© Fernando Gregory / 123rf.com
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Kino – schon gesehen?

SCHMETTERLING UND TAUCHERGLOCKE

Die Filmbiografie aus dem Jahr 2007 von Regisseur Julian Schnabel thematisiert das Locked-in-Syndrom – eine Krankheit, bei der Patienten zwar bei Bewusstsein sind, jedoch körperlich gelähmt und unfähig, sich zu verständigen.

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Die Story ist unglaublich, aber wahr. Im Alter von 43 Jahren erleidet der Journalist Jean-Dominique Bauby einen Schlaganfall und versinkt in ein tiefes Koma. Als er drei Wochen später in einem Krankenhaus erwacht, wird ihm klar, dass er zwar bei vollem Bewusstsein ist, allerdings kommunikationsunfähig und paralysiert.

Die Ärzte erklären ihm, dass in seinem Gehirn der motorische Bereich geschädigt ist, sodass seine Muskulatur ihm nicht mehr gehorcht. Auch wenn er alles um sich herum mitbekommt und geistig klar ist, kann er dennoch nur sein linkes Augenlid bewegen. Er leidet am Locked-in-Syndrom.

Lebendig begraben Das wilde Zucken seines Augenlids dient schließlich dazu, Baubys Kommunikationsmittel zu werden. Mit der Logopädin Henriette Durand (Marie-Josée Croze) lernt er, sich verständlich zu machen. Sie entwickelt eine Tafel, auf der Buchstaben nach ihrer Häufigkeit in der französischen Sprache aufgelistet sind. Durand liest diese vor und der Patient blinzelt immer dann, wenn sie das richtige alphabethische Zeichen nennt.

Zunächst weigert sich Bauby jedoch zu kommunizieren. Er fühlt sich wie ein Gefangener in seinem Körper und möchte einfach nur sterben. Die Betreuer geben nicht auf. Marie Lopez (Olatz Lopez Garmendia), die Physiotherapeutin, übt mit ihm Bewegungen der Zunge und der Lippen, um ihm das Sprechen wieder zu ermöglichen. Zu mehr als Grunzlauten kommt es jedoch im weiteren Verlauf nicht. Trotzdem bewirken die Therapeutinnen, zu denen er sich hingezogen fühlt, dass er sich mit seiner Situation versöhnt und eine neue Lebenseinstellung einnimmt.

Frei wie ein Schmetterling Bauby begreift, dass ihm mit seiner verbliebenen Kreativität, seiner Erinnerung und seiner geistigen Fitness Möglichkeiten offen stehen. Er beschließt, eine Biografie zu schreiben – ein Buch, in dem er den Menschen mitteilt, wie er sich in seiner „Taucherglocke“ fühlt. Monatelang diktiert er seiner Lektorin Claude Medibil (Anne Consigny) Buchstabe für Buchstabe seiner Geschichte.

Überblick
In unserer Serie „Kino – Schon gesehen?“ stellen wir Ihnen demnächst folgende verfilmte Krankheitsthemen vor:
+ Ob ihr wollt oder nicht (Krebs)
+ Das Meer in mir (Tetraplegie)
+ Wie ein einziger Tag (Alzheimer)
+ Die Kameliendame (Lungen-TB)
+ Helen (Depression)
+ A Beautiful Mind (Schizophrenie)

Dabei reflektiert er sein vorheriges Leben und denkt über Menschen nach, die ihm wichtig waren: sein alter Vater, der ihn nicht mehr besuchen kommt, da er es körperlich nicht schafft, oder Céline Desmoulins (Emmanuelle Seigner), die Mutter seiner drei Kinder. Obwohl er sie verlassen hat, schaut sie mit den Kindern noch bei ihm vorbei. Seine Geliebte hingegen lässt ihm mitteilen, dass sie ihn so nicht mehr sehen möchte, um ihn in guter Erinnerung zu behalten.

Bauby resümiert, dass er zwar Erfolg im Leben gehabt hatte, jedoch kein liebenswerter Mensch war. Nach langer Mühe schafft er es, sein Buch zu Ende zu bringen. Der Film endet mit der Einblendung folgender Worte: „Jean-Dominique Bauby starb am 9. März 1997, zehn Tage nach Erscheinen seines Buches.“

Vom Schlag getroffen Dominique Bauby erlitt während einer Autofahrt einen Hirnschlag. Dabei handelt es sich um eine plötzlich eintretende Durchblutungsstörung im Gehirn. Die betroffenen Bereiche werden nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt, sodass das Gehirngewebe abstirbt. Ursachen dafür sind Gefäßverschlüsse (ischämischer Infarkt) oder Hirnblutungen (z. B. nach Riss eines arteriellen Blutgefäßes, bei Hypertonie und Ateriosklerose). Letzteren Vorfall bezeichnet man als hämorrhagischen Schlaganfall.

