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Körperzellen – Teil 1

SPEZIALISTEN AM WERK

Woher „weiß“ eigentlich die Sinneszelle des Riechepithels, dass es ihre Aufgabe ist, bestimmte Rezeptorproteine auszubilden, während sie sich beispielsweise niemals kontrahieren oder um die Abwehr von Fremdstoffen kümmern muss?

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Dass die Zellen der verschiedenen Gewebe und Organe genau so beschaffen sind und funktionieren, wie es deren Aufgabe erfordert, verdanken sie einem komplexen System fein abgestufter Steuerungsmechanismen. Schließlich gehen sämtliche Körperzellen eines Menschen aus einer einzigen Zelle, nämlich der befruchteten Eizelle, durch Teilung hervor. Damit enthält jede einzelne exakt dieselbe Erbinformation.

Das Rätsel, wie angesichts der gleichen Herkunft und identischen Genausstattung rund 200 in Form, Größe und Funktion unterschiedliche Zelltypen entstehen können, erklärt sich durch Vorgänge, die man als eine „intelligente Nutzung“ des Genoms, also der Gesamtheit der Gene, umschreiben könnte.

Schalter umgelegt Der Vorgang, bei dem ein Gen abgelesen und das kodierte Protein synthetisiert wird, ist die Genexpression. Nicht jedes Gen muss zu jeder Zeit abgelesen werden; vielmehr wird es je nach Situation, zum Beispiel dem Vorhandensein bestimmter Reize, angeschaltet. Da längst nicht jede vorhandene Anlage für jede Körperzelle gleichermaßen relevant ist, gibt es neben dieser bedarfsabhängigen Genexpression noch eine grundsätzlichere, meist irreversible Regulation, bei der das Genspektrum, auf das ausgereifte Körperzellen zugreifen können, beschränkt wird.

Eine einmal differenzierte Zelle kann dann nur noch gewebespezifische Proteine produzieren; ganze Programme für das betreffende Gewebe oder Organ „uninteressanter“ Gene werden inaktiviert. Aus Zellen, die sich ursprünglich in jede Richtung entwickeln können, werden so für ganz bestimmte Aufgaben spezialisierte.

Zuständigkeiten früh festgelegt Diese Spezialisierung beginnt bereits wenige Tage nach der Fusion von Ei- und Samenzelle unter dem Einfluss bestimmter Signalstoffe aus dem Zellplasma. Die verantwortlichen Faktoren sind innerhalb der befruchteten Eizelle nicht symmetrisch verteilt und werden auch an die Tochterzellen ungleich weitergegeben. Wechselwirkungen mit benachbarten Zellen geben weitere Impulse für den Differenzierungsweg.

Die „Alleskönner“ Am anderen Pol des Spezialisierungswegs stehen die Stammzellen: wenig oder gar nicht differenzierte Zellen, die sich unbegrenzt teilen und dabei zu unterschiedlichsten Zelltypen ausdifferenzieren können. Nur bis zum 8-Zellen-Stadium sind Zellen, die aus der befruchteten Eizelle hervorgehen, totipotent, das heißt, dass sich aus jeder einzelnen ein kompletter Organismus entwickeln kann.

Die embryonalen Stammzellen (ES) aus einem späteren Stadium der Entwicklung sind immer noch grundsätzlich fähig, sich zu sämtlichen verschiedenen Geweben des menschlichen Körpers zu entwickeln – mit Ausnahme der Plazenta; deshalb kann sich bereits in dieser Phase kein vollständiger Mensch mehr aus einer der Zellen entwickeln. Man bezeichnet diese Zellen als pluripotent. Die Tatsache, dass sie in vitro mit bestimmten stimulierenden Faktoren dazu gebracht werden können, sich gezielt in verschiedenste Gewebezellen zu differenzieren, erklärt das große Interesse der Forschung an diesen Zellen.

Experimente mit ES sind allerdings ethisch umstritten und unterliegen einer strengen rechtlichen Reglementierung, da für ihre Gewinnung Embryonen zerstört werden müssen. Auch im entwickelten Organismus gibt es noch Stammzellen, allerdings mit einem engeren Spektrum möglicher Differenzierungen: die so genannten adulten Stammzellen. Solche Zellen, die in der Lage sind, bei Bedarf (z. B. zur Reparatur zerstörten Gewebes oder zum Ersatz abgestorbener Zellen) für Nachschub neuer spezialisierter Zellen zu sorgen, finden sich unter anderem in der Nabelschnur, der Leber und der Haut. Ihre Tochterzellen können in der Regel nur verschiedene Zellarten eines bestimmten Gewebes ersetzen; diese Fähigkeit nennt man Multipotenz.

Ersatz für Erythrozyten & Co. Am besten erforscht und längst auch therapeutisch genutzt sind die hämatopoetischen (blutbildenden) Stammzellen im Knochenmark. Sie teilen und reproduzieren sich ständig. Dies ist wichtig, weil aus ihnen sämtliche Zellen des Blutsystems hervorgehen. Sind diese ausgereift, machen sie sich auf den Weg in die Gefäße, um dort die Blutzellen zu ersetzen, die alle nur eine begrenzte Lebensdauer haben.

Blutstammzellen werden seit langem zur Behandlung schwerer Formen von Leukämie, Lymphomen oder des multiplen Myeloms eingesetzt. Hierbei werden Zellen einer anderen Person übertragen (allogene Transplantation), das heißt, man benötigt einen geeigneten Spender. Etabliert ist die Stammzelltransplantation auch bei schweren Tumorerkrankungen, bei denen eine so genannte Hochdosischemotherapie erforderlich ist: Diese aggressive Behandlung zerstört im Endeffekt neben den Krebszellen auch den größten Teil des Knochenmarks, man sagt, sie wirkt myeloablativ.

Werden vorher patienteneigene Stammzellen entnommen, können diese nach der eigentlichen Krebstherapie wieder zurückgegeben werden (autologe Transplantation) und dann für den Wiederaufbau des blutbildenden Systems sorgen. Die Blutstammzellen können heute auch aus dem peripheren (zirkulierenden) Blut gewonnen werden, was weniger invasiv ist als die früher erforderliche Knochenmarkpunktion. Dem Spender müssen für eine ausreichende „Ausbeute“ allerdings zuvor hämatopoetische Wachstumsfaktoren verabreicht werden. Diese regen Stammzellen des Knochenmarks an, vermehrt ins Blut zu wandern (Mobilisation).

ZUSATZ-INFORMATIONEN
Stammzellen - Material der "unbegrenzten Möglichkeiten"?
Adulte Stammzellen sind möglicherweise geeignet, bei manchen Krankheiten die körpereigene Regeneration zu unterstützen. Auch auf dem Gebiet des Gewebe- oder gar Organersatzes erhofft man sich viel von den "Alleskönnern" - Stichwort: Tissue Engineering, also Gewebezüchtung mit kultivierten Zellen.

Vieles, was durch die Stammzellforschung in den Bereich des theoretisch Möglichen gerückt ist, befindet sich aber noch im experimentellen Stadium. Allzu euphorischen Berichten begegnet man derzeit besser mit kritischer Zurückhaltung, denn noch sind viele Sicherheitsaspekte nicht geklärt. So warnt etwa die Deutsche Gesellschaft für Neurologie aktuell vor teuren und nutzlosen Behandlungen der Parkinson-Krankheit mit Stammzellen, die bisweilen im Ausland angeboten werden. Diese Therapien seien zudem riskant, da es keine ausreichende wissenschaftliche Grundlage gebe.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 09/13 ab Seite 126.

Waltraud Paukstadt, Dipl. Biologin

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