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Unsere Sinne

TASTSINN

Ihm verdanken wir unser Fingerspitzengefühl, mit ihm können wir die Welt „begreifen“. Unseren fünften Sinn nutzen wir im Alltag permanent und meist ohne darüber nachzudenken.

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Unsere Haut verfügt über zahlreiche Sinnesrezeptoren. Sie liefern uns Informationen über Reize ganz unterschiedlicher Art: über Berührungen, die so leicht sind, dass wir sie gerade eben noch so spüren, aber auch über solche, die so stark sind, dass sie Schmerzen verursachen. Uns geht es gut, wenn uns jemand zärtlich in den Arm nimmt und wir müssen lachen, wenn wir gekitzelt werden.

Auch wenn es nur indirekt mit dem Berührungssinn zu tun hat: Beim Anfassen eines Gegenstandes können wir fühlen, ob er kalt oder warm ist. Ist unser Tastsinn eingeschränkt, etwa infolge von Verletzungen oder Krankheiten, so kann dies Gefahren bergen. Denn Betroffene können dann schmerzhafte Verletzungen nicht mehr wahrnehmen und angemessen reagieren. Aber auch das Gegenteil ist möglich. Bei einer Allodynie lösen schon leichteste Berührungen heftige Schmerzen aus.

Sensorische Nervenzellen Dafür, dass wir unsere Umwelt spüren können, sind die peripheren sensorischen Neurone verantwortlich. Dies sind spezielle Nervenzellen, deren Zellkörper sich rechts und links von der Wirbelsäule in den Spinalganglien befinden. Von dort führt von jedem Neuron je ein Fortsatz in die Haut und einer ins zentrale Nervensystem.

Neurone, deren Zellkörper sich neben dem unteren Ende der Wirbelsäule befinden, innervieren nicht nur diesen Teil des Rumpfes, sondern auch die Beine – die Nervenfortsätze können also leicht über einen Meter lang sein! Entsprechend führen die Axone der Nervenzellen auf Höhe der Schultern auch bis in die Arme und Fingerspitzen. Über die Axonendigungen in der Haut wird der taktile Reiz aufgenommen, von dort zum Zellkörper und dann weiter ins Gehirn geleitet.

Tastkörperchen & Co. Mit den Fingerspitzen können wir ganz besonders gut tasten. Das liegt daran, dass dort die Dichte an mechanosensitiven Nervenendigungen sehr hoch ist. Anatomisch lassen sich unter dem Mikroskop in der Haut unterschiedliche Tastkörperchen erkennen: Meissner-, Vater-Pacini- und Ruffini-Körperchen sowie Merkel-Zellen. Sie liegen in unterschiedlich tiefen Hautschichten.

Durch ihre spezifischen Strukturen haben sie verschiedene Eigenschaften. So reagieren etwa Meissner-Körperchen auf feine Berührungen, Merkel-Zellen auf Druck und Vater- Pacini-Körperchen auf Vibration. Schließlich finden sich noch freie Nervenendigungen in der Haut – sie sind für das Schmerz- und Temperaturempfinden zuständig.

»Auch wenn man es auf den ersten Blick nicht vermuten würde, so haben Tast- und Hörsinn doch einiges gemeinsam.«

Zusätzlich sind die Schäfte der kleinen Härchen jeweils von einem sensorischen Neuron innerviert, sodass wir spüren, wenn die Härchen – etwa durch einen Lufthauch – umgebogen werden. Je nach Art des Reizes senden die aktivierten Rezeptoren Aktionspotenziale – die universellen elektrischen Impulse, mit denen Nervenzellen miteinander kommunizieren – zunächst zu ihrem Zellkörper und von dort weiter ins Gehirn.

