Vater mit Kind © AntonioGuillem / iStock / Thinkstock
Betroffene Eltern können sich an entsprechende Beratungsstellen wenden. © AntonioGuillem / iStock / Thinkstock

Schütteltrauma

SCHÜTTELN TÖTET

Das Baby schrie und schrie und schrie. Schließlich verlor der Stiefvater des kleinen Tayler die Beherrschung: Er schüttelte das Kind so heftig, dass es ein Trauma erlitt und wenig später starb.

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Wer sich überfordert fühlt …

… mit seinem Säugling kann folgende kostenlose Beratungsangebote nutzen:
+ Elternberatung der bke
+ Nationales Zentrum Frühe Hilfen 
+ www.trostreich.de

Schreiambulanzen finden sich unter:
+ www.schreibaby.de

Eine kostenlose Telefon- und Online-Beratung für Eltern gibt es unter der „Nummer für Kummer“ 0800-1110550

So geschehen 2016 in Hamburg- Altona. Und die Geschichte ist beileibe kein Einzelfall: Dass ein Elternteil sein Kind aus schierer Überforderung heftig schüttelt, passiert sehr häufig – rund 200mal im Jahr mit Todesfolge. 20 Prozent aller geschüttelten kleinen Kinder sterben, 66 Prozent leben schwerstbehindert weiter. Und die Dunkelziffer ist naturgemäß hoch. 

Verheerende Schäden Und das passiert beim Schütteln eines Kindes: Wer einen Säugling am Rumpf packt und auch nur wenige Male kräftig hin und her schüttelt, verursacht mit großer Wahrscheinlichkeit ein Schütteltrauma-Syndrom. Denn dabei wird der Kopf des Kindes in eine heftige unkontrollierte rotierende Bewegung versetzt. Die entstehenden Scher- und Rotationskräfte wirken besonders stark und verheerend, da das Gehirn des Säuglings und die umgebenden Strukturen noch besonders zart und verletzlich sind.

„Außerdem hat ein Säugling aufgrund seiner noch schwachen Nackenmuskulatur kaum Kontrolle über seinen Kopf. Daher fliegt der Kopf ungebremst hin und her“, erklärt der Neuropathologe und Privatdozent Dr. med. Jakob Matschke vom Universitätsklinikum Hamburg- Eppendorf (UKE). Durch Scher- und Zugkräfte können Blutgefäße einreißen, was zu Blutungen im Schädelinneren und Netzhautblutungen führt. Auch Nervenfasern werden geschädigt; überlebenden Kindern drohen nicht nur lebenslang Seh- und Sprachstörungen, sondern auch motorische Störungen. Lebensbedrohlich sind die Schädigungen des Hirngewebes.

Durch das gewaltsame Überstrecken des Halses kann der Hirnstamm geschädigt werden. In dieser Region befindet sich das Herz-Kreislaufund Atemzentrum. Kommt es hier zu Schädigungen, erleiden die Opfer einen Herz-Kreislauf- oder einen Atemstillstand. Durch den Sauerstoffmangel sterben zudem in kürzester Zeit zahllose Hirnzellen ab. Bildgebende Verfahren offenbaren die Spuren des Sauerstoffmangels – das Gehirn sieht dann im Spätstadium wie eine Walnuss aus.

Alle Gesellschaftsschichten betroffen Die API Kinder- und Jugendstiftung hat nun eine Kampagne namens #schüttelntötet ins Leben gerufen. Bundesweit ging sie Ende des letzten Jahres mit Plakaten sowie einer Online- und Kinokampagne an die Öffentlichkeit. Ziel dabei: Das tödliche Schütteltrauma bei Säuglingen und Kleinkindern zu verhindern. Denn: Kindesmisshandlungen gibt es in allen Bevölkerungsschichten, auch gebildete Menschen können die Nerven verlieren und ihr Kind grob schütteln.

„Gewalt gegen Kinder ist eine chronische Krankheit, die über Generationen weitergegeben wird. Man spricht auch von einem Kreislauf der Gewalt“, sagt Professor Dr. Klaus Püschel, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin am UKE. Dabei ist ein Trend erkennbar: „Nach Untersuchungen in verschiedenen Ländern stellen insbesondere Stiefväter im Vergleich zu leiblichen Vätern ein mehrfach erhöhtes statistisches Risiko für eine Verletzung oder gar Tötung eines Kindes dar“, sagte der Wiener Evolutionsforscher Professor Harald Euler. Aber auch Mütter, die mit der Erziehung überfordert sind, begehen diese schwere Straftat und schütteln ihr eigenes Kind.

