Mauerreste der bronzezeitlichen Bastion Nuraghe La Prisgiona© Photon-Photos / iStock / Getty Images Plus
Bronzezeitliche Anlagen sind längst zu Ruinen zerfallen, doch wir tragen heute noch die gleichen Risikogene wie die Bewohner ihrer Zeit.

Risikogene

HIRTENVOLK DER BRONZEZEIT HAT UNS KRANKHEITEN VERERBT

Wissenschaftler haben die bisher größte Datenbank alter Genome zusammengestellt. Das liefert nicht nur Einblicke in die Völkerwanderungen – sondern erlaubt auch einzigartige Einblicke in die Ursprünge moderner Krankheiten, zum Beispiel Multipler Sklerose.

Seite 1/1 2 Minuten

Seite 1/1 2 Minuten

Drei große Migrationsbewegungen gab es in der Vergangenheit: Vor rund 45 000 Jahren kamen die ersten Jäger und Sammler nach Europa. Neolithische Bauern aus dem Nahen Osten verdrängten sie vor 11 000 Jahren weitestgehend. Und dann kamen die nomadisch lebenden Schaf- und Rinderhirten aus der Steppe im Bereich des Schwarzen und Kaspischen Meeres. Diese wanderten vor etwa 5000 Jahren nach Ost- und Nordeuropa ein.

Sie alle sind also quasi unsere Vorfahren; ihr Erbe zeigt sich bis heute zu unterschiedlichen Anteilen in unseren Genomen. Woher welche Gene stammen und wie sie sich auswirken, war allerdings bisher nur in Ansätzen erforscht.

Gene unserer Vorfahren tragen wir noch heute

Eske Willerslev von der University of Cambridge wollte das ändern. So etwas gab es noch nie vorher: Aus der DNA von mehr als 1600 Menschen stellte sein Team die bisher größte Datenbank alter Genome zusammen. Die Forscher verglichen die alten menschlichen Genome darüber hinaus mit denen moderner Menschen.

Diese Vorgehensweise ermöglicht nicht nur, die Abstammungslinien der heutigen westeurasischen Bevölkerung bis weit in die Vergangenheit zu verfolgen. Sie gibt darüber hinaus Aufschlüsse über die Ursprünge vieler heutiger Merkmale – von der Körpergröße bis hin zur Anfälligkeit für bestimmte Krankheiten.

Hirten schützten sich mit MS-Gen vor Infektionen

Und man fand folgendes heraus: Warum nämlich Menschen nordeuropäischer Abstammung ein deutlich höheres Risiko haben, an multipler Sklerose zu erkranken als Menschen aus anderen Teilen der Welt. Der Blick auf die Jamnaja-Hirten vom Kaspischen Meer zeigt: Schon bei ihnen kam das Risikogen für diese neurodegenerative Autoimmunerkrankung vor, als sie hierzulande einwanderten.

Doch warum hat sich über die Evolution das MS-Risikogen so weit verbreitet; warum war es geradezu ein Überlebensvorteil? Die Forschenden vermuten, dass die entsprechenden Genvarianten dafür sorgten, dass das Immunsystem der Hirten besser gegen Infektionen gewappnet war, die von Rindern und Schafen auf Menschen übertragen werden können. „Das bedeutet, dass wir jetzt versuchen können, MS als das zu verstehen und zu behandeln, was sie tatsächlich ist: das Ergebnis einer genetischen Anpassung an bestimmte Umweltbedingungen, die in unserer Vorgeschichte auftraten“, sagt Co-Autor Lars Fugger von der Oxford-University.

Körpergröße, Diabetes, Alzheimer

Das Forscherteam ist weiteren neurologischen Erkrankungen auf der Spur. So stellten sie ebenfalls fest, dass sich Genvarianten, die das Risiko für Alzheimer oder Typ-2-Diabetes erhöhen, bis auf die frühen Jäger und Sammler zurückverfolgen lassen. Am stärksten ist dieses genetische Erbe heute im Erbgut osteuropäischer Menschen verbreitet.

Auch Merkmale, die nicht mit Krankheiten in Verbindung stehen, lassen sich auf unsere Vorfahren zurückführen. So haben die Nordeuropäer von den Jamnaja nicht nur MS geerbt, sondern auch Gene für die Körpergröße – was erklärt, warum Nordeuropäer durchschnittlich größer sind als Südeuropäer. „Die Lebensweise der Menschen in der eurasischen Region in den letzten 10 000 Jahren hat zu einem genetischen Erbe geführt, das sich auf ihre heutigen Nachkommen auswirkt, und zwar sowohl in Bezug auf ihr körperliches Erscheinungsbild als auch auf ihr Risiko, an einer Reihe von Krankheiten zu erkranken“, fasst ein an der Studie beteiligter Wissenschaftler zusammen. 

Quelle: wissenschaft.de

×