Vom mechanischen Reiz zum Aktionspotenzial Doch wie kann eine Nervenzelle einen Berührungsreiz an ihrer Axonendigung „spüren“? Wie wird der mechanische Berührungsreiz in ein Aktionspotenzial umgewandelt? Forscher gehen davon aus, dass hier eine ganze Reihe von Molekülen beteiligt ist: Eine zentrale Rolle spielen Ionenkanäle in der Zellmembran der Nervenendigung. Diese scheinen einerseits innerhalb der Zellen über Verbindungsproteine am Zytoskelett befestigt zu sein. Andererseits sind sie auf der Außenseite der Zelle mit der extrazellulären Matrix verbunden.

Wird nun die Zellmembran durch einen mechanischen Reiz deformiert, so wird der Ionenkanal, da er innen und außen befestigt ist, quasi aufgezogen und Ionen (also geladene Teilchen) strömen hindurch. Dadurch ändert sich die Spannung über der Membran und es entsteht ein – elektrisches – Rezeptorpotenzial. Bei einer leichten Berührung strömen vergleichsweise wenige Ionen durch den Ionenkanal, es entsteht ein kleines Rezeptorpotenzial und es werden nur wenige Aktionspotenziale ausgelöst. Ein starker Reiz dagegen löst viele Aktionspotenziale aus.

Verzerrtes Bild des Körpers im Gehirn Über Nervenstränge im Rückenmark werden die Informationen über den Berührungsreiz als Aktionspotenziale ins Gehirn geleitet. Dort werden sie nach einer Verschaltung im Thalamus im somatosensorischen Kortex verarbeitet. Bei Reizung von bestimmten Stellen des Körpers werden ganz bestimmte Neurone im Kortex aktiviert, wobei immer nebeneinander liegende Körperstellen nebeneinander liegende Neurone aktivieren. Dadurch entsteht ein Abbild unseres Körpers im Gehirn.

Störungen des Tastsinnes
Sie treten meist als Folge von Verletzungen oder Krankheit auf. So kann etwa ein Diabetes zu einer Polyneuropathie führen, wobei die Nerven – auch die sensorischen – geschädigt werden. Bekannt ist der diabetische Fuß, bei dem die Betroffenen aufgrund der Nervenschädigung oftmals die Wunden zu spät oder gar nicht spüren. Bei einer Hyperalgesie werden schmerzhafte Reize stärker wahrgenommen als sie eigentlich sind; bei einer Allodynie werden sogar leichte Reize als schmerzhaft empfunden.

Weil die Rezeptordichte an unseren Händen und auch an den Lippen besonders hoch ist, nehmen diese im Abbild unseres Körpers einen proportional größeren Raum ein – das verzerrte Bild wird als Homunculus bezeichnet.

Schwerhörigkeit und verminderter Tastsinn Auch wenn man es auf den ersten Blick nicht vermuten würde, so haben Tast- und Hörsinn doch einiges gemeinsam: Denn die Schallwellen, die auf unser Ohr treffen, bringen letztendlich die Flüssigkeit in der Ohrschnecke zum Schwingen. Dies führt dazu, dass die Zilien auf den Sinneshärchen umgebogen werden. Dadurch öffnen sich, wie beim Tastsinn, Ionenkanäle in der Zellmembran.

Auch wenn die Wissenschaft sowohl beim Tastsinn als auch beim Hören allenfalls gerade erst beginnt, einige der beteiligten Moleküle zu identifizieren, so liegt doch die Vermutung nahe, dass es sich bei beiden Sinnen um ähnliche Moleküle handeln könnte. Deshalb haben Forscher den Tastsinn von Patienten mit Usher-Syndrom untersucht. Dies ist ein vererbte Form von Schwerhörigkeit, für die insgesamt neun beteiligte Gene bekannt sind.

Die Hypothese der Wissenschaftler hat sich – zumindest teilweise – bestätigt: Ihre Ergebnisse zeigten, dass Patienten mit einer Mutation in einem bestimmten der neun Gene nicht nur schlecht hören können, sondern auch einen nur schwach ausgeprägten Tastsinn haben. Welche Funktion allerdings das betroffene Molekül hat, ist noch unklar.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 03/14 ab Seite 76.

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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