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Unsere Sinne

SCHMECKEN

Wie unser Geschmackssinn funktioniert, ist bislang nur teilweise erforscht. Sicher ist: Nicht nur das Auge isst mit – auch Geruchssinn und sogar Schmerzrezeptoren sind beteiligt.

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Der Lehrmeinung zufolge können wir mit den Geschmacksrezeptoren auf unserer Zunge fünf verchiedene Geschmacksrichtungen erkennen – süß, salzig, sauer, bitter und „umami“ . Neueren Erkenntnissen aus der Forschung zufolge gibt es vermutlich außerdem noch einen sechsten Rezeptor für die Qualität „fettig“. Im englischen Sprachraum bezeichnen Wissenschaftler das, was wir mit diesen Rezeptoren schmecken können, mit dem Wort „taste“.

Aber damit allein wären Geschmackserlebnisse wie ein wunderbarer Erdbeerkuchen, ein delikates Fischfilet oder ein höllisch scharfes Chili con Carne nicht erklärbar. Diese Wahrnehmungen entstehen erst im Gehirn, wenn zu den Informationen, die die Rezeptoren auf der Zunge liefern, auch die Informationen des Geruchssinnes und des Auges sowie des Tastsinnes über die Konsistenz hinzukommen. Nicht zu vergessen die Schmerzrezeptoren.

All dies zusammen ergibt erst den „flavour“. Dass dies nicht dasselbe ist wie „taste“, kann man sich leicht veranschaulichen: „Taste“ ist in etwa das, was man noch schmecken kann, wenn man eine dicke Erkältung hat. Die Geschmacksrezeptoren arbeiten noch normal, aber die Geruchsrezeptoren sind durch den Infekt beeinträchtigt.

Die Anatomie Doch wie entsteht eine Geschmackswahrnehmung? Die Geschmacksrezeptoren befinden sich auf den Rezeptorzellen. Von diesen finden sich etwa 50 bis 150 Stück in einer Geschmacksknospe, die wiederum in den Geschmackspapillen auf der Zunge lokalisiert sind. Anders als früher gedacht, gibt es aber keine bestimmten Bereiche der Zunge, die für die Erkennung bestimmter Geschmacksrichtungen verantwortlich wären. Im Gegenteil: Pro Rezeptorzelle kommen zwar nur Rezeptoren für eine der fünf beziehungsweise sechs Geschmacksrichtungen vor. Aber innerhalb einer Geschmacksknospe und -papille sind die Zellen bunt gemischt.

Rezeptoren für süß, umami und bitter Vergleichsweise gut erforscht ist Ersterer: Dieses Protein besteht aus zwei Teilen (Untereinheiten) und besitzt eine ganze Reihe von Bindestellen für unterschiedliche, süß schmeckende Stoffe. Auch für den Geschmack „umami“ gibt es einen Rezeptor, der ebenfalls aus zwei Untereinheiten besteht. Wesentlich komplizierter sieht es bei den Bitterrezeptoren aus – davon gibt es nämlich mehr als 25 Stück. Manche können nur bestimmte Bitterstoffe binden, andere viele verschiedene. Vielleicht hat dies, so vermuten Wissenschaftler, damit zu tun, dass giftige Pflanzen oftmals bitter schmecken.

Für unsere Vorfahren war es deshalb wahrscheinlich wichtig, hier genau unterschieden zu können. Eine Gemeinsamkeit haben die drei Geschmacksrichtungen: Die Bindung an den jeweiligen Rezeptor setzt eine Signaltransduktionskaskade in Gang, an der eine ganze Kette von Proteinen beteiligt ist. Letztendlich führt sie dazu, dass die Rezeptorzelle Botenstoffe ausschüttet. Diese werden von den Endigungen der Nervenzellen, die Rezeptorzellen innervieren, aufgenommen. Die Folge: Die Nervenzellen bilden Aktionspotenziale und transportieren so die Information über die Bindung eines Geschmacksstoffes ins Gehirn.

