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Update Tinnitus

RINGRING!

Chronische Ohrgeräusche sind weit verbreitet und können die Lebensqualität der Betroffenen erheblich einschränken. Mit der Erforschung der Ursachen steigt die Zahl der Behandlungsansätze.

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Es muss kein Klingeln sein. Ohrgeräusche können sich beispielsweise auch als Rauschen, Pfeifen, Summen, Sirren oder Klirren äußern. Allen gemeinsam ist, dass immer nur der vom Tinnitus Betroffene sie hören kann, also kein äußerer akustischer Stimulus existiert. Heute gilt als weithin akzeptiert, dass dem Auftreten eines Ohrgeräusches regelmäßig eine Hörminderung durch eine Schädigung im Innenohr vorausgeht. Bei dem Versuch des Gehirns, diese zu kompensieren – so eine mögliche Erklärung – entstehen Phantomgeräusche.

Ein ähnliches Modell besagt, dass bei einem Ausfall von bestimmten Frequenzen im Innenohr deren Nachbarbereiche in ihrer Aktivität nicht mehr gehemmt werden, wie es normalerweise geschieht. Diese Übererregung wird dann als Tinnitus wahrgenommen. Unbestritten ist, dass Ohrgeräusche häufig sind: Etwa jeder Siebte bis Zehnte hier zu Lande kennt sie. Die allermeisten Betroffenen können – mehr oder weniger gut – damit leben, aber jeder Hundertste fühlt sich erheblich belastet.

Subjektiv versus objektiv Prinzipiell unterscheidet man zwischen einem objektiven und einem subjektiven Tinnitus. Dabei ist Ersterer weitaus seltener und kann auf eine Geräuschquelle im Körper zurückgeführt werden, zum Beispiel eine Verengung eines Gefäßes in Ohrnähe oder einen Krampf eines Mittelohrmuskels. In diesen Fällen ist eine kausale Therapie möglich, indem die Ursache behandelt wird. Von einem subjektiven Tinnitus spricht man, wenn keine Schallquelle als Ursache für die wahrgenommenen Geräusche vorhanden ist.

Bei manchen Patienten lässt sich der Tinnitus auf Beschwerden an der Halswirbelsäule oder am Kiefergelenk zurückführen. Besonders, wenn sich das Geräusch durch Bewegungen der Halswirbelsäule oder des Kiefergelenks modulieren lässt, ist ein solcher Zusammenhang wahrscheinlich. Ein Tinnitus kann zudem nach einem Schädel-Hirn-Trauma auftreten. In seltenen Fällen kann er von einem Akustikusneurinom, einer Form von Hirntumor, verursacht werden. Auch bei der Menière-Krankheit sind Ohrgeräusche möglich. In allen diesen Fällen sind die zugrundeliegenden Beschwerden zu behandeln, um eine Linderung zu erreichen.

Hörminderung Viel häufiger jedoch tritt ein Tinnitus gemeinsam mit einem Hörsturz auf. Darunter versteht man eine meist einseitige, plötzliche Hörminderung bis hin zum -verlust in einem bestimmten Frequenzbereich. Allerdings führt nicht jeder Hörsturz automatisch zu einem Tinnitus und andersherum kann dieser auch ohne Hörsturz auftreten. Zudem kann Lärm die Ohren schädigen und so zu einen Tinnitus bedingen. Da wir einer zunehmenden Lärmbelastung ausgesetzt sind, gehen manche Experten davon aus, dass die Zahl der Betroffenen steigen wird.

Bekannt ist auch, dass manche Medikamente wie Aminoglykosid-Antibiotika oder Chemotherapeutika ototoxisch sind und damit zu einem Tinnitus führen können. Schließlich gibt die Mehrzahl der Schwerhörigen an, auch ein Ohrgeräusch zu haben. Zwar ist die Ursache des Tinnitus häufig im Ausfall von Strukturen im Innenohr zu suchen. Dadurch bedingt aber kommt es zu Veränderungen entlang der gesamten auditorischen Bahn – das Ohrgeräusch entsteht also letztendlich im Gehirn. Es werden veränderte Verbindungen zu Hirnarealen außerhalb der Hörrinde beobachtet. Dies gilt vor allem, wenn der Tinnitus bereits chronisch ist, also länger als drei Monate besteht.