Die klinische Symptomatik des Apoplex hängt stark von der Ausprägung und Lokalisation des entsprechenden Areals ab. Häufig kommt es zu Lähmungen, Seh- und Sprachstörungen. Um die Folgen möglichst gering zu halten, müssen Patienten umgehend behandelt werden. Für Bauby ging das Ereignis mit gravierenden Konsequenzen einher.

Gefangen im Kopf Der Journalist leidet seit dem Schlaganfall unter dem Locked-in-Syndrom (LiS). Übersetzt bedeutet dies Eingeschlossensein-Syndrom. Betroffene befinden sich bei vollem Bewusstsein, sind körperlich jedoch so gut wie vollständig gelähmt. Sie sind weder in der Lage durch Bewegungen noch durch Sprache zu kommunizieren.

filmplakatWie im Filmbeispiel bleibt in einigen Fällen die Augenbeweglichkeit erhalten, die man als Verständigungsmöglichkeit nutzen kann. Mangelt es selbst an dieser Option, bleibt der Einsatz des so genannten Brain-Computer-Interfaces, eine Gehirn-Computer-Schnittstelle, die eine Verbindung zwischen Computer und Gehirn schafft.

Nicht zu verwechseln ist der Zustand mit dem Wachkoma, denn beim Locked-in-Syndrom sind die Personen aufnahmefähig und können in ihrer Umwelt alles hören und verstehen. Ursache für die neurologische Störung sind Läsionen in bestimmten Abschnitten des Gehirns. Diese findet man im Pons (lateinisch für Brücke), im Mittelhirn oder in den Nervenfasern, die zur Großhirnrinde aufsteigen oder von dieser absteigen (Capsula interna).

Die Schädigungen kommen meist durch eine Thrombose in der Arteria basilaris, der Schlagader, die das Gehirn mit Blut versorgt, zustande. Doch auch non-vaskuläre Auslöser kommen in Betracht (Schädel-Hirn-Trauma, zentrale pontine Myelinolyse, pontiner Tumor, Entzündungen). Charakteristisch ist, dass Geplagte nur zu vertikalen Augen- und Lidbewegungen fähig sind. Die horizontale Blickbewegung funktioniert nicht.

Grund dafür ist die unterschiedliche Lokalisation der Steuerung. Während die horizontalen Augenwendungen vom geschädigten pontinem Niveau aktiviert würden, geschieht die vertikale Regulation vom Mittelhirn aus. Um den Befund LiS sicher zu stellen, ist eine langfristige, präzise Verlaufsbeobachtung nötig. Desweiteren liefern insbesondere EEG-Untersuchungen Aufschluss. Das Elektroenzephalogramm (EEG) zeichnet hirnelektrische Prozesse an der Schädeloberfläche auf.

Hilfreich ist ein solches Verfahren unter anderem bei Durchblutungsstörungen, welche für einen Apoplex verantwortlich sein können. Man unterscheidet im EEG die Spontan- und die evozierte Aktivität. Erstere zeigt sich als konstante, messbare Spannungsschwankung. Die zweite Form tritt nur in Verbindung mit „Ereignissen“ (z. B. Reizen) auf. Ferner lässt sich das EEG in Frequenzbänder einteilen, die Auskunft über verschiedene Wachheitsgrade geben. Die Auswertung erfolgt schließlich über die Interpretation der entstandenen EEG-Muster.

Therapie Zunächst sind Maßnahmen zu treffen, die der Behandlung eines Schlaganfalls entsprechen. Steht die Diagnose, sollte man für die Patienten so schnell wie möglich Wege zur Interaktion mit anderen Menschen finden. Dazu eignen sich Buchstabentafeln (siehe Film) und spezielle Methoden per Computer. Auch mit Physio- und Ergotherapie sowie Logopädie konnten Erfolge erzielt werden.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 06/13 ab Seite 90.

Martina Görz, PTA und Fachjournalistin (FJS)

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