Sauer und salzig Die Aktivierung der Rezeptoren für salzig und sauer führt schlussendlich ebenfalls zu einer Ausschüttung von Botenstoffen, die die innervierenden Nervenzellen aktivieren. Allerdings geschieht dies über einen anderen Mechanismus: Salzige und saure Speisen führen zu einer Öffnung von Ionenkanälen in der Zellmembran der Rezeptorzelle.

Leitung ins Gehirn Wie genau die Informationen ins zentrale Nervensystem übertragen werden, darüber gibt es zwei Theorien: Die Labeled-Line-Theorie besagt, dass die Informationen einer einzelnen Rezeptorzelle genau zu einer Zelle im Gehirn übertragen werden. Erst in den höheren Verarbeitungszentren dort werden die Informationen von Rezeptorzellen mit unterschiedlichen Geschmacksrezeptoren zusammen geführt und verrechnet.

Die Across-Fibre-Theorie dagegen geht davon aus, dass eine Nervenzelle im Gehirn Input von unterschiedlichen Rezeptorzellen bekommt. Sicher ist, dass die erste Verschaltung auf dem Weg ins Großhirn im Hirnstamm stattfindet – hier wird beispielsweise direkt der Würgereflex ausgelöst, falls unser Körper ein Nahrungsmittel für ungenießbar hält. Die zweite Schaltstation liegt, wie bei fast allen Sinnen, im Thalamus. Von hier gelangen die Informationen in den Kortex. Dort erfolgt auch die Verarbeitung mit den anderen Sinneseindrücken wie dem Sehen.

GESCHMACKSVERWIRRUNG
Absichtlich dem Geschmack einen Streich spielen kann man mit der tropischen Wunderbeere (Synsepalum dulcificum): Zerkaut man sie langsam im Mund, so schmeckt anschließend für ein paar Stunden alles Saure angenehm süß.

Denn das Auge isst mit: Oder können Sie sich vorstellen, dass blauer Nudelsalat lecker schmeckt? Sogar das Hören spielt beim Schmecken eine Rolle: Deshalb beschäftigen manche große Lebensmittelhersteller heute Mitarbeiter, die dafür zuständig sind, dass Chips beim Abbeißen das perfekte Geräusch machen.

Auch der Geruchssinn ist für den Geschmack unerlässlich: Während wir ihn während des Einatmens zum Riechen benutzen, trägt er beim Ausatmen – wenn während des Kauens die Duftmoleküle aus dem Mund und Rachen quasi rückwärts am Riechepithel vorbeiströmen – entscheidend zum Geschmackssinn bei. Und die Schmerzrezeptoren: Wenn wir etwas als scharf empfinden, ist daran nicht die Aktivierung eines Geschmacksrezeptors, sondern die Aktivierung von Temperatur- und Schmerzrezeptoren auf der Zunge Schuld.

ZUSATZINFORMATIONEN
Beeinträchtigungen des Geschmackssinnes können ihre Ursache in der Schädigung der Geschmacksknospen haben, etwa durch eine Strahlentherapie zur Behandlung von Kopf-Hals-Tumoren. Auch Medikamente, darunter Zytostatika, können die Geschmacksknospen (zer)stören. Daneben kommen Infekte sowie verschiedene Erkrankungen als Ursache infrage. Außerdem kann die Weiterleitung und Verarbeitung der Signale im Gehirn beeinträchtigt sein, etwa aufgrund von Tumoren, Verletzungen oder neurodegenerativen Erkrankungen. Die Behandlung der Geschmacksstörung richtet sich nach ihrer Ursache.

Dass mit einem Verlust des Geschmackssinnes die Lebensqualität leidet, versteht sich von selbst. Zudem fehlt Betroffenen eine wichtige Warnfunktion ihres Körpers, weil sie giftige oder verdorbene Nahrungsmittel möglicherweise nicht als solche erkennen können.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 06/14 ab Seite 104.

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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