Prof. Paul Gerson Unna, der führende Dermatologe seiner Zeit. Dieser suchte nach neuen, wirkungsvolleren Anwendungsformen für Arzneien, um Hautkrankheiten zu behandeln, hatte selbst schon herumexperimentiert und war bisher gescheitert. Beiersdorf nahm sich des Themas an, das Apothekenlaboratorium wurde hierzu von ihm ausgebaut.

Er experimentierte mit in heiße Salben getränktem Mull als Heilpflaster. Dazu benutzte er auch eine klebrige Masse aus dem Kautschuk- und Guttapercha-Baum. Die Pflaster sollten selbstklebend sein, eine standardisierte Menge Arzneistoff unverändert auf der Haut freigeben, zudem eine stabile, nach außen schützende Wundauflage darstellen. Es gelang – nach einigen Um- und Irrwegen! Am 28. März 1882 erhielt er vom Kaiserlichen Patentamt in Berlin das Reichspatent mit der Nummer 20057 für die „Herstellung gestrichener Pflaster“ (Guttaperchapflastermulle). Das Laboratorium der Merkur-Apotheke in der Mühlenstraße Hamburgs wurde so die Geburtsstätte des Beiersdorf-Konzerns, das Datum der Patentschrift gilt heute als Gründungsdatum der Firma Beiersdorf AG.

Kurz darauf, im Juni 1883, trennte sich Beiersdorf von der Apotheke in der Mühlenstraße, zog samt Familie nach Altona und gründete dort sein „Laboratorium dermatotherapeutischer Präparate“, manchmal auch als „Fabrik für dermotherapeutische Präparate“ bezeichnet. Faktisch handelte es sich jedoch eher um eine Manufaktur. Die Nachfrage nach den Beiersdorf´schen Pflastern stieg kontinuierlich, die Zusammenarbeit mit Paul Gerson Unna wurde intensiviert, Auslandsbestellungen (aus Italien, Niederlande, Belgien etc.) verbesserten die Geschäftsgrundlage zusätzlich. Das Marketing war allerdings Beiersdorfs Sache nicht. Und so verkaufte er 1890 unter anderem als Folge des Selbstmordes seines damals 16-jährigen ältesten Sohns Carl Albert, der sich erschoss, weil er im Gymnasium sitzenzubleiben drohte, seine Firma an einen Apothekerkollegen: Dr. Oscar Troplowitz (1863 bis 1918). Verkaufssumme: 70 000 Mark, eine zu Kaiserzeiten äußerst stolze Summe. Zum damaligen Zeitpunkt beschäftigte das Unternehmen Beiersdorf neben dem Inhaber nämlich gerade mal acht Arbeiter, zwei Expedienten und einen Laboranten.

Expansion dank neuer Produkte und Marketing Wie bei Zeitgenosse Dr. A. Oetker (siehe Berühmte Apotheker-Serie 01/2017) und vielen anderen Innovationsträgern war auch hier das Marketing der entscheidende Erfolgsfaktor, um aus kleinen Anfängen zu einer der erfolgreichsten deutschen Unternehmen aufzusteigen. Das Potenzial der Firma hatte Marketingtalent Oscar Troplowitz erkannt – auch für wirkstofffreie Pflaster zur Wundversorgung. Er ließ vom Chef-​Chemiker Isaak Lifschütz einen geeigneten Klebstoff entwickeln – auch wenn dieser erst einmal eher zum Flicken beschädigter Fahrradschläuche diente. 1901 wurde ein mit einer Zinkoxid-Kautschukharz-Masse bestrichenes Viskoseband entwickelt – und Leukoplast genannt. Und die Produkt- und Markenentwicklung ging rasant weiter.

Wohl kaum ein anderer Konzern hat so viele Bezeichnungen geschaffen, die als Gattungsnamen Eingang ins Wörterbuch fanden. Für die meisten Deutschen heißt jeder Salbenstift zur Lippenpflege „Labello“, jedes Pflasterband „Leukoplast“, jeder Klebestreifen „Tesa-Film“ – egal wer sie produziert hat. Beiersdorf selbst erlebte dies alles jedoch nicht mehr. Er verlor sein Vermögen an Immobilienspekulanten, ein beruflicher Neustart im Apothekenwesen scheiterte. Trauriges Ende ist sein Tod am 17. Dezember 1896 in Hamburg durch Selbstmord mittels Gift. 

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 07/17 ab Seite 104.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin und Fachjournalistin

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