Behandlung Ist der Tinnitus neu aufgetreten, etwa im Rahmen eines Hörsturzes, so sollte dieser umgehend ärztlich behandelt werden. Vielfach verschwindet dann auch das Ohrgeräusch wieder. Handelt es sich um einen chronischen Tinnitus, so ist für die Behandlung wichtig, wie stark sich der Betroffene durch das Ohrgeräusch beeinträchtigt fühlt. Das ist erfahrungsgemäß unabhängig von der Art des Geräusches, der Tonhöhe und auch von der Lautstärke.

Während es manchen Menschen gelingt, auch mit einem deutlichen Tinnitus gut zu leben, leiden andere bereits erheblich unter eher geringen Ohrgeräuschen. Kommen dann noch Schlaf-, Konzentrationsstörungen, Angstzustände oder Depressionen dazu, so ist die Lebensqualität nicht nur im privaten Bereich massiv eingeschränkt, sondern auch die Leistungsfähigkeit im Beruf leidet stark. In diesen Fällen sprechen Ärzte auch von einem „dekompensierten Tinnitus“.

HUHN ODER EI?
Zwischen Stress und Tinnitus scheinen mehrere Zusammenhänge zu bestehen: Einerseits führt ein Teil der Betroffenen ihren Tinnitus auf Stress zurück, andererseits spielt Stress auch bei der Aufrechterhaltung des Ohrgeräusches vermutlich eine Rolle. Schließlich kann der Tinnitus selbst Stress auslösen und zu einer Verschlechterung führen. Nicht immer muss ein Tinnitus mit einer Hörminderung einhergehen. So leidet ein Teil der Betroffenen stattdessen zusätzlich an einer Hyperakusis, also einer Überempfindlichkeit gegenüber Geräuschen.

In der Regel ist es bislang nicht möglich, das Ohrgeräusch zum Verschwinden zu bringen. Deshalb zielt die Behandlung vor allem darauf ab, dass die Betroffenen lernen, ihm weniger Aufmerksamkeit zu schenken und so mit ihm zu leben. Am besten belegt ist die Wirksamkeit der kognitiven Verhaltenstherapie. Vielfach wird auch eine auditorische Stimulation mit individuell maßgeschneiderten oder Umgebungsgeräuschen eingesetzt. Eine Kombination aus beiden Ansätzen wird als Tinnitus-Retraining-Therapie bezeichnet. Trägt der Patient wegen einer Hörminderung ein Hörgerät, so kann auch dieses für die auditorische Stimulation verwendet werden.

Mit dem zunehmenden Verständnis der zentralnervösen Aspekte des Tinnitus werden vermehrt neuromodulatorische Behandlungsansätze entwickelt, die in Pilotstudien zum Teil vielversprechende Ergebnisse zeigen. Dazu gehören auch verschiedene Formen der Musiktherapie: So hörten Betroffene in einer Untersuchung beispielsweise täglich Musik, bei der genau die Frequenzen ihres Tinnitus entfernt worden waren. Das Ergebnis: Nach einem Jahr waren ihre Ohrgeräusche signifikant leiser geworden.

Am Deutschen Zentrum für Musiktherapieforschung hat man zudem sowohl bei chronischem als auch bei akutem Tinnitus gute Erfahrungen mit einer fünftägigen Kompaktmusiktherapie gemacht. Medikamentöse Therapien des chronischen Tinnitus sind umstritten. Auf jeden Fall können und sollten Komorbiditäten wie Depressionen entsprechend behandelt werden.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 10/14 ab Seite 114.

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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