Da Kinder- und Jugendärzte sowie Rechtsmediziner immer wieder erleben, dass die Täter ihre Tat nicht zugeben, gibt es mittlerweile zuverlässige Verfahren, um ein solches Schütteltrauma zu entdecken: Am UKE werden alle Kinder, die eine verdächtige neurologische Symptomatik zeigen, mit bildgebenden Verfahren wie Magnetresonanztomografie (MRT) und Computertomografie (CT) untersucht. Augenärztliche Untersuchungen erhärten zudem die Diagnose. Dabei lässt die Kombination dreier typischer Leitsymptome keinen Zweifel an einem Schütteltrauma: Blutungen unter der harten Hirnhaut, Netzhautblutungen sowie diffuse Hirnschäden schließen eine andere Ursache beispielsweise durch einen Sturz aus und verweisen auf grobes Schütteln.

Es ist völlig normal, dass in den ersten Lebensmonaten auch gesunde Säuglinge zwei bis drei Stunden täglich weinen.


Die Schreiphase des Säuglings
Wie kommt es, dass manche Eltern derart die Beherrschung verlieren? Tatsache ist, dass exzessives Schreien des Babys von manchen Betreuern als starke Belastungen erlebt wird. Oft wissen Eltern auch nicht, dass es im ersten Lebensjahr eines Babys eine besondere Schreiphase gibt; in dieser Zeit lernt der Säugling in einem Anpassungs- und Reifungsprozess und mit der Unterstützung seiner Betreuungspersonen Schlaf- und Wachzustände, Hunger und Sättigung zu regulieren.

Es ist also völlig normal, dass in den ersten Monaten auch gesunde Säuglinge im Durchschnitt zwei bis drei Stunden täglich weinen, vor allem in den Abendstunden. Dabei kann sich die Anspannung und Erregung der Eltern auf das Kind übertragen – mit der Folge, dass das Kind noch mehr schreit. Ein Teufelskreis entsteht.

Alles ist besser als ein Kind zu schütteln Die API-Werbekampagne zeigt, begleitet von einem fröhlichen Kinderlied, Bilder einer teilzerstörten Wohnung mit zersplittertem Fernseher, einer gebrochenen Computertastatur bis hin zum vollen Aschenbecher auf dem Balkon. Das hinterlässt beim Betrachter das Gefühl: Fast wäre hier etwas Schlimmes passiert.

Das Kinderkompetenzzentrum am UKE gibt dazu folgende Tipps: Das Wichtigste an einer Überforderungssituation mit einem schreienden Baby ist es, sich erst einmal dessen bewusst zu werden. Um den Kopf frei zu bekommen, kann man das Baby jemand Drittes überlassen. Dabei ist es im Vorfeld bereits ratsam, sich in der Betreuung mit dem Partner oder anderen vertrauten Personen abzuwechseln. Je ruhiger die Eltern bleiben, desto eher kann sich auch das Kind entspannen.

Es gibt Hilfe Darüber hinaus können Eltern sich an die entsprechenden Beratungsstellen wenden (siehe Kasten), um an den eigenen Ressourcen zu arbeiten und zu lernen, das Kind beruhigen beziehungsweise solche Situationen besser ertragen zu können. „In Situationen von Wut und Verzweiflung“, erklärt die Kinderärztin Dr. Katrin Fiebiger, „ermutigen wir Eltern dazu, ihr Kind in sein Bett oder seinen Kinderwagen zu legen und einfach mal schnell und kurz die Wohnung zu verlassen. Es ist dabei wichtig, dass die jeweilige betreuende Person sich dem Geräusch nicht mehr länger machtlos ausgeliefert fühlt und diese das Schreien einfach mal kurz nicht mehr hört.“

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 03/18 ab Seite 84.

Alexandra Regner, PTA/Redaktion

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 03/18 ab Seite 84.

Alexandra Regner, PTA/Redaktion

Es ist völlig normal, dass in den ersten Lebensmonaten auch gesunde Säuglinge zwei bis drei Stunden täglich weinen.

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