Faust durch die Wand. © GOSPHOTODESIGN / iStock / Getty Images
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Bücher, von denen man spricht

UNSER ERSTAUNLICHES IMMUNSYSTEM

Dr. Marianne Koch hat ein Buch über unser Immunsystem geschrieben. Es geht darin zu wie im Krieg: Es wird unentwegt zerstört, zerstückelt und gemordet. Natürlich alles nur zu unserem Schutz.

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Granulozyten, Mastzellen, Makrophagen: So schön hat’s noch keiner erklärt. Die Autorin nimmt uns mit auf die Reise durch ein hochkomplexes System, das gar nicht so einfach zu verstehen ist – doch hat man sich durchgearbeitet, weiß man genau, dass man es schützen muss. Denn es hält uns am Leben und Dr. Koch ist es ein Anliegen, dies zu betonen. „Ganz schön verwirrend, meinen Sie? Das kann man wohl sagen. In Wirklichkeit sind diese Vorgänge noch komplizierter….“ Dann kürzt sie auf ihre unnachahmliche Weise ab: „Bestimmte weiße Blutkörperchen bilden eine Art Körperpolizei, die ständig patrouilliert, um eventuell eingedrungene Krankheitserreger rechtzeitig zu erkennen und möglichst abzutöten und um fehlerhafte eigene Körperzellen zu vernichten.“

Eine Frau mit Sendungsbewusstsein Wer in letzter Zeit die Talkshow „3 nach 9“ einschaltete, sah sie dort sitzen, in der Runde der Interviewten und die Älteren unter uns mögen sich verwundert die Augen gerieben haben. Die Marianne Koch? Die mit Curd Jürgens und Clint Eastwood in internationalen Kassenschlagern gespielt hat? Vor ziemlich langer Zeit? Die Frau, die dort im Fernsehen über medizinische Themen parliert, muss an die neunzig Jahre alt sein. Kerzengerade sitzt sie im Studiolicht und es kann nicht allein der Maskenbildner gewesen sein, der ihre Jugendlichkeit bewahrt hat. Man spürt, es ist Marianne Koch ein Anliegen, in verständlicher Sprache über ihre Herzensangelegenheiten zu informieren: Nämlich was wir tun können, um unsere alternden Körper möglichst lange fit und jung zu erhalten. Das beweisen auch ihre Bücher „Körperintelligenz“ oder „Das Herz-Buch“. Sie hat sogar eines über Vorsorgetermine geschrieben, damit wir bloß keine vergessen.

Marianne Koch war 17, als sie 1948 Abitur machte; sie hatte zwei Klassen übersprungen. Sie begann ein Medizinstudium und jobbte dabei im Filmstudio. Ein Regisseur wurde auf die hübsche Brünette aufmerksam, lud sie zum Casting für einen Film ein und sie, die nie eine Schauspielschule von innen gesehen hatte, überzeugte durch ihre Natürlichkeit und durch ihr Selbstbewusstsein und hatte die Rolle. Von da an lief es so gut, dass sie das Studium ruhen ließ. So mancher mag sie in dem Film „Des Teufels General“ gesehen haben, wie sie Curd Jürgens die Kunst ihrer Tante erklärt, guten Kaffee zu kochen. Dabei hält sie, unablässig drehend, die Kaffeemühle in der Hand. So nervös ist sie, weil so verliebt. Bis er sie schließlich, genauso verliebt, unterbricht: „Und wann“, fragt er sanft, „tut Tante Oli die Kaffeebohnen rein?“ So eindringlich gespielt, dass man sich noch Jahrzehnte später erinnert.

Filme, Werbung, dann wieder Medizinstudium Beim „General“ ist die junge Schauspielerin gerade mal 23 Jahre alt. Sie dreht Film für Film, Serie um Serie, ist bis 1971 gut im Geschäft, macht auch mal Werbung („ADO mit der Goldkante“). Doch sie will nicht dort bleiben, das fällt ihr gar nicht ein: Sie nimmt das ruhen gelassene Medizinstudium wieder auf, mit 40 Jahren und macht drei Jahre später ihr Staatsexamen mit „summa cum laude“. Promoviert. Übernimmt eine wöchentliche Sendung über medizinische Fragen. Wird Talkshow-Moderatorin.

