Apotheke aus dem Tierreich

TIERISCHE GIFTE

Das Gift von Schlangen, Skorpionen, Spinnen oder Fröschen soll den Gegner abschrecken, lähmen oder töten. Doch ihre toxischen Cocktails enthalten auch pharmakologisch wirksame Inhaltsstoffe.

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Bei den erfolgreichsten Tiergiften wirken die in ihnen enthaltenen wirksamen Bestandteile als Neuro- und Zytotoxin, die in niedriger Dosierung gegen Schmerzen, Krebs, Herzkrankheiten und Schlaganfälle helfen oder als Vorlage für die Entwicklung neuer Wirkstoffe dienen. Etwa 50 Medikamente sind auf Schlangengiftbasis weltweit bereits auf dem Markt.

Blutdruckersenker aus Schlangengift Das älteste Schlangengiftmedikament ist wohl Captopril, das einem Giftbaustein der brasilianischen Viper Bothrops jaracusa nachempfunden ist. Der blutdrucksenkende Arzneistoff ist der erste ACEHemmer, der bereits in den 1970er Jahren entwickelt wurde. Es folgten dann zum Beispiel Enalapril, Ramipril und weitere Wirkstoffe, die das Enzym im Renin-Angiotensin-System hemmen. Die Substanzen wirken blutdrucksenkend, helfen bei Herzschwäche und senken das Risiko, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden.

Vipern- und Klapperschlangen gegen Herzinfarkt Aus einem gerinnungshemmenden Eiweiß im Gift einer afrikanischen Viper Echis carinatus wurde Ende der 1990er Jahre der Wirkstoff Tirofiban entwickelt – der erste Vertreter einer neuen Generation von Antithrombotika mit dem Namen Glykoprotein-IIb/IIIa-Antagonisten. Weil sie die Thrombozytenaggregation verhindern, werden sie intravenös bei akuten Herzbeschwerden verabreicht, denn sie mindern so das Infarktrisiko. Wenig später folgte Eptifibatid, für den trotz identischer Wirkweise das Gift der Klapperschlange Sisturus miliarus barbouri als Vorlage diente.

Blutverdünner und Fibrinkleber Bei der Behandlung von Herzinfarkten oder Schlaganfällen sind Fibrinolytika interessant, weil sie Blutgerinnsel auflösen können. Viele Schlangengifte enthalten Fibrinogenabbauende Enzyme, die das Fibrinogen beziehungsweise das Fibrin zu Fragmenten abbauen, so dass daraus kein Fibrinnetzwerk entstehen kann. Inzwischen wird aus dem nordamerikanischen Kupferkopf Agkistrodon contortrix das Enzym Fibrolase in einer leicht modifizierten Form gentechnologisch als Alfimeprase hergestellt. Aus dem Gift der malaysischen Mokassin-Grubenotter Calloselasma rhodostoma wurde das Enzym Ancrod gewonnen, das blutverdünnend und gerinnungshemmend wirkt. Es kann die Auflösung von Blutgerinnseln in Gefäßsystemen fördern.

Aus Ancrod wurde ein Medikament entwickelt, das gegen Schlaganfälle eingesetzt wird. Auch das Enzym Batroxobin der brasilianischen Lanzenotter Bothrops moojeni verbessert die Durchblutung, indem es die Fibrinogen- und Antiplasminkonzentration im Blut senkt, eine fibrinolytische Reaktion auslöst und die Blutviskosität verringert. Beißt die Gewöhnliche Mamba zu, löst das im Beutetier Muskelkrämpfe aus, die zu Atemlähmungen bis hin zum Tod führen. Beim Menschen könnten die im Gift der Natter enthaltenen Dendrotoxine die Freisetzung von Acetylcholin verstärken und vielleicht in Zukunft gegen Alzheimer eingesetzt werden.

Spinnengift, Froschhaut und Echsenspeichel Nicht nur Schlangen kommen als Wirkstofflieferanten in Frage. Ein aus dem Gift der Roten Chile-Vogelspinne Grammostola rosea isoliertes Peptid scheint bei Herzrhythmusstörungen zu helfen. Auch der ecuadorianische Pfeilgiftfrosch Epipedobates tricolor sollte besser nicht geküsst werden. Der kleine Giftzwerg sondert über seine Haut ein Sekret namens Epibatidin ab – ein nikotinartiges, analgetisch wirksames Alkaloid, das die Wirkung des Morphins weit übertrifft. Seine hohe Toxizität und die damit verbundenen Nebenwirkungen wie etwa Blutdruckabfall und Krämpfe verhinderten deshalb seine medizinische Anwendung. Doch verschiedene Analoga mit geringerer Toxizität sind bereits synthetisiert worden, wie etwa das Tebaniclin . Auch das Polypeptid Exendin-4, das im Speichel der nordamerikanischen Gila- Krustenechse Heloderma suspectum vorkommt, führte mit dem Wirkstoff Exenatid zur Entwicklung eines neuartigen Antidiabetikums.

Bienenstich und spanische Fliege Vor allem in Salben wird Bienengift bei der Behandlung der rheumatoiden Arthritis, aber auch bei anderen Entzündungen und Krankheiten des Zentralnervensystems sowie zur Schmerzbekämpfung eingesetzt. Ihr Toxin besteht aus den drei Peptiden Melittin, Apamin und dem Mastzell-degranulierenden (MCD-) Peptid. Bekannt ist auch das Nervengift der Spanischen Fliege Lytta vesicatoria, die ein Käfer ist. Mit Cantharidin verfügt er über einen potenzsteigernden Inhaltsstoff, der jedoch des Guten zu viel auch tödlich sein kann. In kleinen Dosen verwendet, hilft es bei Nieren- und Blasenleiden, aber auch bei Verbrennungen.

Schweinethyroxin und Schweineinsulin Neben den synthetisch hergestellten Thyreostatika gibt es Schilddrüsenhormonpräparate, die aus getrockneten Schweineschilddrüsen hergestellt werden. Diese Mittel wurden zwischen 1880 und 1970 auch in Deutschland eingesetzt. Inzwischen sind sie hierzulande nicht mehr zugelassen, können aber nach ärztlicher Verordnung auf Privatrezept über internationale Apotheken bestellt werden. Ähnlich verhält es sich mit tierischen Insulinen, die in den 1980er Jahren weitgehend durch synthetisches Humaninsulin und Insulin-Analoga verdrängt wurden. Mit einem Privatrezept können Schweineinsuline über internationale Apotheken bezogen werden.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 04/11 ab Seite 89.

Dr. Kirsten Schuster, Medizinjournalistin

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