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Viren & Bakterien

UNGEWÖHNLICHE SPEZIALISIERUNG

Ausgerechnet an einem Ort, der bis vor wenigen Jahrzehnten noch als absolut „unbewohnbar“ für Mikroorganismen galt, nämlich dem Magen, richtet sich dieser Erreger ein.

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Helicobacter pylori ist ein gramnegatives stäbchenförmiges Bakterium, das korkenzieherartig gekrümmt ist – daher auch sein Name, in dem Helix, griechisch für Windung oder Spirale, sowie der „Magenpförtner“ Pylorus anklingen. Es gedeiht am besten in einer Umgebung, in der die Sauerstoffkonzentration deutlich niedriger ist als in der Luft. Der menschliche Magen ist mit dem im Inneren herrschenden pH-Wert zwischen eins und drei an sich gut vor Erregern geschützt; H. pylori hat sich jedoch perfekt an das eigentlich unwirtliche Milieu angepasst.

Die Menschen leben schon seit Jahrtausenden mit dem Bakterium; es wurde in „Ötzis“ Magen sowie in Mumien in den Anden gefunden. Nachgewiesen wurde der alte Keim aber erst 1982 in Australien; die beiden Forscher wurden dafür 2005 mit dem Medizin-Nobelpreis geehrt. Schließlich veränderte ihre Entdeckung einiges an der Vorstellung, die man sich von der Entstehung bestimmter Magen-Darm-Erkrankungen machte.

Schon bald ließ sich nämlich zeigen, dass sowohl Gastritiden (Magenschleimhautentzündungen) als auch Magen- oder Zwölffingerdarm-Geschwüre eng mit der Anwesenheit der Bakterien verknüpft sind. Weltweit ist etwa jeder Zweite damit infiziert, hierzulande geht man von etwa 20 bis 25 Prozent der Erwachsenen aus, die den Keim in sich tragen – bei zurückgehender Rate in den Industrieländern. Auf welchem Weg die Übertragung des Erregers stattfindet, ist nicht völlig geklärt. Als wahrscheinlich gelten beispielsweise Kontakt und anschließende orale Aufnahme der Keime aus Stuhl, Erbrochenem, verschmutztem Wasser oder kontaminierter Nahrung. Auch Schmeißfliegen sind als Vektoren in der Diskussion. Meist findet die Infektion innerhalb der Familie, hauptsächlich während der Kindheit, statt.

Überlebens- und Angriffsstrategien H. pylori ist, obwohl säureempfindlich, in der Lage, die stark saure Umgebung im Magen kurzzeitig zu überstehen, da er ein Enzym produziert, die Urease, welche Harnstoff zu Ammoniak und Kohlendioxid spaltet. Damit wird die Säure lokal neutralisiert, der Keim schafft sich ein Mikromilieu, in dem er solange unbeschadet durchhält, bis er sich unter die schützende Schleimschicht gerettet hat.

Dank der hohen Beweglichkeit, die ihm sogenannte Flagellen oder Geißeln verleihen, gelingt es ihm, selbst im zähen Schleim voranzukommen, von dem das Magenepithel überzogen ist. So erreicht er schließlich das Schleimhautepithel, wo ein pH-neutrales Milieu vorliegt. Spezielle Oberflächenstrukturen, die Adhäsine, ermöglichen ihm das Anheften an die Epithelzellen der Magenschleimhaut. Viele Stämme setzen Enzyme frei, die die Schleimhaut schädigen können, andere Produkte vermögen die zelluläre Immunantwort zu hemmen, indem sie T-Zellen inaktivieren.

Besonders aggressive Exemplare bringen mit Hilfe eines besonderen molekularen Systems, das man sich mit dem Bild einer „Giftspritze“ veranschaulichen kann, Stoffe in die Magenepithelzellen ein. Dadurch wird eine Reaktionskaskade ausgelöst, die wiederum zu Entzündungen führt. Auf Schädigungen der Schleimhaut und dauerhafte Entzündung reagiert der Magen mit vermehrter Säureproduktion, wodurch schließlich Magen- oder Zwölffingerdarm- Geschwüre entstehen können.

Nur etwa jeder fünfte chronisch Infizierte hat aber Beschwerden oder entwickelt gar eine Erkrankung; allerdings findet offenbar in jedem Fall eine chronische Entzündung statt, die auf die Abwehrreaktionen des Immunsystems zurückzuführen ist. Letztendlich könnte die Auslösung eines Geschwürs von weiteren Faktoren abhängen, welche die Magenschleimhaut angreifen wie Alkohol, Nikotin, Arzneimittel oder Stress.

Außerdem spielen Typ und Stamm des Bakteriums, mit dem man kolonisiert ist, und möglicherweise auch genetische Faktoren eine Rolle. Bei einem sehr kleinen Teil der Betroffenen begünstigt H. pylori die Entstehung eines Magenkarzinoms.

Eradikation Die Behandlung der Infektion ist erforderlich, wenn ein Geschwür vorliegt. Bemerkbar kann sich ein solches peptisches („die Verdauung betreffendes“) Ulkus neben Schmerzen durch Übelkeit, Völlegefühl, Appetitlosigkeit oder Erbrechen machen. Auch vor einer geplanten Dauermedikation mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) sollte bei Ulkusanamnese auf eine Infektion mit H. pylori untersucht und gegebenenfalls eine so genannte Triple-Therapie eingeleitet werden.

Diese besteht aus der gleichzeitigen Gabe zweier Antibiotika plus eines Protonenpumpeninhibitors für sieben bis zehn Tage und eliminiert den Keim in über neun von zehn Fällen. Da allerdings zunehmend Resistenzen gegen die verwendeten Antibiotika auftreten, ist die Entwicklung eines Impfstoffs ein wichtiges Ziel der Helicobacter-Forschung. Der oft nicht bemerkte Mitbewohner scheint auch gute Seiten zu haben: Nach einer Untersuchung vermag er bei Kindern vor Allergien und Asthma zu schützen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/16 ab Seite 82.

Waldtraud Paukstadt, Dipl. Biologin

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