Uff. Jetzt also ihr neustes Buch. Plaudernd schafft es die Medizinjournalistin (ja, auch diesen Beruf übt sie aus) und Internistin mit eigener Praxis, ein Dickicht durch das komplexe Thema zu schlagen, sodass wir ihr interessiert folgen. Kleine Kostprobe: „Die Erreger bekamen es erst einmal mit dem Wachpersonal zu tun, den Dendritischen Zellen, deren viele „Äste“ die Eindringlinge festhielten und sie zur nächsten Polizeistation – einem Lymphknoten – schleppten. Sie fragten dort an, ob man diese Typen bereits kenne und präsentierten ihre Gefangenen so, dass man deren Antigene - die charakteristischen Eiweißmerkmale – ablesen konnte.“ Und so weiter, aber es sei jetzt schon verraten, dass die Eindringlinge letztendlich keine Chance hatten.

Auch Covid-19 kommt vor Sogar Corona widmet die Autorin ein eigenes Kapitel, dabei muss der Abgabetermin bereits vor der Tür gestanden haben, als sie es schrieb. Sie erklärt, warum gerade ältere Menschen oder solche mit Vorerkrankungen kalt erwischt werden: „Wenn nämlich das Immunsystem entweder zu schwach oder aber mit anderen Aufgaben beschäftigt ist, können sich die Viren aus der Nase und dem Rachen in einer Art „Etagenwechsel“ in die tiefen Bereiche der Lungen vorarbeiten und dort ihr zerstörerisches Werk beginnen. Die bedrohliche Situation tritt oft erst einige Tage nach den ersten harmlos wirkenden Symptomen ein.“ So ganz nebenbei berichtet die preisgekrönte Publizistin auch noch von den allerneuesten Krebstherapien. Entartete Zellen, die sich zu Tumoren entwickeln können, entstehen jeden Tag im Körper und werden von einem funktionierenden Immunsystem schleunigst aussortiert.

Manche aber knocken die Überprüfungsinstrumente der patrouillierenden Immunzellen aus. Marianne Koch beschreibt sehr anschaulich die Wirkweise der modernen Checkpoint-Inhibitoren als eine Art Entfesselungskünstler: „Die (übrigens höllisch teuren) Arzneistoffe haben so abenteuerliche Namen wie Ipilimumab oder Nivolumab oder Pembrolizumab.“ Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit Biotechnologie und liefert zu diesem Begriff eine elegante Erklärung: „Die Wissenschaft, die es ermöglicht, lebendige Organismen mit chemischen Stoffen zu verschmelzen, andere zu verändern oder zu manipulieren.“ Als Beispiel zitiert sie die Erfindung des Bieres (Hefepilze in Gerstensuppe) und des Sauerteiges – kann sich jeder gut merken. „Zugegeben, der Weg von dort zu den auf unglaublich raffinierte Weise hergestellten Biomedikamenten unseres Jahrhunderts war weit“ – und sie erzählt von der Entdeckung des Penicillins durch Alexander Fleming.

Ein Hoch auf die Resilienz Und wenn sie am Ende ihres Buches von Resilienz, dieser geheimnisvollen seelischen Widerstandskraft, schreibt, mag man ihr glauben, denn die hat sie selber in ihrem weitestgehend öffentlichen Leben entwickeln müssen: „Optimisten“, sagt sie, „schaffen es, auch schwierige und belastende Situationen so zu verarbeiten, dass bei ihnen der Pegel an Stresshormonen nicht so stark ansteigt, und im Gefolge Blutdruck, Blutfette wie Cholesterin und Entzündungsstoffe weitgehend im Normbereich bleiben. Im Gegensatz zu den Grüblern und ständig schlecht Gelaunten, bei denen höherer Blutdruck, Cortison- und Cholesterinwerte gemessen wurden und dementsprechend die Alterung der Blutgefäße schneller voranschreitet.“ Gute Laune, auch das ein Präventiv-Faktor fürs Immunsystem!

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 02/2021 ab Seite 116.

Alexandra Regner, PTA und Medizinjournalistin

Dr. med. Marianne Koch: Unser erstaunliches Immunsystem Wie es uns schützt, wie es uns heilt und wie wir es jeden Tag stärken können dtv Ratgeber, 208 Seiten mit 20 Grafiken, 20 Euro ISBN: 978-3-423-28227-7

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